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Beim zentralen Festakt zum Tag der Deutschen Einheit am Mittwoch, 3. Oktober 2012, hat Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert in München die Wiedervereinigung Deutschlands als Erfolgsgeschichte bezeichnet. Er erinnerte an die Bedeutung Europas für die Wiedervereinigung und sprach von der "europäischen Dimension". Zudem warnte der CDU-Politiker davor, in eine "Rivalität von Nationalstaaten" zurückzufallen. Lammert hielt die Ansprache beim offiziellen Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU), Bundesratspräsident Horst Seehofer, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, sowie zahlreichen Spitzenpolitikern aus Bund und Ländern.
"Ohne die Überwindung der Spaltung Europas wäre die deutsche Einheit nicht möglich gewesen", sagte Lammert in der Münchner Staatsoper. "Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit unseres Landes war umgekehrt Voraussetzung für das Zusammenwachsen Europas in einer Union west-, mittel- und osteuropäischer Staaten." Die Weiterentwicklung Europas liege im deutschen Interesse, betonte Lammert und warnte davor, die europäische Idee auf ökonomische Fragen zu verkürzen.
"Europa ist mehr als eine Verwaltung, mehr als die viel – und im Übrigen oft zu Unrecht – gescholtene Bürokratie, mehr als Richtlinien und mehr als Verträge. Und es ist auch mehr als der Euro", betonte er. "Wer heute Meldungen über Europa verfolgt, muss den Eindruck gewinnen: Es geht meist um Geld, um Schulden und ihre Tilgung, um Schuldenschnitte und ihren Umfang", kritisierte Lammert.
Die Finanzkrise sei nicht wie "eine Naturkatastrophe über uns hereingebrochen", so der Bundestagspräsident. Hätten sich die Mitgliedstaaten an geltendes Recht gehalten, gäbe es die Krise heute nicht. Deshalb müsse geltendes Recht wieder Vorrang vor ökonomischen Kalkülen haben, mahnte Lammert.
Der Bundestagspräsident betonte: "Wir brauchen aber ein Europa, dessen Möglichkeiten über den Ehrgeiz seiner Mitgliedstaaten hinausreicht, ein Europa selbstbewusster Bürger, ein Europa, das eindeutig und unerschütterlich für die eigenen Werte eintritt."
Während des zweitägigen Bürgerfests präsentierte sich auch der Deutsche Bundestag in der Münchner Innenstadt. Die Besucher konnten Politiker aller fünf im Parlament vertretenden Fraktionen treffen und beim Parlamentsspiel im Forum Plenarsaal selbst zum stimmberechtigten Abgeordneten werden.
Spielerisch "lernten" die Besucher beispielsweise, dass man aufsteht, wenn der Bundestagspräsident den Plenarsaal als letzter betritt, dass dieser, obwohl er einer Fraktion angehört, die Sitzungen neutral leiten muss und auch einem politischen Freund nicht applaudieren darf, aber auch wie intensiv die Arbeitswoche der Parlamentarier ist, selbst wenn man im Fernsehen manchmal leere Stuhlreihen im Sitzungssaal sieht.
Rund 200 Plätze stehen in dem hellen 350 Quadratmeter großen Zelt zur Verfügung, und diese waren fast immer besetzt. Zur Einstimmung auf die gespielte Plenarsitzung lief ein siebenminütiger Film mit Highlights vergangener Bundestagssitzungen. Dann folgte der Bundestag zum Mitmachen. In Form eines Rollenspiels wurden Erwachsene, Jugendliche und Kinder Teil einer rund 20-minütigen Plenarsitzung. Am Ende stimmten sie mit ihren eigenen Stimmkarten (blau für Ja, rot für Nein, weiß für Enthaltung) über das vorgestellte Weißwurstzuzel-Gesetz ab.
Engagiert, mit viel Wortwitz und Spielfreunde erläuterten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Besucherdienstes des Bundestages als Stellvertreter des Bundestagpräsidenten, Bundeskanzlers, und Bundesratspräsidenten die jeweiligen Aufgaben, Rechte und Pflichten. Auf unterhaltsame Art und Weise erfuhren die Besucher so viele Details zur Funktion, Arbeitsweise und Geschichte des Parlaments. In die Reden zum Weißwurstzuzel-Gesetz wurden geschickt Basisinformationen zur Bundestagsarbeit eingestreut.
Doch auch die echten Abgeordneten stellten sich ihren "neuen" Kollegen im Zelt. Jede Fraktion informierte eine Stunde lang die Bürger über ihre Arbeit, und viele Spitzen auf den politischen Gegner wurden mit lautem Gelächter quittiert. Den Anfang machte die Fraktion Die Linke. Eva Bulling-Schröter, Klaus Ernst und Harald Weinberg forderten mehr Transparenz in der Politik und die Abschaffung der Rente mit 67.
Auch ein Vizepräsident des Deutschen Bundestages stellte sich den "Abgeordneten" in der Münchner Innenstadt. Eduard Oswald (CDU/CSU) und Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, mussten viele Fragen zum Betreuungsgeld und zur Energiewende beantworten.
Manche Politiker ließen es sich nicht nehmen, die Rollen im Planspiel zu übernehmen. So kam es, dass auf dem Bürgerfest in München mit Beate Walter-Rosenheimer zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin von Bündnis 90/Die Grünen ihre Regierungserklärung verlas. Unterstützt wurde sie von Claudia Roth, die Fragen zum Gesetzentwurf "Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare" beantwortete.
Die FDP-Fraktion kam mit drei Vertretern in den Mini-Plenarsaal. "Bundeskanzler" Jimmy Schulz, Dr. Rainer Stinner und "Bundesratspräsident" Dr. Daniel Volk diskutierten mit den Anwesenden über die Frage: "Soll die Praxisgebühr abgeschafft werden?"
Für die SPD traten die Abgeordneten Martin Burkert, Florian Pronold und Marianne Schieder vor die Bürger. Auch sie erklärten die Arbeitsabläufe im Bundestag und im Wahlkreis. Außerdem hatten sie den Antrag "Zukunft braucht Jugend – für einen guten Start in die Arbeitswelt" zur Diskussion mit anschließender Abstimmung vorgelegt.
In einem zweiten Zelt, dem Kommunikationsforum, konnten die Besucher ihr altes oder das neuerworbene Wissen beim Bundestagsquiz nach "Dalli-Klick"-Art testen. Für Kinder gab es eine bunte Mal-und Spielecke. Besonders beliebt waren Magnetbuttons, die die Kleinen entweder selbst bemalen konnten oder auf denen der Bundesadler sowie das Maskottchen der Internetseite "Kuppelkucker", Karlchen Adler, prangte. Außerdem stand eine große Auswahl an Büchern, Filmen und Informationsmaterialien zum Deutschen Bundestag zum Mitnehmen bereit.
Viele größere und kleinere Besucher ließen sich außerdem am Rednerpult fotografieren, als besondere Attraktion wurde der Bundesadler hinter den Redner hineinkopiert. So wirkten die Fotos, als ob man selbst im Bundestag gesprochen hätte.
Die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit finden seit 1990 immer in dem Bundesland statt, das zu diesem Zeitpunkt den Vorsitz im Bundesrat innehat. Aus diesem Grund wurde in diesem Jahr in der bayerischen Landeshauptstadt gefeiert. Im nächsten Jahr richtet Baden-Württemberg das Fest aus. (ah/04.10.2012)