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Kommunalpolitik ist für Britta Haßelmann (Bündnis 90/Die Grünen) eine "Herzensangelegenheit": Mehr als zehn Jahre engagierte sich die diplomierte Sozialarbeiterin in Bielefeld ehrenamtlich als sachkundige Bürgerin, Fraktionsvorsitzende im Stadtrat und Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin. 2005 zog die heute 50-Jährige dann nach fünf Jahren an der Spitze der nordrhein-westfälischen Grünen erstmals in den Bundestag ein. Neben ihrer Funktion als Parlamentarische Geschäftsführerin setzt sie sich als kommunalpolitische Sprecherin vor allem für eine Verbesserung der finanziellen Lage der Städte und Gemeinden ein.
"'Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben' – das hat Heinrich Böll einmal gesagt. Für mich traf dieser Satz immer meine Motivation, Politik zu machen – mich nicht abzufinden, sondern für Veränderungen zu streiten."
Die, die das so kämpferisch sagt, hat gerade ihr klingelndes Handy ausgeschaltet und an ihrem Büroschreibtisch Platz genommen: Britta Haßelmann wirkt live viel zierlicher als im Plenum des Bundestages, wenn sie, wie erst kürzlich, vom Rednerpult aus dem politischen Gegner in der Debatte um die Milliardenhilfen des Bundes für die Kommunen zur Finanzierung der Grundsicherung mangelnden Sachverstand und "Peinlichkeit" vorwirft. Im persönlichen Gespräch konziliant, kann die Politikerin – wenn nötig – durchaus deutlich werden.
Sich einmischen, etwas verändern, das wollte Haßelmann schon früh: Sie war Schülerin, als nur rund 35 Kilometer von ihrem Heimatort Straelen entfernt in Kalkar am Niederrhein das Kernkraftwerk "Schneller Brüter" gebaut wurde. 1977 fand dort eine der größten Antiatomkraft-Demonstrationen in Deutschland statt – Britta Haßelmann war ebenso dabei wie bei der berühmten Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten 1981.
Die zu dieser Zeit erstarkende Antiatomkraft- sowie die Friedensbewegung haben sie tief geprägt. Dementsprechend nah fühlte sie sich auch den zu dieser Zeit neu entstehenden Grünen: "Wenn überhaupt, so habe mich als junge Frau mit den Grünen als Partei identifizieren können. Sie war ja die einzige, die Themen, die mir wichtig waren, aufgegriffen hat", erinnert sich Haßelmann.
Politisch aktiv wurde sie für die Grünen allerdings erst 1989 in Bielefeld, wohin es sie eigentlich nur für ein Fachhochschulstudium der Sozialarbeit verschlagen hatte. Doch in der Stadt am Teutoburger Wald lernte sie auch ihren heutigen Mann kennen, bekam ihren Sohn und blieb. Heute ist die gebürtige Niederrheinerin Abgeordnete des Wahlkreises Bielefeld-Werther.
Während ihres Studiums bekam Haßelmann Kontakt zur "Bielefelder Selbsthilfe", ein Verein, für den sie auch nach ihrem Diplom viele Jahre tätig war. "Dort boten wir Menschen, die vor besonderen Schwierigkeiten standen und aus 'normalen' Lebensbezügen rausgefallen waren, etwa durch einen Psychiatrie- oder Heimaufenthalt, Arbeit und Wohnen", erklärt Haßelmann. Von diesem Konzept angetan, zog die Studentin sogar in das Vereinshaus ein, das zu dieser Zeit besetzt war.
Besetzte Häuser und Proteste gegen den Abriss ganzer Straßenzüge – es gab sie in den 1980er-Jahren nicht nur in Berlin-Kreuzberg oder Frankfurt. Auch im Bielefelder Westen sollten viele Wohnungen für den Bau einer Stadtautobahn weichen. Doch gemeinsam mit anderen Initiativen wehrte sich der Verein erfolgreich gegen die Wohnraumvernichtung.
Nichts einfach hinnehmen, sondern sich einmischen und etwas bewirken – die "Stadtsanierungsarbeit", wie Haßelmann das Engagement gegen die Vernichtung von Wohnraum nennt, ist für sie ein politisches Schlüsselerlebnis.
Durch die Initiativarbeit im Stadtteil kommt sie in Kontakt mit der "Bunte Liste Bielefeld", der Vorgängerin der heutigen Grünen. "1989 bin ich angesprochen worden, ob ich nicht als sachkundige Bürgerin für den Sozial- und Wohnungsausschuss arbeiten möchte."
Sie wollte – und schon bei der nächsten Kommunalwahl 1994 zog sie selbst als Mitglied der Grünen in den Stadtrat ein, wurde später Fraktionsvorsitzende und trat 1999 sogar als Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin an.
Über die Jahre in der Kommunalpolitik spricht Haßelmann mit glänzenden Augen, und man merkt, dass ihre Leidenschaft dafür kein Lippenbekenntnis ist: "Ich halte die kommunale Ebene für eine ganz bedeutende! Nirgendwo sonst wird Demokratie so direkt vor Ort gelebt und erlebt." Sie persönlich habe viel in der Kommunalpolitik gelernt, bekräftigt sie: "Wie diskutiert man, wie setzt man sich durch, wie formuliert man Ziele, wie kann man Gemeinsamkeiten herstellen und mit vielen Menschen für eine Sache streiten?"
Trotzdem entschied sich Haßelmann im Jahr 2000 jedoch, der kommunalen Politik den Rücken zu kehren. "Beruf, Familie und ehrenamtliches Engagement in der Kommunalpolitik konnte ich nicht dauerhaft so vereinen, dass es mich zufrieden machte. Ich stand vor der Entscheidung: Entweder ich konzentriere mich wieder voll auf meinen Beruf – oder ich versuche es mit der hauptamtlichen Politik."
Wie gerufen kam da das Angebot der Landespartei, für den Vorsitz zu kandidieren. "Viele haben damals gesagt, ‚Für dieses Wahlamt gibst du deinen festen Job auf? So ein Risiko!'" Doch Haßelmann ließ sich nicht beirren. Ihre Lust auf Politik war einfach größer: "Ich will mich einbringen, ich will nicht akzeptieren, dass es nicht gerecht zugeht in der Welt." Sechs Jahre, von 2000 bis 2006, war Haßelmann Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein Westfalen.
2005, bei der vorgezogenen Neuwahl, warf sie dann für ein Bundestagsmandat ihren Hut in den Ring. "Ob soziale, gesellschaftspolitische oder ökologische Fragen – als Landesvorsitzende bin ich ständig damit konfrontiert worden, wie sehr landespolitische und kommunalpolitische Themen mit bundespolitischen verknüpft sind und wie wichtig die Bundesebene ist."
Während sie in den ersten Jahren im Bundestag als demografiepolitische Sprecherin kreuz und quer durch die Republik reiste, um sich ein Bild von den Auswirkungen des demografischen Wandels zu machen, scheint sie nun als kommunalpolitische Sprecherin ihr Thema gefunden zu haben: "Ich freue mich, dass ich die Kommunalpolitik auch hier begleiten kann. Das ist mir eine Herzensangelegenheit."
Hartnäckig setzt sie sich seitdem ein für eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen ebenso wie für mehr Mitspracherechte der Städte und Gemeinden im Gesetzesverfahren. Dass diese inzwischen gestärkt wurden, begrüßt sie daher ebenso wie die vom Bundestag zuletzt beschlossenen Milliardenhilfen für die Kommunen zur Finanzierung der Grundsicherung im Alter.
Doch zufrieden ist sie damit noch lange nicht. Zu ernst sei die finanzielle Situation vieler Kommunen in Deutschland: "Die Schere zwischen reichen und armen Städten und Gemeinden geht dramatisch auseinander. Die armen werden es nicht schaffen, sich aus dieser Lage mit eigener Kraft zu befreien. Deshalb möchte ich, dass wir gemeinsam mit den Ländern überlegen, wie wir die Kommunen aus dieser strukturellen Unterfinanzierung befreien können", sagt Haßelmann.
Zwischen unterschiedlichen Positionen vermitteln, Lösungen aushandeln – das ist es, was Hasselmann an Politik so reizt. Und es ist auch eine ihrer Stärken.
Auch als eine der vier Parlamentarischen Geschäftsführer ihrer Fraktion braucht sie mitunter viel Vermittlungs- und Verhandlungsgeschick. Schließlich gilt es die Fraktion zu organisieren – und manchmal auch zu disziplinieren: Mal Mut zusprechen, mal sagen, was nicht geht, alle zusammenhalten. Es geht darum, die Kommunikation und Arbeitsprozesse in der Fraktion mit zu organisieren – und die parlamentarischen Abläufe und Sitzungswochen zwischen dem Präsidium und den Fraktionen zu vereinbaren.
Wer nicht gern kommuniziert, für den ist der Job nichts", sagt die Abgeordnete. Kein stressfreies Unterfangen, diese Aufgabe – und trotzdem: Für Britta Haßelmann ist es ein Traumjob. "Ich empfinde es als Geschenk – und freue mich, dass ich es machen kann, genauso wie das Mandat." (sas/16.10.2012)