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Leer ist es auf den breiten, hellen Gängen des Reichstagsgebäudes, nur ein paar Besuchergruppen erkunden in dieser sitzungsfreien Woche den Wallot-Bau, der in den 1990er-Jahren vom britischen Architekten Sir Norman Foster zum Sitz des Bundestages umgestaltet wurde. Eine Gruppe besichtigt gerade den Andachtsraum im ersten Obergeschoss. "Der Düsseldorfer Künstler Günther Uecker hat ihn gestaltet", erklärt eine Mitarbeiterin des Besucherdienstes und erzählt, dass hier in den Sitzungswochen immer donnerstags und freitags um 8.40 Uhr eine christliche Andacht stattfindet, bevor um 9 Uhr der Sitzungstag beginnt.
Ein paar Minuten später drängt sie zum Aufbruch, die schwere Tür fällt hinter den Besuchern zu, es ist jetzt ganz still in dem schmucklosen rechteckigen Raum. Nur die Motorengeräusche eines Busses, der an der Haltestelle an der Südfassade des Reichstagsgebäude steht, dringen durch die seitlichen Fenster, auch die Sirene eines Krankenwagens und entferntes Autohupen sind zu hören – gedämpfte Reminiszenzen an den Berliner Verkehr und den Alltagstrubel der Hauptstadt, die die sakrale Atmosphäre des Andachtsraums umso mehr hervorheben.
Verstärkt wird dieser Eindruck durch das Dämmerlicht im Andachtsraum. Verursacht wird es durch eine Zwischenwand vor den seitlichen Fenstern, die sich erst an der Stirnseite zum Innenraum hin öffnet, sodass das Licht weitgehend indirekt einfällt und dem Raum "die mystische Aura einer frühmittelalterlichen Krypta" verleiht, wie Dr. Andreas Kaernbach, der Kurator der Kunstsammlung des Bundestages, es ausgedrückt hat.
Den Mittelpunkt des Andachtsraums bildet ein Altar aus sandgestrahltem Granit, auf dem ein einfaches Holzkreuz liegt. Davor, streng und schlicht, mit hohen Rückenlehnen, 24 Holzstühle in vier Reihen. An den Wänden lehnen sieben mit Nägeln und Steinen behauene und mit Sand und Asche bedeckte Holzbildtafeln – "wie Gesetzestafeln auf den Boden gestellt, auch in ihrer Vorläufigkeit", so beschreibt Uecker selbst seinen Tafelzyklus. "Man kann sagen, abgehängt oder noch nicht aufgehängt; sie befinden sich sozusagen in einem Zwischenstadium bezogen auf den Gedanken, dass Bildhaftigkeit ein Gebot oder Verbot sein kann."
Übrigens wurden schon zu Bonner Zeiten im Bundestag christliche Andachten gehalten. Konrad Adenauer persönlich entschied 1949, dass durch das vom Band gespielte Läuten der Kölner Domglocken die Abgeordneten zum gemeinsamen Gebet gerufen werden sollten. Diese Tradition wurde in Berlin fortgesetzt – auch wenn inzwischen deutlich weniger Parlamentarier dem Ruf Folge leisten. In den 1960er-Jahren versammelten sich im Schnitt etwa 120 MdBs zur gemeinsamen Andacht, heute sind es zehn bis fünfzehn.
Dennoch spielt der christliche Glaube im Bundestag nach wie vor eine wichtige Rolle. So gibt es eine lose, fraktionsübergreifende Gruppe "Christen im Parlament", die sich freitagmorgens zum ökumenischen "Gebetsfrühstück" in der Parlamentarischen Gesellschaft trifft und nach eigener Aussage "vielfältige Kontakte zu kirchlichen Organisationen, Verbänden und Gruppen pflegt, um deren Interessen und Probleme zu kennen und in ihren parlamentarischen Entscheidungen berücksichtigen zu können".
Wie viele Abgeordnete insgesamt religiös gebunden sind, ist allerdings schwer zu eruieren. Der Bundestag führt zwar viele Statistiken über seine Mitglieder, Angaben zu ihrer Konfession müssen die Parlamentarier aber nicht machen.
Der Andachtsraum steht ohnehin allen offen, denn er wurde ganz bewusst als überkonfessioneller Ort der Besinnung und Meditation konzipiert und gestaltet. Das stieß und stößt auch auf Kritik. Moniert wurde vor allem, dass es kein fest installiertes Kreuz gebe. So wurde Ueckers Gesamtkunstwerk, das im doppelten Wortsinne "Raum" schaffen sollte für die innere Einkehr und Kontemplation jenseits des parteipolitischen und parlamentarischen Tagesgeschäfts, unversehens selbst zum Objekt der politischen Auseinandersetzung. (nal/26.03.2013)