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Die Anordnung und Durchführung ärztlicher Zwangsmaßnahmen sind künftig in Deutschland wieder möglich. Einen entsprechenden Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP (17/11513) hat das Bundestagsplenum am Donnerstag, 17. Januar 2013, in der vom Rechtsausschuss beschlossene Fassung (17/12086) verabschiedet. Die Linke stimmte dagegen, die Grünen enthielten sich.
Stephan Thomae (FDP) betonte, dass die Zwangsbehandlung ausschließlich "als letztes Mittel" einsetzt werden dürfe. Als Beispiel nannte er den fiktiven Fall eines Betroffenen, der eine Dialyse benötigt, diese aber ablehnt, weil er annimmt, dass sie vergiftet sei. In einem solchen Fall müsse eine Zwangsdialyse durchgeführt werden, sagte der FDP-Politiker.
Im Prozess des parlamentarischen Beratungsverfahrens, zu dem auch eine öffentliche Expertenanhörung gehörte, habe der Bundestag "Sicherheitsfilter" in das Gesetz eingebaut, sodass die Zwangsbehandlung wirklich nur als sogenanntes letztes Mittel greife: "Arzt und Betreuer müssen ohne Druck den Betreuten von Notwendigkeit zu überzeugen", erkläre Thomae.
Zudem müsse ein "Verfahrenspfleger hinzugezogen werden, der die Interessen des Betroffenen wahrnimmt", weiter gebe es das Vier-Augen-Prinzip, demzufolge zum behandelnden Arzt ein Gutachter hinzugezogen werden müsse.
Bei Zwangsmaßnahmen, die länger als zwölf Wochen dauern, erklärt Thomae weiter, müsse ein "externer Gutachter, der nicht der Einrichtung angehört" hinzugezogen werden. Und schließlich müsse ein externes Gutachten erstellt werden, dass die Notwendigkeit der Behandlung begründete.
Sonja Steffen (SPD) sagte, dass einer Studie zufolge etwa jeder dritte Europäer in eine solche Situation geraten könne, die zu einer Zwangsbehandlung führen könne. Angststörungen, Sucht, Psychosen und Depressionen könnten jeden treffen. "In solchen Situationen wünsche ich mir behutsame und kompetente Ärzte, die mit Einfühlungsvermögen für mich entscheiden", erklärte Steffen, "damit man bald wieder ein gesundes, selbstbestimmtes Leben führen kann."
Der vorliegende Gesetzentwurf sei ausgewogen und schaffe den "Ausgleich zwischen Recht auf freie Selbstbestimmung und Schutz vor erheblicher Selbstgefährdung". Aber, räumte die SPD-Politikerin ein, insgesamt müssten jeweils die Lebensbedingungen zu allererst verbessert werden, "damit die Menschen gar nicht erst krank werden".
Auch Thomas Silberhorn (CDU/CSU) sprach sich für den Gesetzentwurf aus. Die ärztlichen Zwangsmaßnahmen müssten würden aber die Ausnahme bleiben. Denn der Betroffene müsse ja zuerst von einem Gericht eingewiesen werden. Bevor es aber überhaupt so weit komme, müssten "alle milderen Mittel ausgeschöpft werden", sagte Silberhorn weiter.
Der Betroffene habe auch neben seinem Betreuer den Verfahrenspfleger zur Seite stehen. Das Gericht müsse ihn persönlich anhören und sich selbst ein Bild machen. Im begründeten Ausnahmefall aber, erklärte der CSU-Abgeordnete ein Detail des Entwurfs, dürfe der externe Gutachter durch einen internen ersetzt werden, beispielsweise in ländlichen Raum.
Jörn Wunderlich (Die Linke) sagte, dass es der Regierung nicht um das Patientenwohl gehe, sondern sie wolle lediglich "die alte Regelung möglichst genau nachbilden" – so stehe es schließlich auch im Gesetzentwurf. Es werde an keiner Stelle deutlich, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen in jedem Fall zu vermeiden sind. Es stehe auch bloß die Formulierung im Gesetzestext, dass versucht werden müsse, den Betroffenen von der Notwendigkeit der Behandlung zu überzeugen.
Wie genau das aber aussehen solle, "steht da aber gar nicht drin", erklärte er. Das sei der Linksfraktion jedoch sehr wichtig. "Psychopharmaka heilen nicht", sagte Wunderlich abschließend, "sie stellen nur ruhig". Und die Nebenwirkungen seien extrem.
Ingrid Hönlinger (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, dass die Koalitionsfraktionen das Gesetz sehr schnell auf den Weg bringen wollten. Aber dann habe man gemeinsam durch Gutachten, Expertenanhörung und eben das gesamte parlamentarische Beratungsverfahren den Entwurf verbessert. "Jetzt erst erfüllt das Gesetz die strengen Bedingungen des Bundesgerichtshofs, aber noch nicht vollständig", sagte sie an die Initiatoren gerichtet.
Hönlinger kritisierte unter anderem, dass der Gutachter in der gleichen Einrichtung arbeiten dürfe, in der der Betroffene behandelt werde. Arzt und Sachverständiger müssten aber ihrer Meinung nach aus unterschiedlichen Einrichtungen stammen, damit es keine Interessenskollisionen gebe. Die Grünen-Abgeordnete forderte weiter, dass noch mehr Transparenz geschaffen werden müsse, die Zwangsmaßnahme die absolute Ausnahme bleiben solle und man insgesamt sensibel mit diesen Menschen in schwierigen Lebenssituationen umgehe.
Bis vor kurzem wurde die gesetzliche Regelung nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Paragraf 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gesehen. Demnach durften "Betroffene im Rahmen einer Unterbringung und unter engen Voraussetzungen auch gegen ihren natürlichen Willen behandelt werden", heißt es in der Vorlage. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen im Juni 2012 seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Er entschied, dass es an einem Gesetz fehle, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge.
Seither sei "eine auf das Betreuungsrecht gestützte Behandlung von Betroffenen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer seelischen oder geistigen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können und denen ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht" nicht möglich, schreiben die Abgeordneten.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nun eine hinreichend bestimmte Regelung für die Einwilligung des Betreuers in eine Behandlung des Betreuten, wenn dieser sie ablehnt, geschaffen werden. In Anlehnung an das BGB müsse eine Zwangsbehandlung weiterhin "im Rahmen einer Unterbringung nach Paragraf 1906 Absatz 1 BGB erfolgen".
Keine Mehrheit fanden Entschließungsanträge der Linken (17/12090) und der Grünen (17/12091). Die Linke hatte eine Reihe von Forderungen aufgestellt, um Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie verringern zu können. Die Grünen forderten unter anderem, dass psychisch Kranke mit wiederkehrenden psychiatrischen Krankheitsverläufen das Recht erhalten sollten, mit der psychiatrischen Einrichtung eine Behandlungsvereinbarung zu schließen, in der sie festlegen, welche Behandlung sie sich im Falle fehlender Entscheidungsfähigkeit wünschen. (ver/17.01.2013)