Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Christoph Strässer, Sprecher der Arbeitsgruppe Menschenrechte und humanitäre Hilfe der SPD-Fraktion © DBT/photothek.net
Mit einem "harten Schlagabtausch" über das Problem der politischen Gefangenen in Aserbaidschan rechnet Christoph Strässer während der Wintersession der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 21. bis 25. Januar 2013 in Straßburg. Der SPD-Abgeordnete wirft Baku im Interview vor, sich "weiterhin stur" zu stellen und die Existenz politischer Häftlinge zu bestreiten. Der Straßburger Berichterstatter hofft jedoch trotz des Lobbyings Aserbaidschans hinter den Kulissen, dass eine Mehrheit seine Forderung nach Freilassung dieser Gefangenen unterstützt. Strässer ist stellvertretender Leiter der Bundestagsdelegation beim Europarat. Das Interview im Wortlaut:
Im Herbst ist nach dramatischen Auseinandersetzungen der Versuch Aserbaidschans und anderer Länder, dem Europaratsparlament de facto die Befassung mit dem Problem politischer Häftlinge auf dem Kontinent zu untersagen, nur haarscharf gescheitert. Hat sich das Klima inzwischen abgekühlt?
Leider ist das nicht der Fall. Wie angespannt die Lage weiterhin ist, zeigt sich auch daran, dass ich als Straßburger Berichterstatter nach wie vor nicht in Aserbaidschan einreisen darf, um vor Ort die Situation von politischen Gefangene zu erkunden. Vor der jetzt anstehenden Debatte lobbyiert Baku kräftig hinter den Kulissen bei diversen nationalen Delegationen, um eine Verabschiedung meines Berichts zu verhindern.
Ist also wieder mit heftigem Streit zu rechnen, wenn die Abgeordneten dieses Mal konkret das Problem politischer Häftlinge am Kaspischen Meer diskutieren? Oder räumt Baku mittlerweile ein, dass Bürger aus politischen Motiven hinter Gitter sitzen?
Uns steht noch ein hartes Stück Arbeit bevor, es dürfte im Plenum erneut zu einem harten Schlagabtausch kommen. Die aserbaidschanische Regierung stellt sich weiterhin stur und bestreitet schlicht die Existenz politischer Gefangener. Zahlreiche der betroffenen Inhaftierten, die in meinem Bericht aufgeführt sind, seien normale Kriminellen. Diese Strategie verfolgen im Fall von politischen Gefangenen viele Staaten.
Wie viele Leute sitzen am Kaspischen Meer eigentlich aus politischen Gründen im Knast? Was spielt sich da konkret ab?
Auf einer von mir zunächst vorgelegten Liste, die ich bis zur Plenardebatte in Straßburg aktualisieren werde, standen die Namen von annähernd 90 mutmaßlichen politischen Gefangenen, deren Nennung auch auf Angaben von Bürgerrechtsgruppen beruhte. Bei rund 50 Personen ergaben sich nach intensiver und differenzierter Prüfung deutliche Anzeichen, dass sie aus politischen Motiven hinter Gittern gelandet sind. Aber auch die anderen Fälle müssen untersucht werden. Zu den politischen Gefangenen gehören etwa Bürgerrechtler, die nach der Teilnahme an Demonstrationen verhaftet worden sind. Eingesperrt wurden Aktivisten sogenannter säkularer Oppositionsparteien, also von Organisationen, die nicht als islamisch eingeordnet werden. Zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden Internet-Blogger nach der Veröffentlichung kritischer Kommentare. Betroffen sind mehrere Journalisten. Oft mussten diese Leute sehr lange in Untersuchungshaft sitzen, wobei nicht selten der Kontakt zu Anwälten verweigert wurde.
Offiziell ist niemand wegen politischer Aktivitäten eingekerkert. Was lässt man sich in Baku als Vorwand für solche Verurteilungen einfallen?
Eine verbreitete Methode ist es, Oppositionellen Hooliganismus und Rowdytum vorzuwerfen, etwa während der Teilnahme an Demonstrationen. Zunehmend werden Angeklagten Drogendelikte vorgehalten, was besonders im Fall von islamischen Aktivisten absurd anmutet. Für Verurteilungen herhalten muss auch die Unterstellung, die Betreffenden hätten zur Gewalt aufgerufen oder Umsturzversuche unterstützt. Oft werden Oppositionellen Beweismittel untergeschoben, da tauchen dann plötzlich Waffen oder Drogen auf.
Wird im Europaratsparlament Ihr Antrag auf Freilassung der politischen Häftlinge eine Mehrheit finden? Und wird Baku dieser Forderung dann nachkommen?
Zunächst einmal stelle ich mich auf heftige Auseinandersetzungen ein. Ich bin aber einigermaßen optimistisch, dass es zu einer Mehrheit reichen wird. Ich hoffe, dass die differenzierte Argumentation im Bericht ihre Wirkung auf die Abgeordneten nicht verfehlen wird. So wird ausdrücklich anerkannt, dass manche politischen Gefangenen mittlerweile freigelassen wurden, etwa im Zuge einer Amnestie. In Baku bewegt sich was, wenn auch noch lange nicht genug. Meine Hoffnung, dass sich nach der Straßburger Debatte in Aserbaidschan das Problem der politischen Gefangenen erledigen wird, ist freilich gering. Allerdings würde die Verabschiedung der Resolution ein deutliches Zeichen setzen.
Eigentlich darf es in keinem der 47 Europaratsnationen politische Gefangene geben. Ist Aserbaidschan der einzige Fall oder existieren noch andere Beispiele? Man denke etwa an Michail Chodorkowski und Pussy Riot in Russland, an Julia Timoschenko in der Ukraine oder an Kurden in der Türkei.
Ich will mich da nicht auf Einzelfälle festlegen. Es ist indes gut, dass der Europarat nach dem Aufruhr um das Problem am Kaspischen Meer nun gehalten ist, andernorts ebenfalls genau hinzuschauen. So wird auch der Vorwurf der Regierung in Baku entkräftet, man stelle nur dieses Land an den Pranger und lege nicht an alle Staaten die gleichen Maßstäbe an. Nach meiner Vermutung wird sich bei Prüfungen letztlich zeigen, dass auch in anderen Nationen Bürger aus politischen Gründen hinter Gittern sitzen.
(kos/18.01.2013)