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Ägyptens Staatspräsident Mohammed Mursi hat bei seinem Besuch in Berlin vor Abgeordneten des Bundestages um Vertrauen für die demokratische Transformation in seinem Land geworben. Rund zwei Jahre nach der Revolution, die auf dem Tahrirplatz in Kairo ihren Ausgang nahm, sei Ägypten weder Theokratie noch Militärstaat, sondern ein ziviler Staat, der die Freiheits- und Grundrechte achte, sagte Mursi am Mittwoch, 30. Januar 2013, vor Abgeordneten des Auswärtigen Ausschusses und Vertretern weiterer Ausschüsse.
"Das neue Ägypten wird keine Diskriminierung dulden", sagte Mursi. Das gelte auch für die Rechte von Frauen und von religiösen Minderheiten. "Alle sind vor dem Gesetz gleich", sagte er. Der Aufbau eines zivilen und modernen Staates, der den Ägyptern Freiheit, Würde und soziale Gerechtigkeit ermögliche, sei ohne Gewaltenteilung und ohne die Achtung der Bürgerrechte nicht denkbar.
Der im vergangenen Jahr gewählte Präsident warb um den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ägypten und Deutschland. Seine Regierung wolle alles aus dem Weg räumen, was Investitionen im Wege stehe. Mursi nahm auch zu den wiederkehrenden Ausschreitungen nach Demonstrationen und die Verhängung des Ausnahmezustands in einigen Städten Stellung: Neben der friedlichen Opposition gebe es auch einen kriminellen "Parallelrahmen der Gewalt" auf den Straßen, gegen den die Regierung und unabhängig von ihr auch die Justiz vorzugehen hätten.
In der Aussprache würdigten die Abgeordneten quer durch alle Fraktionen die Befreiung von Vormundschaft und die Öffnung zur Demokratie, die die Ägypter mit ihren Protesten gegen die Herrschaft Husni Mubaraks erzwungen haben. "Unsere Sympathie galt und gilt all jenen, die auf dem Tahrirplatz friedlich für den Wandel, für Arbeit, Freiheit und Würde eingetreten sind", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU/CSU).
Kritisch zeigten sich Abgeordnete quer durch alle Fraktionen zur Frage der Achtung von Minderheitenrechten und der Religionsfreiheit, zum stockenden Verfassungsprozess und zu dem aus ihrer Sicht ausbleibenden Dialog Mursis und seiner regierenden Partei der Muslimbrüder mit der ägyptischen Opposition. Auch die Mursi zugeschriebenen judenfeindlichen Äußerungen und seine Haltung zu Israel und zum Nahost-Konflikt waren Thema kritischer Nachfragen.
Mursi trat dem Vorwurf antisemitischer Äußerungen entgegen: Die fraglichen Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen worden, ihm gehe es um das Verhalten Israels gegenüber den Palästinensern.
Vor der Aussprache mit den Abgeordneten hatte sich Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert am Nachmittag in einem Gespräch mit Mursi für den weiteren Ausbau des demokratischen Systems in Ägypten eingesetzt. Lammert bedauerte das Scheitern der verfassunggebenden Versammlung in Ägypten im ersten Anlauf nach dem Auszug der Opposition.
Vitalität und Legitimität eines politischen Systems erkenne man nicht an einer Regierung, sondern an der Handlungsfähigkeit des Parlamentes und am Umgang mit der Opposition. Der Bundestagspräsident betonte die Bedeutung einer Verfassung als unbestrittenes Regelwerk jenseits der Rivalität von Parteien oder zwischen Regierung und Opposition.
Bedauerlicherweise sei ein solcher Konsens nach der Überwindung der Diktatur in Ägypten noch nicht gelungen, sagte Lammert. Zugleich bot der Bundestagspräsident die für den weiteren Transformationsprozess in Ägypten an. (ahe/31.01.2013)