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Über den Sinn und Unsinn politischer Gremien, die per Losverfahren zusammengestellt werden, haben am Mittwoch, 24. April 2013, Prof. Dr. Hubertus Buchstein und Prof. Dr. Roland Lhotta bei einer Podiumsdiskussion der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen unter Vorsitz von Brigitte Zypries im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages diskutiert. Während Buchstein, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, sogenannte Loskammern bei bestimmten Voraussetzungen befürwortete, wandte sich Lhotta, Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg, strikt dagegen.
"Das Losverfahren hat momentan Konjunktur", stellte Buchstein mit Blick auf das Verfahren zur Besetzung der Presseplätze beim NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München fest. Allerdings werde bei der Auswahl der Pressevertreter nicht nur gelost. Es sei schon vorher festgelegt, wie viele Plätze für inländische und ausländische Vertreter vergeben würden und wie viele Plätze für welche Medien reserviert seien.
Auch bei politischen Verfahren würden Posten teilweise per Losentscheid vergeben. So zum Beispiel bei der Wahl des Bundestagspräsidenten. Setze sich in drei Wahlgängen kein Kandidat durch, werde gelost. "Das Los kommt dann, wenn gar nichts anderes mehr geht", sagte Buchstein.
Dabei gebe es gute Vorbilder, Losverfahren von vornherein einzusetzen. Beispielsweise habe es selbst im antiken Griechenland ein solches System beispielsweise für die Ernennung von Laienrichtern, aber auch der Bule, der Ratsversammlung in den Städten, gegeben. Die Griechen hätten diese Möglichkeit in Kombination mit Wahlen genutzt. In den USA habe sich das Losverfahren in den 1960er und 1970er Jahren zunächst bei der Auswahl von Richtern etabliert, sei dann aber auch auf unteren politischen Ebenen angewendet worden.
Buchstein plädierte dafür, Losverfahren in der deutschen Politik dann anzuwenden, "wenn ein Willens- oder ein Neutralitätsdefizit vorliegt". Es sei eine "Maßnahme, die Fairness steigern kann". Als Themen eigneten sich beispielsweise die Reform des Wahlrechts oder die Diätenerhöhung.
Von Änderungen des Wahlrechts seien Parlamentarier direkt betroffen, also in ihrer Entscheidung befangen. Ein Volksentscheid, so es die Möglichkeit dazu gäbe, sei aber in diesem Fall keine Alternative, weil sich zu wenige Bürger für das Thema interessierten, also kein "informierter Wille" vorhanden sei.
Eine Kammer, die per Los zusammengestellt sei, könne hier eine ebenso sinnvolle Alternative darstellen wie bei der Entscheidung über die Erhöhung der Abgeordnetengehälter, schloss Buchstein.
"Die Überlegungen sind natürlich eine gewisse Provokation", erwiderte Lhotta. Buchsteins Thesen forderten heraus zur Auseinandersetzung. Schließlich hätten die Vorschläge einen beachtlichen Konkretationsgrad. Die Empfehlung "Gehen Sie über Los" – wie im Brettspiel Monopoly – "scheint fast unwiderstehlich zu sein".
Doch jeder, der Monopoly schon einmal gespielt habe, wisse, wie unfair das Spiel sei. Nicht jeder habe die gleichen Chancen, denn wer per Zufall die billigen Straßen erwische, könne nicht den gleichen Profit wie die Konkurrenten machen.
Lhotta sprach sich unmissverständlich gegen Loskammern aus. "Ich möchte dem Zufall nicht die Vorzüge zubilligen", das gelte erst recht für Entscheidungen in einer parlamentarischen Demokratie. "Zufall und Amt sollten nicht zusammengespannt werden."
Die von Buchstein genannte Hürde des Willens- und Neutralitätsdefizits sei zu niedrig. Dass es ein Willensdefizit beim Volk gebe, sei normal, auch seien Politiker in der Regel nicht neutral. Letzteres könne wiederum als Antrieb für den Wettbewerb der Parteien genutzt werden.
Gerade wenn es um knappe Güter oder Ressourcen gehe, dürfe die Politik die Entscheidung nicht dem Los überlassen. "Das Los entkoppelt Amt, Entscheidung und Verantwortung." Politiker hätten die Pflicht, sich den Kopf zu zerbrechen, sich zu streiten und auf dem Verhandlungsweg zu einer Lösung zu kommen. Dafür würden sie gewählt.
Lhottas Fazit, angelehnt an das Monopoly-Spiel: "Ich bleibe lieber ein paar Wochen im Knast und gehe nicht über Los." (ske/25.04.2013)