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Ein heftiger politischer Schlagabtausch zwischen Koalition und Opposition prägte am Donnerstag, 6. Juni 2013, die Plenardebatte über den Abschlussbericht der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität", die durch eine über das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hinausweisende Neubemessung der Lebensqualität Wege zum nachhaltigen Wirtschaften aufzeigen sollte. Die Obleute Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) und Florian Bernschneider (FDP) werteten es als Erfolg, dass in dem Gremium Forderungen des Oppositionslagers nach einem grundlegenden Wandel von Politik und Gesellschaft im Sinne einer "sozialökologischen Transformation" hätten abgewehrt werden können.
Als Hauptredner der Opposition kritisierten hingegen die Kommissionsvorsitzende Daniela Kolbe (SPD), Linken-Obfrau Ulla Lötzer und Grünen-Sprecher Dr. Hermann Ott, wegen der Blockade von Union und Liberalen sei das Gremium den Herausforderungen der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen letztlich nicht gerecht geworden. Kolbe: "Es war leider nicht möglich, Neues zu denken."
Die 17 Abgeordneten und 17 Wissenschaftler der vor dem Hintergrund von Umweltzerstörungen, Finanzkrisen und Verteilungsungerechtigkeiten eingesetzten Kommission hatten den rund tausendseitigen Abschlussbericht einstimmig verabschiedet. Dieser Konsens war möglich, weil der Text neben den von der Koalition geprägten Mehrheitsbeschlüssen auch zahlreiche Sondervoten der Opposition enthält.
Zu den konkreten Kernbotschaften der Expertise, die lagerübergreifend beschlossen wurden, zählen das Plädoyer für eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte, Vorschläge für eine ökologische Ausrichtung der Chemiebranche und die Forderung, die ökologischen Grenzen des Planeten auch als Grenzen der Politik zu akzeptieren.
Als Erfolg gilt besonders ein von Union, SPD und FDP entwickeltes neues "W3-Indikatoren"-Modell, mit dessen Hilfe die gesellschaftliche Wohlfahrt neu berechnet werden soll, um der Politik eine neue Handlungsschnur vorzugeben. Das "W3"-Konzept soll die Wohlfahrt nicht mehr nur über das BIP, sondern über die drei Größen "materieller Wohlstand", "Soziales und Teilhabe" sowie "Ökologie" ermitteln. Diese drei Kriterien werden über 20 "Leitindikatoren", "Warnlampen" und "Hinweislampen" wie etwa Artenvielfalt, Ausstoß von Treibhausgasen, Beschäftigungsquote, BIP oder Einkommensverteilung berechnet.
Zwar würdigten die fünf Hauptredner die in der Kommission gemeinsam gemachten Vorschläge. "Darauf sind wir stolz", sagte Bernschneider: "Die Konsenslösungen werden Spuren in der Tagespolitik hinterlassen." Gestritten wurde in der Debatte aber vor allem die politischen Differenzen.
Nüßlein bezeichnete es als "größten Erfolg" der Kommission, dass man sich entgegen den Forderungen aus den Reihen der Opposition letztlich im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft bewegt habe. Dieses Wirtschaftsmodell habe seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, sozialen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen gerecht zu werden.
Bei der Bewältigung von Krisen komme es, so der CSU-Parlamentarier, vor allem auf die Innovationskraft an. Er wandte sich gegen eine "fundamentale Wachstumskritik" und gegen besonders von den Grünen betriebene Bestrebungen, Wachstum aktiv zu begrenzen. Nüßlein: "Wir haben das BIP relativiert, aber nicht abgeschafft."
Bernschneider betonte, dass Wachstum nicht politisch zu steuern sei. Die Liberalen lehnten es ab, meinte deren Obmann, "dass Claudia Roth und Sigmar Gabriel entscheiden, wie sich die Wirtschaft entwickeln soll". Bernschneider warf der SPD vor, ihr gehe es um eine "staatlich verordnete Verzichtskultur".
Kolbe erinnerte daran, dass die Enquete-Kommission vor dem Hintergrund der Banken- und Finanzkrise eingerichtet worden sei. Diese Krisen hätten das "Leitbild des freien Marktes planiert und ad absurdum geführt". Beispielsweise sei der Ressourcenverbrauch dramatisch gestiegen, auch der Klimawandel zeuge von ökologischen Bedrohungen.
Zu Beginn, so die SPD-Politikerin, sei man sich auch einig gewesen, dass die Maßstäbe des Wirtschaftens überdacht werden müssten. Letztlich habe sich aber gezeigt, dass viele in der Koalition in den Krisen nur einen "Betriebsunfall" sähen, der lediglich kleinere Änderungen erforderlich mache.
SPD-Obfrau Edelgard Bulmahn betonte, zur Bewältigung der Probleme reiche es nicht, "an einigen Stellschrauben zu drehen". Gleichwohl, sagte Kolbe, habe man in der Kommission angesichts der erzielten Fortschritte "nicht umsonst geschwitzt". Sie rief dazu auf, die Debatte weiterzuführen.
Lötzer plädierte für einen "grundlegenden Politikwechsel". Die Koalition erkläre Wachstum zur Voraussetzung für die Überwindung der Krisen. Stattdessen müssten aber soziale Anliegen wie die Bekämpfung der Armut und ökologische Notwendigkeiten wie die Senkung des Ressourcenverbrauchs zu Zielen der Politik werden, forderte die Obfrau.
Die Linke habe Vorschläge gemacht, wie der Sozialstaat auch bei sinkenden Wachstumsraten erhalten werden könne, etwa durch die Einführung einer Bürgerversicherung oder durch die Aufwertung ehrenamtlicher Arbeit. Indes lobte auch Lötzer die in der Kommission erzielten Fortschritte, trotz aller Differenzen lägen im Abschlussbericht "viele Schätze".
Ott meinte, das Gremium habe vor allem bei der Analyse der Probleme "einige brauchbare Ergebnisse" zustande gebracht. Bei der Kernfrage, wie die Wirtschaft in das System der Erde einzubetten sei, "haben wir jedoch nicht geliefert", was an der Koalition und besonders der FDP gelegen habe.
Der Grünen-Obmann warf der Koalition vor, "sich wie ein Arzt zu verhalten, der nach der Analyse einer todbringenden Krankheit nur Pflaster verordnet". Ott trat für eine sozialökologische Transformation und die Entkopplung von Wirtschaft und Wachstum ein.
Zum Abschluss der Debatte verabschiedeten Union und FDP gegen das Votum der Opposition einen Entschließungsantrag (17/13730), in dem sie ihre Position bekräftigten. Ein Entschließungsantrag von SPD und Grünen (17/13731) scheiterte an der Mehrheit der Koalition, die Linke enthielt sich. (kos/06.06.2013)