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Jeder Form des Judenhasses muss schon im Entstehen in aller Konsequenz entgegengetreten werden. Das fordern die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in einem gemeinsamen Antrag über jüdisches Leben in Deutschland (17/13885), der am Donnerstag, 13. Juni 2013, im Bundestagsplenum beraten wurde. "Ein starkes und vielfältiges Judentum bereichert das Zusammenleben und festigt den Zusammenhalt in Deutschland und Europa", schreiben die Fraktionen. Sie stellen jedoch gleichzeitig fest, dass es in Deutschland nach wie vor einen "erheblichen Antisemitismus" gebe. Dieser Umstand sei nicht hinnehmbar, weshalb Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in der Pflicht stünden, entschlossen gegen jede Form von Antisemitismus entgegenzutreten.
Um dies zu erreichen, soll die Bundesregierung zu Beginn einer Legislaturperiode unabhängige Sachverständige aus Wissenschaft und Praxis beauftragen, einen Bericht zum Themenkomplex Antisemitismus als einer besonderen Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu erstellen.
Dieser Bericht soll dem Bundestag vorgelegt werden und vor dem Hintergrund der Erfahrungen des vorangegangenen Berichtszeitraums konkrete Vorschläge für weitere Maßnahmen beim Kampf gegen Antisemitismus machen. Außerdem verlangen die Abgeordneten, zu prüfen, wie bestehende Programme fortgeführt oder weiterentwickelt werden können und wo demokratische Gruppen, die sich gegen Antisemitismus engagieren, effektiver unterstützt werden können. Unter Achtung der Länderhoheit soll darüber hinaus die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Thema sowie die Aus- und Weiterbildung bei Polizei- und Strafverfolgungsbehörden verbessert werden.
Die Bundesregierung begrüßte diesen fraktionsübergreifenden Antrag, denn die "Gefahr, die vom Antisemitismus ausgeht, ist eine Gefahr für unsere Demokratie", bekräftigte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Christoph Bergner (CDU). "Werte wie Toleranz und Demokratie fallen jedoch nicht vom Himmel, sondern müssen täglich neu erkämpft werden", sagte Bergner.
Nicht nur Bergner, sondern alle Redner in dieser Debatte verwiesen dabei auf den ersten Antisemitismusbericht (17/7700), der von einem unabhängigen Expertenteam im Auftrag des Bundestages erstellt und diesem im Januar 2012 übergeben wurde. Aus diesem gehe hervor, dass Antisemitismus kein Randproblem unserer Gesellschaft, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei, so Bergner. Er würdigte in diesem Zusammenhang die Projekte und Initiativen, die sich vor Ort mit dem Problem beschäftigen und "innovative Ideen" entwickeln, um Jugendliche für das Thema zu gewinnen.
Gabriele Fograscher (SPD) hob hervor, dass der Rechtsextremismus immer noch der wichtigste Träger antisemitischer Vorurteile und für 90 Prozent der antisemitischen Straftaten verantwortlich sei. Die "längerfristige Implementierung" von Programmen gegen Rechtsextremismus dürfe nicht nur eine gute Absichtserklärung des Antrages bleiben, sondern müsse konkret umgesetzt werden, forderte sie in Anlehnung an eine Empfehlung des Antisemitismusberichts.
Fograscher plädierte darüber hinaus für die Abschaffung der so genannten Extremismusklausel, eine schriftliche Einverständniserklärung, die Antragsteller für die drei Bundesförderprogramme "Toleranz fördern – Kompetenz stärken", "Initiative Demokratie Stärken" und "Zusammenhalt durch Teilhabe" seit 2011 unterzeichnen müssen. Sie beinhaltet ein Bekenntnis zur und die Verpflichtung, dafür "Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten". Dies wird von der Opposition als Kriminalisierung und damit Behinderung von Projekten gegen Rechtsextremismus gewertet.
Dr. Stefan Ruppert (FDP) mahnte: "Wir würden es uns zu leicht machen, wenn wir Antisemitismus nur als rechtsextremes Problem betrachten würden, denn es ist auch in der bürgerlichen Mitte präsent". Er plädierte in Bezug auf künftige Berichte, sich darin stärker darauf zu konzentrieren, welche Konsequenzen aus den festgestellten Zuständen zu ziehen seien.
Zwar seien in der laufenden Legislaturperiode die finanziellen Mittel für jüdisches Leben in Deutschland aufgestockt worden, aber: "Es geht nicht nur um Finanzen, es geht darum, im Gespräch zu bleiben", lautete der Appell Rupperts.
Petra Pau beklagte für ihre Fraktion Die Linke, von dem fraktionsübergreifenden Antrag ausgeschlossen worden zu sein: "Demokraten aller Couleur sollten aber das Gemeinsame im Trennenden suchen und nicht das Trennende im Gemeinsamen." Die Nationalsozialisten seien 1933 vor allem an die Macht gekommen, "weil Demokraten zu zerstritten waren und Feindbildern freien Lauf ließen", sagte Pau.
Auch sie verwies auf den Antisemitismusbericht des Bundestages und die dortige Feststellung, dass ein stimmiges Gesamtkonzept im Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus fehle. Daran habe sich bis heute nichts geändert, stellte Pau fest. Im aktuellen Antrag bleibe im Hinblick auf die Projekte ein unverbindlicher Prüfauftrag an die Bundesregierung übrig: "Das ist uns zu wenig."
Auch Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, dass von den Empfehlungen des Berichts bis heute nichts umgesetzt sei. Wie alle Vertreter der Opposition, so forderte auch er die Abschaffung der Extremismusklausel und eine "Verstetigung der Projektarbeit".
"Da brauchen wir eine Lösung, so können wir nicht weitermachen", sagte Beck. Denn es reiche nicht, wenn Strafverfolgungsbehörden gegen Antisemitismus vorgehen. Das Entscheidende sei das gesellschaftliche Klima und eine Sensibilisierung für das Thema. Hier leisteten die vielen Initiativen vor Ort einen zentralen Beitrag.
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) appellierte, in der Debatte nicht das Trennende herauszuarbeiten, sondern zufrieden zu sein, dass es gelungen sei, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu erarbeiten.
Schließlich bekämpfe man Antisemitismus nicht mit Papieren, sondern vor Ort, in den Schulen oder Kommunen. Deshalb müssten auf Basis des Antisemitismusberichts neue Strategien entwickelt werden, um Toleranz und Miteinander zu fördern, sagte Uhl. (che/13.06.2013)