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Der Bundestag hat am Freitag, 14. Juni 2013, in einer Gedenkstunde des Volksaufstandes in der DDR vor 60 Jahren, am 17. Juni 1953, gedacht. In seiner Gedenkrede warb Bundespräsident Joachim Gauck dafür, den 17. Juni als Symbol der Freiheitstradition aus der "Erinnerungsreserve" herauszuholen. So werde von engagierten Bürgergruppen vorgeschlagen, dem 17. Juni im Sinne eines "Denktages" mehr Raum zu geben in Schulen und Bildungseinrichtungen.
"Es gilt, auch heute überall auf der Welt denen beizustehen, die – obwohl diskriminiert und ausgegrenzt – sich mutig für Freiheit, Demokratie und Recht einsetzen", sagte der Bundespräsident. "Wir wollen ihnen eine Stimme geben, wenn sie am Reden gehindert sind, und wir wollen ihnen Gehör verschaffen, wenn sie unsere Öffentlichkeit suchen." Aus der Erinnerung erwachse eine Verpflichtung für heute: "Erinnerung an einst heißt Solidarität jetzt!"
Gauck konnte einige derjenigen, die damals auf die Straße gegangen waren, bei der Feier begrüßen. Sie hätten in Berlin, Leipzig, Dresden, Görlitz und an vielen anderen Orten den Widerstand miterlebt und migetragen: "Sie sind aus den Fabrikhallen, aus dem Hörsaal oder ihrem Wohnzimmer hinaus auf die Straße gegangen, weil sie eine gemeinsame Hoffnung teilten: die Hoffnung, dass man mit Entschlossenheit eien Gesellschaft verändern kann."
Zunächst habe es eine Welle der Euphorie gegeben, doch hätten nur wenige Stunden zwischen Hochgefühl und tiefem Entsetzen gelegen. Acht Jahre nach Kriegsende seien wieder Panzer durch die Straßen gerollt, "wurde auf Menschen geschossen, gab es Schwerverletzte und Tote".
Der 17. Juni sei mehr als ein singuläres Ereignis in der Hauptstadt der DDR gewesen. In mehr als 700 Orten sei es zu Streiks und Kundgebungen, zur Erstürmung von SED- und Polizeigebäuden gekommen. Mehr als 900 DDR-Bürger seien bis 1953 von sowjetischen Militärtribunalen zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet worden.
"Der 17. Juni war ein wahrer Volksaufstand", der seine Strahlkraft bis in den sowjetischen Gulag entwickelt habe, sagte Gauck. Eine von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur erarbeitete Ausstellung zeige Schwarz-Weiß-Aufnahmen von couragierten Menschen, die bewiesen: "Auch Deutsche können Widerstand!"
Die Aufständischen seien als Rädelsführer beschuldigt und standrechtlich erschossen worden: "Sie wurden zufällig getötet oder ganz gezielt zur Abschreckung hingerichtet" – wie etwa der 15-jährige Wolfgang Röhling, der im Spandauer Schifffahrtskanal baden wollte, oder der 24-jährige Schlosser Alfred Diener, dessen Name aus allen offiziellen Karteien geilgt worden sei. Seit 1993 sei eine Straße in Jena nach ihm benannt.
Gauck dankte ausdrücklich der alten Bundesrepublik von 1953, dass das "größere Deutschland den Freiheitsmut des kleineren Deutschlands aufbewahrte, ehrte und würdigte". Im August 1953 hatte die westdeutsche Regierung den 17. Juni zum "Tag der deutschen Einheit" und zum gesetzlichen Feiertag gemacht.
Mit Blick auf den nachfolgenden Ungarn-Aufstand 1956, die Arbeiterunruhen in Polen im gleichen Jahr, den Prager Frühling 1968 und die Solidarność-Bewegung in Polen 1980 sagte Gauck: "Kann, was wir als eine Kette von Niederlagen sahen, nicht auch als Entwicklungsprozess der mitteleuropäischen Völker hin zu Freiheit, Demokratie und Recht interpretiert werden? Und sollen wir verschwiegen, dass Deutsche am Beginn dieser Entwicklung standen?"
Nach der deutschen Einheit hätten drängendere Probleme die "überfällige Aneignung des 17. Juni durch die Ostdeutschen" überlagert, in den alten Bundesländern sei er nur noch ein zur Gedenkroutine verkümmertes Randthema gewesen. Noch immer sei man weit davon entfernt, den 17. Juni mit der gleichen Emphase zu benennen wie die Tschechen ihren Prager Frühling oder die Polen ihre Solidarność.
Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hatte eingangs im Beisein von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, des stellvertretenden Bundesratsvorsitzenden Stephan Weil und des Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Prof. Dr. Andreas Voßkuhle den 17. Juni als "herausragendes Datum unserer Geschichte" bezeichnet, das in seiner gesamtdeutschen und europäischen Bedeutung noch immer nicht angemessen wahrgenommen werde.
"Heute gedenken wir der mutigen Frauen und Männer, die damals der Staatsgewalt zum Opfer fielen, die ihr Leben ließen oder – nach der Zerschlagung des Aufstands – verhaftet und zu langen Gefängnis- oder Zuchthausstrafen verurteilt, verleumdet, kriminalisiert oder sozial benachteiligt wurden. Und wir denken heute auch an jene, die keinen anderen Ausweg sahen, als ihre Heimat, ihre Familien, ihre Freunde zu verlassen und in den Westen zu fliehen." Bis zum Mauerbau 1961 hätten rund 2,7 Millionen Menschen mit den Füßen abgestimmt und "Republikflucht" begangen.
Die Geschichte des 17. Juni zeige: Freiheitskämpfe verdienten nicht erst dann Respekt, wenn sie erfolgreich gewesen sind, sondern wenn sie stattfinden. "Und deshalb sind unsere Gedanken heute auch bei denen, die in diesen Tagen und Stunden dabei sind, sich ihre Freiheit zu nehmen – in Syrien, im Iran oder in Weißrussland."
Man verfolge auch die Ereignisse in der Türkei, einem Land, das Beitrittsverhandlungen mit der EU führe. Gelegentlich müsse man sich aber auch kritische Fragen zu "unserem Umgang" mit Demonstranten und Andersdenkenden gefallen lassen.
Die Gedenkstunde schloss mit der Nationalhymne, begleitet vom Blechbläserensemble der Universität der Künste Berlin. (vom/14.06.2013)