Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung des Menschenhandels und zur Überwachung von Prostitutionsstätten (17/13706) haben Sachverständige am Montag, 24. Juni 2013, einhellig abgelehnt. Die eingeladenen Experten sprachen sich in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses unter Vorsitz von Siegfried Kauder (CDU/CSU) gegen den Entwurf von CDU/CSU und FDP aus. Der Entwurf wurde zwar mehrheitlich als erster richtiger Schritt in die richtige Richtung bewertet, er benötige aber viele Nachbesserungen und sei inhaltlich oftmals ungenau.
Die Koalitionsfraktionen beabsichtigen mit dem Gesetzesentwurf einerseits, den Menschenhandel mit neuen Strafbestimmungen stärker zu bekämpfen und andererseits Prostitutionsstätten einer gewerberechtlichen Überwachung zu unterwerfen. Die Vorlage sieht beim Thema Menschenhandel eine Reihe von Neuerungen im Strafgesetzbuch vor.
So soll etwa Menschenhandel mit dem Ziel des Organhandels, der momentan lediglich als Beihilfe zu Straftaten nach dem Transplantationsgesetz strafbar ist, ausdrücklich unter Strafe gestellt werden. In die Neuregelungen einbezogen sind unter anderem auch Fälle von Menschenhandel zum Zweck der Bettelei und der Ausnutzung strafbarer Handlungen. Mit der Verschärfung dieser und anderer Strafvorschriften will man EU-Vorgaben zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel umsetzen.
Dr. Lea Ackermann, Vorsitzende der Hilfsorganisation Solwodi, kritisierte den Gesetzentwurf als unzureichend. Er müsse dringend erweitert werden. So forderte sie ein "bedingungsloses Aufenthaltsrecht" für Zwangsprostituierte aus Nicht-EU-Staaten, das nicht an die Aussagebereitschaft der Frauen gekoppelt ist. "Das ist das Mindeste, was wir den Frauen anbieten können", sagte Ackermann. Gerade bei Menschenhandel und Zwangsprostitution sei eine Strafverfolgung meist nur per Aussage des Opfers möglich.
Sabine Constabel von Gesundheitsamt Stuttgart sagte, der Entwurf könne das Elend in der Prostitution nicht mindern. Man müsse die Freier stärker in die Verantwortung bringen und dazu einen Blick nach Schweden werfen. Ebenso müsse man den Straftatbestand der Ausbeutung von Prostituierten ändern, das Mindestalter auf 21 Jahre anheben, mehr Sozialarbeiterinnen einstellen und Mietobergrenzen für Bordelle beziehungsweise Räumen in Bordellen einführen.
Die Rechtsanwältin Dr. Margarete von Galen sagte, der Gesetzentwurf erfasse nicht die schlimmsten Missstände, sondern werde nur zu einem "Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsstätten" führen. Sie kritisierte, dass in dem Gesetzentwurf von Prostitutionsstätten gesprochen werde, diese jedoch nicht weiter definiert würden. Ein Kritikpunkt, den alle Sachverständigen ankreideten.
Michael Heide vom Verein "Karo" sagte, die einzige Verbesserung des Entwurfs sei die Veränderung der Altersgrenze für Prostituierte in Paragraf 232 des Strafgesetzbuches. Wichtig sei die Änderung des Straftatbestandes in einen Verbrechenstatbestand, das erhöhe auch die Ermittlungschancen der Polizei. Allgemein forderte er eine bessere Anwendung der Gesetze vor Ort. Abstrakte Gesetze könnten nicht so viel ändern.
Stephanie Klee von der Agentur highLights lehnte den Entwurf komplett ab und nannte ihn einen "juristisch nicht durchdachten Schnellschuss". Sie forderte stattdessen ein Gesamtkonzept, das der Branche völlige Gleichstellung mit anderen Erwerbsbranchen eröffne und Rechtssicherheit biete. Das Grundgesetz garantiere die freie Wahl der Berufsausübung.
Carsten Moritz vom Bundeskriminalamt kritisierte den Entwurf ebenfalls. Es sei gut, dass die EU-Richtlinie nun umgesetzt werde, das Hauptproblem aber bleibe: Der Straftatbestand des Menschenhandels bleibe stark von der Opferaussage abhängig und diese sei schwierig zu erhalten. In diesem Sinne entspreche der Entwurf nicht dem Sinn der EU-Vorgabe.
Irmingard Schewe-Gerigk von Terre des Femmes stimmte den Forderungen von Lea Ackermann nach einem unbeschränkten Aufenthaltsrecht unabhängig von der Aussage der Prostituierten vor Gericht gegen ihre Zuhälter zu und forderte ebenfalls ein komplett neues Gesetzespaket. Vor diesem Hintergrund unterstützte sie einen Änderungsantrag der Grünen zu dem Gesetz.
Marc Schulte vom Berliner Bezirksamt Charlottenburg machte sich für die Einführung von rechtlichen und baulichen Mindeststandards von Bordellen stark. Dadurch könnten auch "bisher geschlossene Türen geöffnet" und die Kontrolle durch das Gewerberecht erleichtert werden. Insgesamt sei der Gesetzentwurf nur Stückwerk, in dem der "Bewusstseinswandel des Prostitutionsgesetzes von 2002 noch nicht angekommen ist".
Helmut Sporer von der Kriminalpolizei Augsburg sagte, das Prostitutionsgesetz von 2002 habe die Prostituierten in "eine Art staatliche Sklaverei gebracht". Vorher sei der Wille der Frau maßgeblich gewesen, nun habe der Bordellbetreiber dank des eingeschränkten Weisungsrechts des Arbeitgebers "einen Freibrief" über sie. Die Abschaffung des Weisungsrechtes wäre daher das Beste, sagte Sporer.
Der Entwurf sei nur ein erster symbolischer Schritt, in der Ausarbeitung sei er voller Schwachstellen. So sei Prostitution kein Gewerbe in eigentlichen Sinn, sondern eine höchstpersönliche Dienstleistung. Deshalb sei die Gewerbeordnung der falsche Regelungsweg. (jbb/25.06.2013)