Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Sebastian Edathy (Zweiter von rechts) mit NSU-Ausschussmitgliedern sowie Frank-Walter Steinmeier und Norbert Lammert (Mitte). © DBT/Melde
Aus Sicht von Sebastian Edathy hat der Untersuchungsausschuss, der das Versagen von Polizei und Geheimdiensten bei den Ermittlungen zu der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie durchleuchten soll, die Aufgabe, "wieder Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat wachsen zu lassen". In seiner Dankesrede zur Verleihung des Genς-Preises am Dienstag, 25. Juni 2013, in Berlin betonte der Vorsitzende, im Gremium herrsche fraktionsübergreifend die Überzeugung, dass es bei diesem Fall um "Kernfragen der Demokratie" gehe.
Die mit insgesamt 10.000 Euro dotierte Auszeichnung ging zur Hälfte als "Hoffnungspreis" an den SPD-Abgeordneten, der wegen seines persönlichen Einsatzes gegen Rechtsextremismus und stellvertretend für den Ausschuss für dessen hartnäckige Aufklärungsarbeit in der NSU-Affäre geehrt wurde.
Zum anderen erhielt Tülin Özüdoğru, deren Vater im Juni 2001 in Nürnberg erschossen wurde, einen "Versöhnungspreis". Verliehen wurden die Auszeichnungen von der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung in Kooperation mit der Deutsch-Türkischen Gesellschaft und der Allianz Kulturstiftung. Benannt ist der Preis nach der Solinger Familie Genς, die vor 20 Jahren bei einem Brandanschlag fünf Angehörige verlor.
Die Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert. Der CDU-Politiker meinte, im Umgang mit Minderheiten offenbare sich, wie es um die Substanz einer Demokratie stehe. Minderheiten hätten Rechte, "über die Mehrheiten nicht entscheiden können". Es müsse verhindert werden, so Lammert, dass Ausländerfeinde das Bild Deutschlands dominieren.
Edathy sagte, gegenüber den Opfern der Mordserie seien zwei wesentliche Versprechen des Rechtsstaats gebrochen worden: dass sich jeder Bürger darauf verlassen könne, der Staat tue alles für seinen Schutz, und dass alles getan werde zur Aufklärung, falls man diesem Auftrag nicht gerecht geworden sei.
Der Untersuchungsausschuss arbeite "schonungslos" die Fehler der Sicherheitsbehörden auf. Für die Zukunft müsse sichergestellt werden, dass sich Rechtsterrorismus nicht wiederholen könne.
Als Laudator bezeichnete es der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Frank-Walter Steinmeier als "dunkles Kapitel der Sicherheitsbehörden", dass der NSU mehr als zehn Jahre unentdeckt habe agieren können.
Was der Ausschuss geleistet habe, sei "beindruckend", so der frühere Außenminister. Die Abgeordneten seien oft auf "Widerstand und Schweigen" gestoßen, hätten aber "Stück für Stück Licht ins Dunkel gebracht" und dabei "manch beschämendes Versagen" offengelegt.
Mit tränengerührter Stimme unterstrich Tülin Özüdoğru, trotz der Mordserie und der Tötung ihres Vaters habe ihre Familie den Glauben an die Toleranz nicht verloren. In der Bundesrepublik sollten sich Menschen unterschiedlicher Herkunft, Rasse, Religion und Kultur die Hände geben, es gehe darum, die Vielfalt der Kulturen schätzen zu lernen.
"Ich liebe Deutschland", meinte die junge Preisträgerin, und jetzt erwarte sie ein "Zeichen der Gerechtigkeit", indem die Mordserie voll aufgeklärt werde.
"Die Signale der Gesellschaft sind an Ihrer Seite", sagte Armin Laschet an die Adresse der Opfer der Mordserie. Der Düsseldorfer Ex-Integrationsminister kritisierte die Polizei, weil sie bei den Ermittlungen lange Zeit nach Verbindungen zur Drogenszene und zur Mafia gesucht habe, wodurch die Ehre der betroffenen Familien beschädigt worden sei.
Der CDU-Politiker rief dazu auf, wie einst bei den gegen Ausländer gerichteten Attentaten Anfang der neunziger Jahre auch jetzt aus dem Fall NSU "kein parteipolitisches Kapital" zu schlagen. Laschet würdigte es, dass 1993 die Familie Genς und dieses Mal die Angehörigen der Opfer der Mordserie aus Einzeltätern keine verallgemeinernden Rückschlüsse auf alle Deutschen zögen.
Prof. Dr. Mehmet Sağlam gab sich überzeugt, dass die Anschläge das Zusammenleben von Türken und Deutschen hierzulande sowie die deutsch-türkische Freundschaft nicht gefährden. Man dürfe diese Vorfälle nicht vergessen, so der Vizepräsident des türkischen Parlaments, aber nicht zum Gegenschlag ausholen. Vielmehr solle man vorbeugend aktiv werden, um in Zukunft so etwas zu verhindern.
Frau Genς richtete einen Versöhnungsappell an Deutsche und Türken: "Ich hasse dieses Land nicht", obwohl sie in ihrer Familie fünf Todesopfer habe beklagen müssen: "Dieses Land ist unser Land geworden." (kos/25.06.2013)