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"Es ist ein starkes Stück, dass er eingesperrt wurde, ohne offizielle Anklageschrift, ohne offiziell das Verfahren zu eröffnen", sagt Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) über den inhaftierten türkischen Journalisten und Politiker Mustafa Balbay, für den sie im Rahmen des Programms "Parlamentarier schützen Parlamentarier" eine Patenschaft übernommen hat. Damit ist die 47-Jährige eine von mehr als 40 Bundestagsabgeordneten, die sich für verfolgte Parlamentarier und Menschenrechtsaktivisten weltweit einsetzen.
Vogelsangs Ziel: Die unzumutbaren Haftbedingungen und Vorverurteilungen im Fall Balbays öffentlich zu machen und so den internationalen Druck auf die Türkei zu erhöhen, dass der 53-Jährige nach inzwischen vier Jahren Gefängnis wieder freikommt. "Er setzt sich wie die Demonstranten auf dem Taksim-Platz für elementare Freiheiten ein. Das möchte ich unterstützen."
Den Vorwurf, Balbay habe sich an einem Komplott beteiligt, um die Regierung von Premierminister Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen, findet Vogelsang, die seit 2009 dem Bundestag angehört, absurd. Seine Inhaftierung sei klar politisch motiviert: "Er hat einfach nur kritisch über die Regierung geschrieben."
Das aber beharrlich: Mustafa Balbay gehört zu den wohl profiliertesten und bekanntesten türkischen Journalisten. Er verfasste vor allem Zeitungskolumnen, veröffentlichte Bücher und arbeitete als Kommentator für Fernsehen und Radio – bis er im März 2009 wegen des Verdachts auf Kontakt zum "Ergenekom"-Netzwerk, einer mutmaßlichen Untergrundorganisation, verhaftet wurde.
Seitdem sitzt Balbay, ohne je rechtskräftig verurteilt worden zu sein, im Gefängnis. Seit 2011 sogar in Einzelhaft. Im Dezember 2012 wurde eine Urteilsverkündung angesetzt, dann aber wieder verschoben. Immer wieder gibt es Meldungen, denen zufolge Balbay offenbar gehindert wird, sich mit seinem Anwalt auszutauschen, und das Gericht mögliche Entlastungszeugen aufgrund von Arbeitsüberlastung nicht mehr anhören will.
Die Vorwürfe, Terrorstraftaten begangen zu haben, hat Balbay stets bestritten. Er sei darauf gefasst gewesen, einmal einem Terrorattentat zum Opfer zu fallen – ähnlich wie sein früherer Kollege bei der Zeitung "Cumhuriyet", der Investigativjournalist Uğur Mumcu, sagte Balbay einmal. Mumcu war 1993 durch eine Autobombe ums Leben gekommen. "Ich habe aber nicht erwartet, selbst zum Terroristen erklärt zu werden."
Aufmerksam auf Balbays Schicksal und aktiv werden ließ Vogelsang, die dem Petitions- sowie im Gesundheitsausschuss angehört, eine Delegationsreise: Zusammen mit sieben anderen Mitgliedern des Petitionsausschusses war die Abgeordnete aus Berlin-Neukölln für vier Tage im Oktober 2012 nach Istanbul und Ankara gereist – eigentlich, um sich ein Bild über die Lage der syrischen Flüchtlinge zu machen.
Doch dann rückte die Lage der Menschenrechte und der Minderheiten in der Türkei mehr und mehr in den Mittelpunkt: "Sie stand auch bei unseren Gesprächen mit Regierungsvertretern stark im Fokus", erinnert sich Vogelsang. Die Parlamentarier besuchten unter anderem die armenisch-türkische Zeitung "Agos", deren Chefredakteur und Gründer Hrant Dink 2007 ermordet worden war, und nutzten die Gelegenheit, Mustafa Balbay im Silivri-Gefängnis bei Istanbul zu besuchen.
Doch nur zwei Mitglieder der Delegation wurden zu ihm gelassen: Steffen-Claudio Lemme (SPD) und Memet Kilic (Bündnis 90/Die Grünen), die sich schon länger über das Patenschaftsprogramm des Bundestages für den Inhaftierten einsetzen. "Sie öffnen ein Fenster zu meiner Zelle", habe Balbay zu ihnen gesagt, berichtete Kilic später in einem Interview mit der Zeitschrift "Publik-Forum".
Überstürzt habe das Justizministerium vor dem Besuch aus Deutschland die Isolationshaft aufgehoben, unter der Balbay bereits seit Februar 2011 gestanden habe, so Kilic. Obwohl er zwar inhaftiert, aber noch nicht verurteilt ist, durfte der Regimekritiker bei der Wahl für das türkische Parlament kandidieren. Im Juni 2011 wurde Balbay tatsächlich als Abgeordneter der Oppositionspartei CHP gewählt. Das Amt antreten jedoch kann nicht.
Der Fall Balbay empört Vogelsang: "Freiheit und Rechtsstaatlichkeit spielen für mich eine große Rolle, und es geht einfach nicht, dass jemand in einem Land wie der Türkei ohne Angabe von Gründen, nur weil er dem herrschenden Despoten nicht passt, inhaftiert wird", stellt sie klar. Wie auch Lemme und Kilic habe sie während der Delegationsreise im Kontakt mit Regierungsvertretern und Parlamentariern immer wieder die Sprache auf Balbay gebracht – allerdings ohne erkennbare Reaktion ihrer Gesprächspartner.
"Man hört sich unsere Meinung an, aber eine Antwort erhält man eigentlich nicht", räumt Vogelsang ein. Kein Grund jedoch, locker zu lassen. Als Mitglied der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe nutzt sie jede Möglichkeit – zuletzt einen offiziellen Gedankenaustausch mit dem türkischen Botschafter – das Schicksal des Journalisten zu thematisieren. "Ich habe es auch gegenüber unserem Außenminister und unserer Kanzlerin angesprochen", sagt Vogelsang.
Vor allem aber setzt sie große Hoffnung auf eine von Steffen-Claudio Lemme im Frühjahr dieses Jahres für Balbay initiierte Petition, mit der sich dieser direkt an den Bundestag richtet. "Er fordert, dass bei den deutsch-türkischen Beziehungen demokratische Entwicklungen und Rechtsstaatlichkeit beachtet werden müssen", schreiben Lemme, Kilic und Vogelsang in einer gemeinsamen Mitte Juni veröffentlichten Pressemitteilung.
Dabei kritisiere Balbay explizit die Dauer der Untersuchungshaft und die Tatsache, dass er als ein vom Volk gewählter Politiker an der Ausübung seines Mandats gehindert werde. Die Petition ist nun überfraktionell mit dem höchsten Votum an die Bundesregierung zur Berücksichtigung übergeben worden. "Wir erwarten von Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle, gerade in Bezug auf die aktuelle Lage in der Türkei, dass sie sich für diese Grundrechte einsetzen", heißt es in der Presseerklärung weiter.
Stefanie Vogelsang formuliert es so: "Balbay und die türkische Regierung sollen wissen, dass in Deutschland sehr wohl wahrgenommen wird, dass er keine Stimme mehr im Parlament hat. Diese Stimme können wir natürlich nicht von hier aus ersetzen. Aber flüstern schon."
Ganz bewusst setzt sie sich auch mit ihren Kollegen von der SPD und den Grünen für Balbay ein: "So etwas hat mit Parteipolitik nichts zu tun, das muss überfraktionell sein." (sas/09.08.2013)