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Bundesratspräsident Stephan Weil (SPD), hat Bundestag und Bundesregierung aufgerufen, dem NPD-Verbotsantrag der Länderkammer doch noch beizutreten. Im Moment schade es eher dem Bundestag und der Bundesregierung, dass sie sich dem Antrag nicht angeschlossen haben, sagt der niedersächsische Ministerpräsident in einem am Montag, 18. November 2013, erschienenen Interview der Wochenzeitung "Das Parlament". Das Interview im Wortlaut:
Herr Ministerpräsident, derzeit laufen zwischen Union und SPD im Bund Koalitionsverhandlungen. Im Bundesrat hat Schwarz-Rot keine Mehrheit – ein Makel?
Nein. Das ist ein Auftrag an die Bundespolitik, sich in Zukunft noch genauer bei besonders wichtigen Fragen mit der Länderebene abzustimmen. Ich sehe das als Chance. Bei den ganz großen Fragen, die wir in den nächsten Jahren lösen müssen, sollten wir jeweils maximalen Konsens anstreben. Die Energiewende zum Beispiel wird uns über viele, viele Legislaturperioden hinweg beschäftigen. Hier brauchen wir Verlässlichkeit und Planungssicherheit, gleichzeitig aber ein konsequentes, möglichst konsensuales Hinarbeiten auf einen möglichst hohen Anteil erneuerbarer Energien.
Muss sich Niedersachsen, wo Sie mit den Grünen koalieren, im Bundesrat bei Abstimmungen über Vorlagen einer Großen Koalition öfter als bisher enthalten?
Das werden wir sehen. Das hängt sehr von der Qualität der Vorschläge von der Bundesseite ab. Im Bundesrat werden Länderinteressen vertreten. Auch bislang hat sich Niedersachsen nicht primär an Parteimaximen, sondern an Landesinteressen orientiert. Eine Regel aber gilt in allen Koalitionen: Wenn sich die Koalitionspartner in Einzelfragen nicht einig sind, enthält sich das betroffene Land.
Anders gefragt: Wie stark können etwa die Grünen, die in sechs Landesregierungen sitzen, bei einer Großen Koalition über den Bundesrat im Bund mitregieren?
Das ist eine Form von Einfluss, die ohne Frage besteht. Da viele wichtige Vorhaben der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, ist die Bundespolitik gut beraten, die Verhältnisse im Bundesrat mitzubedenken. Das heißt unter den gegebenen Bedingungen nicht nur zu schauen, ob man sich bei einer möglichen Großen Koalition zwischen Union und SPD einig ist, sondern auch Vorschläge zu unterbreiten, die für andere Parteien, namentlich für die Grünen, akzeptabel sind.
Sie sagten, abgestimmt wird nach Landesinteressen. Der Bundesrat ist aber ein Bundesorgan. Überwiegen die Landesinteressen oder der Blick aufs große Ganze?
Das ist ganz interessant: Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hat in der letzten Sitzung des Bundesrates eine statistische Auswertung der Vorhaben vorgenommen, die in den vergangenen Jahren vom Bundesrat beraten worden sind. Weit über 90 Prozent der behandelten Punkte haben im Bundesrat Zustimmung gefunden. Also: Die Zahl der Konfliktfälle zwischen den Ländern und der Bundesebene ist überschaubar.
Schaut man weiter zurück, hat man doch den Eindruck, dass sich das Abstimmungsverhalten im Bundesrat nicht selten nach parteipolitschen Erwägungen richtet.
Es mag durchaus Phasen gegeben haben, in denen strategische Interessen insbesondere von Parteizentralen auch die Arbeit des Bundesrates stark dominiert haben. Das kann ich derzeit nicht erkennen und würde es für die Zukunft auch nicht empfehlen.
Was halten Sie von früheren Vorschlägen, das Grundgesetz so zu ändern, dass der Bundesrat Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fassen kann und Enthaltungen nicht mehr wie Nein-Stimmen wirken?
Ich finde, Änderungen sollte man nur dann in laufenden Systemen vornehmen, wenn davon Verbesserungen zu erwarten sind. Die jetzt geltenden Spielregeln im Bundesrat sind bekannt, erprobt und haben sich alles in allem bewährt. Deswegen sehe ich hier aktuell keinen Änderungsbedarf.
Änderungsbedarf sehen Sie aber beim Kooperationsverbot, das dem Bund untersagt, dauerhaft im Bildungsbereich zu investieren. Bei Ihrer Antrittsrede als Bundesratspräsident kritisierten Sie das jüngst als "vorsintflutlich". Wie groß sind die Chancen einer Korrektur?
Wenn ich die Antwort der Bundesregierung durch Herrn Pofalla zur Grundlage nehme, stehen die Chancen nicht schlecht. Er hat zum Ausdruck gebracht, dass man darüber gut reden könne. Der Bundesgesetzgeber hat innerhalb von weniger als fünf Jahren zweimal einen von allen gewünschten Erfolg nur mit größten Verrenkungen realisieren können, weil das Kooperationsverbot des Grundgesetzes einer pragmatischen Lösung entgegen gestanden hat. Die Beispiele waren der Ausbau frühkindlicher Förderung und das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder mit besonderem Förderbedarf. Wenn eine Verfassungsregelung solche Praxistests nicht besteht, muss sie geändert werden.
Ohnedies ist ja der Ruf nach einer Föderalismuskommission III zu hören, auch zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen nach Auslaufen des Solidarpakts 2019. Rechnen Sie mit einer solchen Kommission?
Ich würde gerne erst einmal die Koalitionsverhandlungen und ihr Ergebnis abwarten wollen. Es ist durchaus möglich, dass in diesem Zusammenhang bereits einiges thematisiert wird, was ansonsten Gegenstand einer Föderalismuskommission wäre.
Erwarten Sie von den Koalitionsverhandlungen auch erste Weichenstellungen zur Zukunft des Solidaritätszuschlags?
Ja, das erwarte ich. Wir reden von einem Volumen von etwa zwölf Milliarden Euro jährlich. Es scheint – richtigerweise – Konsens zu sein, dass der Soli über 2019 fortdauern soll. Er muss dafür auf eine sichere verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden. Es scheint auch einen großen Konsens zu geben, dass wir künftig Regionen mit besonderen Strukturproblemen in den Blick nehmen müssen, unabhängig davon, ob sie zu den neuen Ländern zählen oder nicht.
Welche Themen stehen im Bund-Länder-Verhältnis noch auf der Agenda?
Ich hatte aus guten Gründen in meinen Antrittsworten im Bundesrat das Stichwort Bildung deutlich in den Vordergrund geschoben. Bildung wird in den nächsten Jahrzehnten die zentrale Herausforderung für unsere Gesellschaft sein. Wir werden weniger junge Leute haben. Die logische Schlussfolgerung lautet: Wir müssen sie umso besser ausbilden, damit unsere Wirtschaft auch künftig erfolgreich sein kann. Die Länder tragen den Löwenanteil der Bildungsausgaben – mehr als 70 Prozent. Die Kommunen sind durch die frühkindliche Förderung sehr beansprucht. Wir müssen zu einer aufgabenorientierten, auskömmlichen Finanzierung von Ländern und Kommunen im Bereich Bildung gelangen. Dazu wird sich der Bund bewegen müssen. Wir brauchen mehr Spielräume für eine gute Ausstattung der Schulen, für eine gute Versorgung mit Lehrern, für eine gute frühkindliche Förderung.
Dafür erhoffen Sie sich auch erste Weichenstellungen bei den Koalitionsverhandlungen?
So ist es. Die Dringlichkeit der Aufgabe lässt sich nicht bestreiten.
Themenwechsel: Der NPD-Verbotsantrag des Bundesrates soll im Dezember beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden. Wie sehr schadet es der Bundesratsposition, dass Bundestag und Bundesregierung sich dem Antrag nicht angeschlossen haben?
Im Moment schadet es eigentlich eher dem Bundestag und der Bundesregierung, weil der Eindruck entsteht, die Länder seien bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus aktiver als die Bundesebene. Diesen Eindruck sollte man nicht entstehen lassen.
Das heißt, die Bundesebene sollte sich dem Antrag doch noch anschließen?
Ja.
Sie sind zuversichtlich, dass der Antrag nicht wie im ersten Anlauf scheitert?
Wenn wir diese begründete Zuversicht nicht hätten, würden wir das Verfahren nicht beginnen.
(sto/18.11.2013)