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Karl Otto Götz (geb. 1914 in Aachen, lebt und arbeitet in Niederbreitbach-Wolfenacker, Westerwald, Professor em. an der Kunstakademie Düsseldorf) ist einer der bedeutendsten Vertreter der informellen Malerei, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten die Kunstszene in Deutschland wesentlich bestimmte. Der Maler hat in späteren Jahren weit über diese stilistische Zuschreibung hinaus ein eigenständiges einprägsames Werk von seltener Dichte geschaffen. Einen Höhepunkt seines Spätwerkes bildet eine in den Jahren 1990 und 1991 geschaffene Folge von drei großformatigen Arbeiten. Als erste Arbeit entstand "Jonction - 3.10.90". Im folgenden Jahr erfuhr sie eine Fortsetzung um zwei Variationen: "Jonction II" und "Jonction III". K.O. Götz bezeichnete die drei Gemälde mit dem aus dem Französischen kommenden Wort Jonction (Wiederanknüpfung), das stärker als der Begriff "Wiedervereinigung" die Annäherung beider Teile Deutschlands als einen länger währenden Prozeß herausstellt. Mit diesen drei Arbeiten schuf er einen völlig neuen Bildtypus, der sich als "informelles Historienbild" (Christoph Zuschlag) bezeichnen ließe. Das Ungewöhnliche, Neue an dessen Gestaltungsprozeß ist die Einbindung eines historischen Ereignisses: Karl Otto Götz hat "Jonction - 3.10.90" unmittelbar unter dem Eindruck der Feiern zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 in seinem Atelier gemalt, "in einem Zug […], ungestört, als Erinnerung an diesen Tag", wie er in seinen "Erinnerungen" schreibt.
Diese drei Arbeiten gründen in mehrfacher Hinsicht auf der von K.O. Götz zu Beginn der 50er Jahre entwickelten Maltechnik und -konzeption. Bis zu seinem Vorstoß zur informellen Malerei hatte K.O. Götz in den 30er und 40er Jahren figürlich und nur gelegentlich abstrakt gearbeitet. Im Jahre 1952 zeigte er auf der legendären Ausstellung der Künstlergruppe "Quadriga" in der Frankfurter Zimmergalerie Franck erstmals seine abstrakten Lackbilder. Kurz darauf entwickelte er die für seine späteren Arbeiten und auch für die "Jonction"-Reihe so charakteristische Mal- und Rakeltechnik. Diese erfolgt im wesentlichen in drei Schritten: Der Maler trägt dünnflüssige Farbe mit dem Pinsel auf die mit Kleister versehene Leinwand auf. Danach schleudert er mit einem Rakel (eine Gummiplatte an einem Holzgriff) in sekundenschnellen Arbeitsschritten auf bestimmten Farbflächen die Farbe weg und stellt anschließend mit einem trockenen Pinsel Passagen zwischen gemalten und mit dem Rakel auseinander gezogenen Farbfeldern her. Mit dieser Arbeitsweise will K.O. Götz jedoch kein Psychogramm im Sinne einer "Écriture automatique" offenlegen, da die einzelnen Arbeitsschritte bewußt gesteuert und die Bildideen oft eine längere Zeit vorbereitet sind. Die Vorbereitung beginnt mit der Entwicklung einer Bildidee, die als Bildschema skizzenhaft auf kleinen Zetteln entsteht. Dann beginnt die Realisierung, häufig zunächst als Gouachen-Serie, dann auf der Leinwand. Der Maler spielt die Bildidee in immer wieder neuen Anläufen durch, bis ihn das Ergebnis überzeugt. Oft entstehen so am Ende als Ergebnis des immer wieder neuen Ausprobierens geradezu musikalische Variationsfolgen. Gelegentlich analysiert K.O. Götz seine Arbeitsweise zusätzlich detailliert, beispielsweise in dem Text "Positiv - Negativ" aus dem Jahre 1959:
"Ich schreibe die erste Bildfaktur mit flüssiger Farbe und breitem Pinsel auf hellen Fond: Positiv. (Würde ich es hierbei lassen, wäre ich bestenfalls ein Kalligraph.) Danach schreibe ich mit einem Rakel ins Positive hinein: Negativ. Die negative helle Faktur verbindet sich mit dem Fond und bewegt ihn. Bisher positiv Erscheinendes wird nun stellenweise negativ und umgekehrt. Manche Kontraste dieser ambivalenten Bildfaktur provozieren beim Betrachter dreidimensionale Raumillusionen, die jedoch, wenn man ihnen folgt, sich selbst ad absurdum führen. Mit leerem Pinsel schreibe ich ein drittes Mal ins noch nasse Bild und verbinde Scheinbar-Positives mit Scheinbar-Negativem. Nun verlieren die Kontraste ihren Raumillusions-Charakter und stellen nichts weiter mehr dar als ein Mehr oder Weniger an aufgetragener, weggekratzter und weggeschleuderter, in den Grund gekratzter oder gestauter Farbe. Auch der scheinbar leere Fond enthält noch Spuren von Farbe und ist kein Fond mehr im klassischen Sinne. Die Bildfaktur wurde zu einer Hell-Dunkel-Modulation, die keinerlei Formelemente mehr enthält, sondern nur noch aus Hell-Dunkel-Passagen besteht."
"Nichts weiter mehr […] als ein Mehr oder Weniger an […] Farbe", radikaler läßt sich das Wesen seiner Malerei nicht auf den Punkt bringen. Dieses Selbstverständnis und die beschriebene Technik sind unschwer in der "Jonction"-Reihe wiederzuerkennen - und doch treten auch markante Unterschiede hervor: Zumindest die erste Arbeit aus der Reihe ist präzise mit dem Datum ihrer Entstehung auf der Vorderseite des Gemäldes bezeichnet. Der Künstler selbst beschreibt die Entstehung des Gemäldes als spontanen Akt freudiger Emotion und Erinnerung. Und der Titel bildet im Unterschied zu den ansonsten bei K.O. Götz üblichen Phantasie-Titeln eine verbale Brücke zum historischen Ereignis. "Jonction II" und "Jonction III" hingegen sind bald nach dem Ereignis entstanden, aber nicht mehr spontan-emotional, sondern als eine bewusste reflexive Weiterentwicklung des ersten Bildes im Sinne einer seriellen Variation - und infolgedessen tritt das historische Datum nicht mehr in Erscheinung.
Eine besondere Konstellation hebt Jonction III aus der Dreierserie dieser Jonction-Bilder heraus. Am 10. Juli 2005 fand in der Karlskirche Zweibrücken die Uraufführung eines Musikstückes statt, welches der Komponist Roland Kunz als "Laudatio" dieses Gemälde komponiert hatte. Klänge von Keybords, Vibraphon Electronics und Percussions-Instrumenten mit der Musik eines klassischen Violinen-Trios lassen, kontrastreich und in Verschmelzung, das Thema der "Wiederanknüpfung" freudig und nachdenklich zugleich erklingen.
Somit ist mit der "Jonction"-Reihe eine einzigartige Werkgruppe entstanden, die eine faszinierende Balance zwischen konkretem Historienbild und abstraktem Farbereignis hält: Der dynamische Farbstrom von links, der Wirbel beim Aufprall auf die kompakte herabstürzende Form und das sich dahinter in Farbschlieren aufhellende, wenngleich nicht ungetrübte Feld lassen durchaus an den Fall der Mauer und seine Folgen sowie an die ihn herbeiführende Kraft der Bürgerbewegung denken. Sie lassen aber auch auf einer abstrakteren Ebene die geistige und emotionale Erregung angesichts dieser Stürme der Geschichte nachempfinden. Und zugleich ist die Bildreihe Ausdruck einer rein malerischen Vitalität und Dynamik, die keiner weiteren Begründung bedarf und nichts weiter darstellt "als ein Mehr oder Weniger an aufgetragener, weggekratzter und weggeschleuderter, in den Grund gekratzter oder gestauter Farbe."
Text: Andreas Kaernbach
Jonction eins zwei drei
Zum 3. Oktober 1990
Schwarze Rhythmen von links nach rechts
Drängen - Befreiung und Sturz einer
Dauerlüge
Zwei Landschaften küssen sich
Zurück bleiben graue Schleier träge
In Erwartung blitzschneller
Wunder
Blaue Rhythmen von rechts nach links
Das geht nicht
Befreite Schleier drängen zum Sturz eines Wunders
Verlogene Trägheit blitzt zwischen den Rhythmen
Eine Landschaft erwartet den Kuß der andern
Braune Rhythmen rechts und links
Orange zwischen Sturz und Befreiung
Schnelle Lügen drängen nach Wundern
Träge Schleier erwarten Küsse
Von zwei Landschaften
Die nichts mehr trennt
1990
aus: K.O. Götz, Zungensprünge - Gedichte 1945-1991, Aachen 1992
Karl Otto Götz, Jonction III, 1991,Mischtechnik auf Leinwand (zweiteilig), 200x520 cm
Leihgabe der K.O. Götz und Rissa-Stiftung
Dank an Prof. Karin Götz (Rissa) und Joachim Lissmann