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Berlin: (hib/JOH) Zahlreiche Sachverständige haben sich am Montagnachmittag im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit gegen eine von der Bundesregierung geplante Änderung des Baugesetzbuches ausgesprochen, mit der die Unterbringung von Flüchtlingen ab 2015 auch in Gewerbegebieten und Außenbereichen von Siedlungen ermöglicht werden soll. Initiiert hatte der Bundesrat das Vorhaben durch einen Gesetzentwurf (18/2752), der eine zeitlich befristete Änderung des Bauplanungsrechts vorsah. Der Bundestag stimmt am Donnerstagnachmittag darüber ab.
In der öffentlichen Anhörung sahen viele Experten die geplante Neuregelung als nicht geeignet an, um die Unterbringung von Flüchtlingen angemessen zu organisieren. So betonte etwa Tine Fuchs vom Deutschen Städte- und Handelskammertag e.V., es gehe nicht allein darum, Flüchtlinge unterzubringen, sondern es sei auch wichtig, sie in die Gesellschaft zu integrieren. Flüchtlinge sollten daher am besten in Wohnungen in zentraler Lage untergebracht werden. Um Wohnraum zu schaffen, sei der Ausbau der Städtebauförderung das Mittel der Wahl, um die Probleme bei der Unterbringung mittel- und langfristig zu lösen, argumentierte Fuchs.
Katharina Stamm von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) sprach sich ebenfalls dafür aus, Asylsuchende nach dem Erstaufnahmeverfahren möglichst in eigenen Wohnungen unterzubringen. Dies ermögliche die gesellschaftliche Teilhabe von Anfang an. Stamm wies zudem darauf hin, dass das geltende Bauplanungsrecht bereits jetzt Spielräume in unterschiedlichen Baugebieten zur Unterbringung von Flüchtlingen zulasse. So gebe es bereits Gemeinschaftsunterkünfte in Gewerbegebieten oder im Außenbereich. Die Erfahrungen damit zeigten jedoch, dass eine Unterbringung an ungeeigneten Standorten „zu Desintegration und Ausgrenzung der Bewohner“ führe. Eine bundesweite Regelung zur Erleichterung von Bauvorhaben in Gewerbegebieten und im Außenbereich lehnte Stamm daher trotz der angespannten Unterbringungssituation ab. Stattdessen forderte auch sie die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus „mit modernen Konzepten“.
Nach Ansicht von Katharina Vogt vom AWO Bundesverband e.V. ist die Überlegung einer ausnahmsweise möglichen Unterbringung von Asylbewerbern in Gewerbegebieten „nur schwer in Einklang zu bringen mit der Zielsetzung der neuen Willkommenskultur, die auf Respekt und Anerkennung aller neu Angekommenen aufbauen muss“. Sie forderte, Flüchtlinge in einem Umfeld unterzubringen, das Stigmatisierung und Re-Traumatisierung vermeidet. Unter anderem müsse die Aufnahme von Flüchtlingen in Privatwohnungen erlaubt werden, „bei ausreichender sozialer Betreuung und gesicherter Beratung“. Die dauerhafte Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften könne allenfalls befristet eine Lösung sein, Flüchtlingsunterkünfte in Industriezonen, Gewerbegebieten und Randlagen seien ungeeignet.
Vogt forderte zudem die Schaffung bundesweit verbindlicher Standards im Hinblick auf Art und Qualität der Unterkünfte. So müssten diese ausreichend in die Infrastruktur eingebunden sein, Kinder und Jugendliche müssten Kindertageseinrichtungen und Schulen gut erreichen können.
Auch Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte mahnte an, dass der Staat bei der Standortbestimmung von Flüchtlingsunterkünften die Rechte der Betroffenen in den Blick nehmen müsse. Wenn Gemeinschaftsunterkünfte künftig auch in Gewerbegebieten oder in Außenbereichen zulässig seien, bestehe die Möglichkeit, dass Menschen nicht nur vorübergehend, sondern über längere Zeiträume in der Abgeschiedenheit von Gewerbegebieten oder Stadträndern lebten.
Das Ziel, die Unterbringung von Flüchtlingen zeitnah und rechtssicher zu erleichtern und ihnen ein „Dach über dem Kopf zu geben“, könne durch das Gesetzesvorhaben vermutlich erreicht werden, merkte Cremer an, „das Ziel menschenrechtskonformer Unterkünfte hingegen nicht“.
Ben Rau vom Bayerischen Flüchtlingsrat äußerte die Befürchtung, dass das Gesetz die schwierige Situation in vielen deutschen Flüchtlingsunterkünften noch verschärfen werde. Schon jetzt seien viele „nicht geeignet“. So hätten traumatisierte Flüchtlinge oft keine Orte der Ruhe und Privatsphäre. „Desintegration“, warnte Rau zudem, führe zu wirtschaftlichen und sozialen Folgekosten, die am Ende die ganze Gesellschaft tragen müsse.
Eindeutig für den Gesetzentwurf sprachen sich in der Anhörung zwei Sachverständige aus, darunter Hilmar von Lojewski von der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände. Das Vorhaben ermögliche es den Kommunen, zeitnah und rechtssicher Unterkünfte für die Flüchtlinge zu schaffen, sagte er. Die Nutzung von Flächen in Gewerbegebieten und im Außenbereich von Siedlungen würde zudem nur „ultima ratio“ sein. Es gehe nicht darum, Flüchtlinge von vornherein in diese Bereiche zu drängen, sondern die Zahl der verfügbaren Flächen für die Schaffung von Unterkünften zu erweitern. Vorzugsweise sollten Flüchtlinge immer möglichst dezentral beziehungsweise in Wohngebieten untergebracht werden.
Zur Kritik an der Unterbringung in Gewerbegebieten sagte von Lojewski, die meisten Gewerbegebiete in Deutschland hätten eine maximale Größe von 80 bis 12o Hektar. „Da kommt jeder fußläufig rein und wieder raus.“ Flüchtlinge seien also nicht völlig abgeschieden von einer Gemeinde und könnten Schulen, Bushaltestellen oder Supermärkte gut erreichen.
Rüdiger Junge von der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt bezeichnete die Neuregelungen aus Hamburger Sicht als „unverzichtbar“. Er schilderte in der Anhörung die aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen angespannte Lage in seiner Stadt. So werde Hamburg in diesem Jahr schätzungsweise 5.200 Flüchtlinge aufnehmen müssen, mehr als doppelt so viele wie noch 2012 und in den Jahren zuvor. Dazu kämen rund 1.050 minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge. „Führt man sich diese Zahlen vor Augen, dann wird deutlich, dass die Bereitstellung von Unterkünften in Ballungszentren wie Hamburg mit einem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt eine große Herausforderung darstellt“, sagte Junge. Es sei daher notwendig, durch Erleichterungen im Baugesetzbuch geeignete Flächen für Unterkünfte „schneller, einfacher und rechtssicherer als bisher“ zur Verfügung zu haben.
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