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Peter Raue warnt vor der „Schere im Kopf“


Der Terror und das Internet führen zu einer substanziellen Gefährdung der Meinungsfreiheit. Aber nicht von den Reaktionen des Staates oder der Gerichte gehe die Bedrohung aus, sondern von der „Schere im Kopf“ eines jeden Einzelnen. Prof. Dr. Peter Raue warnte in seinem Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe "W-Forum" (Video) der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages am Dienstag, 12. Mai 2015, vor der Selbstzensur aus Angst vor Gewalt oder Entrüstungsstürmen im Internet.

Auch das 21. Jahrhundert sei nicht von der Auseinandersetzung zwischen Kunst- und Meinungsfreiheit einerseits und der Religionsfreiheit andererseits frei. „Schmerzlich wurde das jedem im Januar bewusst“, führte Prof. Dr. Ulrich Schöler, Leiter Wissenschaft und Außenbeziehungen der Bundestagsverwaltung, in die Veranstaltung zum Thema "Religionsfreiheit - Meinungsfreiheit - Kunstfreiheit" ein. Damit bezog sich Schöler auf den Mordanschlag auf die Redaktionsräume des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo, der zahlreiche Opfer gefordert hatte.

„Wie frei darf die Kunst sein?“

Wie solche Taten, aber auch inwiefern die aktuelle Rechtsprechung die Ausübung der drei Grundrechte Religions-, Meinungs- und Kunstfreiheit berühren, sollte der Rechtsanwalt, Kunstkenner und Kunstmäzen Peter Raue erläutern. „Wie frei darf die Kunst sein?“, fragte Schöler den Gastredner, der sich über Jahre öffentlich und wissenschaftlich mit dem Thema auseinandergesetzt habe.

Natürlich müsse nicht alles gemacht werden, was durch die Freiheitsrechte erlaubt sei, führte Raue dazu aus. Eine Selbstbeschränkung aus voreiliger Rücksicht – „eine freiwillige Reduzierung“ – gefährde jedoch diese Freiheit. Als Beispiele nannte der Rechtsanwalt unter anderen die Diskussion im Jahr 2009 über die umstrittene Idomeneo-Aufführung der Deutschen Oper Berlin, in der die abgeschlagenen Köpfe von Mohammed, Buddha und Jesus dargestellt wurden. Aus Sorge vor Anschlägen war die Aufführung gestrichen und erst im Jahr 2010 wieder in den Spielplan aufgenommen worden.

„Alle Fragen sind offen“

Auch die Entscheidung der Tageszeitung New York Times als Reaktion auf den Anschlag auf die Redaktionsräume des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo, auf eine Abbildung von Mohammed-Karikaturen des Magazins zu verzichten, nannte Raue. Er bewertete dies nicht, sondern illustrierte damit seinen Vortrag zur Situation der Meinungs-, Kunst und Religionsfreiheit im rechtlichen und gesellschaftlichen Diskurs. Freimütig gestand er ein, dass „alle Fragen offen“ sind, denn es gebe nicht in jedem juristischen Streitfall und nicht in jeder gesellschaftlichen Auseinandersetzung die eine richtige Antwort.

Bereits zu Beginn seines Vortrages stellte Raue fest, dass die aus Juristensicht erstrebenswerte Antwort nach „praktischer Konkordanz“ der Grundrechte zueinander schwer zu erreichen sei. „Das ist eine Frage, auf die keine Antwort gefunden werden kann“, sagte Raue. Praktische Konkordanz meint, dass ein Grundrecht so wenig wie möglich auf Kosten eines anderen Grundrechtes gehen darf. Passiert dies, dann sollen die kollidierenden Rechte im besten Fall in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.

„Gewalt macht Karikaturen nicht unzulässig“

Endlos seien die Fälle, die das Bundesverfassungsgericht über die vergangenen Jahrzehnte verhandelt habe, die die Kollision der Grundrechte zum Thema hatten. Einen raschen Überblick gewährte der Rechtsanwalt mit der Beschreibung verschiedener Fälle um die drei Freiheiten. Im Hinblick auf die Satire stellte er fest, dass diese sowohl das Recht auf Meinungsfreiheit als auch das Recht auf Kunstfreiheit für sich in Anspruch nehme.

Nehme eine Satire den Islamismus auf das Korn oder gebe diese eine Antwort auf Phänomene terroristischer Betätigung, dann sei das Grundrecht auf Religionsfreiheit nicht davon betroffen. Es gebe also keinen Verbotsgrund dafür in Deutschland. Auch das Hinzuziehen des sogenannten Gotteslästerungsparagrafen 166 im Strafgesetzbuch ändere nichts an dem Sachverhalt. Maßregelung könne nur erfahren, wer öffentlich den Inhalt eines religiösen Bekenntnisses beschimpft oder durch eine Tat den öffentlichen Frieden störe. Dass Islamisten Karikaturen zum Anlass für Gewalt nehmen, „macht Karikaturen nicht unzulässig“. (eis/12.05.2015)