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Nach wochenlanger öffentlicher Debatte war es am Donnerstag, 3. April 2014, endlich soweit. Nun waren die Parlamentarier am Zug, sich im Bundestagsplenum zu jenem Rentenpaket der Bundesregierung zu äußern, das, seitdem erste Details daraus im Januar bekannt wurden, die Gemüter teilweise heftig erregt. Der Gesetzentwurf mit dem korrekten Titel "Rentenversicherung-Leistungsverbesserungsgesetz" (18/909) stand zur ersten Lesung an.
Mit ihm will die Bundesregierung Verbesserungen in vier Bereichen durchsetzen: Erstens sollen Arbeitnehmer, die 45 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, ab 1. Juli 2014 abschlagsfrei mit 63 Jahren in Rente gehen können. Zweitens soll die Erziehungsleistung für vor 1992 geborene Kinder bei der Rentenberechnung stärker berücksichtigt werden, nämlich mit zwei statt bisher einem Entgeltpunkt pro Kind. Drittens ist eine Erhöhung der Erwerbsminderungsrente und viertens eine Anhebung des Reha-Budgets geplant.
Vor den Abgeordneten war jedoch die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD), an der Reihe, die Vorzüge des Gesetzentwurfes zu erläutern. "Das Rentenpaket hat die klare Aussage: Wir schließen mit der Anerkennung von Lebensleistung eine Gerechtigkeitslücke." Damit bezog sie sich vor allem auf die abschlagsfreie Rente mit 63 und die sogenannte Mütterrente. Beide Projekte hätten ja bereits hohe Wellen geschlagen, stellte Nahles fest.
Den Vorwurf, diese verletzten den Generationenvertrag, wies sie jedoch entschieden von sich. Im Gegenteil, beide Projekte stünden explizit in dessen Geist. "Wer Kinder erzogen hat, hat auch seinen Beitrag zum Generationenvertrag geleistet. Und wer 45 Jahre gearbeitet und in die Rentenversicherung eingezahlt hat, hat ebenfalls seinen Beitrag zum Generationenvertrag geleistet. Das sieht auch die Mehrheit der jungen Generation so", betonte Nahles selbstbewusst.
Der vielfach geäußerten Kritik, die Rente mit 63 löse eine massenhafte Frühverrentung aus, entgegnete sie: "Wir haben überhaupt kein Interesse daran, dass diese Regelung dafür ausgenutzt wird" und verwies auf das weitere parlamentarische Verfahren. Ihre Fraktionskollegin Carola Reimann verwies in diesem Zusammenhang auf das Motto "Reha vor Rente", an dem sich die Bundesregierung orientiere. Denn das sei ein zentraler Baustein dafür, wenn man von einer längeren Arbeitsdauer rede und diese auch ermöglichen wolle, sagte Reimann.
Für Die Linke stellte Matthias W. Birkwald zufrieden fest: "Endlich diskutieren wir mal nicht über Kürzungen, sondern über Leistungsverbesserungen." Er wäre jedoch nicht in der Opposition, wenn er dieser Zufriedenheit nicht ein großes "Aber" hinterher schieben würde. Und so unterstellte er der Bundesregierung zwar viele "gute Absichten", jedoch würden diese im Gesetzentwurf schlecht umgesetzt. So würden Frauen in Ost und West 25 Jahre nach dem Fall der Mauer bei der Mütterrente immer noch unterschiedlich behandelt.
Auch die Unterscheidung zwischen vor und nach 1992 geborenen Kindern kritisierte er und forderte: "Jedes Kind muss der Gesellschaft gleich viel wert sein." In der Beitragsfinanzierung der Mütterrente sah er einen weiteren "großen Konstruktionsfehler", der dazu führe, dass dieses Geld dann bei einer "echten Armutsbekämpfung" fehle. Birkwald warf der Regierung vor, sich nicht an "das große Loch im Fundament der Rentenversicherung" zu wagen und spielte damit auf das sinkende Sicherungsniveau der Rente an. "Diese Abwärtsspirale muss gestoppt werden", forderte er.
Karl Schiewerling (CDU/CSU) verlangte von der Opposition und den außerparlamentarischen Kritikern: "Hören Sie endlich mit dem Unfug auf, zu behaupten, die Mütterente werde nur aus Beiträgen der Rentenversicherung bezahlt." Er begründete dies mit dem Bundeszuschuss an die Rentenversicherung von 82 Milliarden Euro jährlich, in dem 12,8 Milliarden Euro für Kinderziehungszeiten vorgesehen sind. Schon heute leiste der Staat also seinen Beitrag zur Mütterrente.
Der Kritik, die Rente mit 63 würde vergangene Reformen, insbesondere die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre, aushebeln, entgegnete der CDU-Abgeordnete: "Zentrale Botschaft auch dieses Gesetzentwurfs ist es, dass wir an der Rente mit 67 festhalten." Die Bedingungen dafür hätten sich nicht geändert, sagte er in Bezug auf die demografischen Veränderungen der Gesellschaft.
Die Grünen kritisierten das Rentenpaket als "Mogelpackung", weil es darin nicht um die Lebensleistung aller gehe, sondern nur um die Lebensleistung mancher, betonte deren Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Sie forderte: "Schauen Sie genau hin, wenn es um Gerechtigkeit geht" und fragte: "Warum hört Ihr Gerechtigkeitssinn ausgerechnet bei denen auf, die Hilfe am dringendsten brauchen?"
Frauen, die wenig verdient haben oder auch Ostdeutsche mit lange unterbrochenen Erwerbsbiografien würden einfach vergessen, ein Konzept für eine armutsfeste Rente besitze die Regierung offenbar nicht, so Göring-Eckardt. Wie ihre Vorredner betonte auch sie die Notwendigkeit, flexiblere Übergänge in die Rente zu schaffen. (che/03.04.2014)