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Mit dem Isaf-Mandat endet zum Jahreswechsel der langjährige Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll die Truppe jedoch vorerst weiter am Hindukusch präsent bleiben – nunmehr allerdings deutlich verkleinert auf bis zu 850 Soldaten und mit dem Fokus auf Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte, die selbst die Verantwortung für die Sicherheit im Lande tragen sollen.
Über einen entsprechenden Antrag der Bundesregierung (18/3246) zur Beteiligung der Bundeswehr an der Isaf-Nachfolgemission „Resolute Support Mission“ beriet der Bundestag am Freitag, 5. Dezember 2014, in anderthalbstündiger Debatte. Zugleich wurde mit einem Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD (18/3405) zum zivilen Aufbau in Afghanistan deutlich, dass die deutsche Unterstützung sich bei weitem nicht auf das Militärische beschränken soll.
Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) bestritt in seiner Bestandsaufnahme des Engagements in Afghanistan nicht die nach wie vor bestehenden Probleme: In Teilen des Landes floriere nach wie vor die „Drogenökonomie“, Korruption lähme die Modernisierung, in einigen Teilen herrsche nach wie vor Gewalt, es gebe immer noch radikal-islamistischen Taliban: „Aber ist das die ganze Wahrheit?“
Die Lebenserwartung sei von 45 auf 60 Jahre gestiegen, die Mütter- und Kindersterblichkeit deutlich gesunken, immer mehr Afghanen hätten Zugang zu Bildung, medizinischer Grundversorgung, Zivilgesellschaft und Medienlandschaft hätten sich vielfältig entwickelt. „Wir haben dieses Land nicht im Chaos versinken lassen“, sagte Steinmeier.
Die Isaf-Nachfolgemission sei kein Kampfeinsatz, sondern folge als Ausbildungs- und Trainingsmission der Philosophie, dass die afghanischen Sicherheitskräfte nunmehr selbst verantwortlich für die Sicherheit sind. Deutschland sei darüber hinaus bereit, ab 2015 jährlich 150 Millionen Euro für die Stärkung der afghanischen Sicherheitskräfte sowie bis 2016 jährlich weitere 430 Millionen Euro für den zivilen Aufbau bereitzustellen.
Wolfgang Gehrcke (Die Linke) kritisierte, dass die anderen Fraktionen nicht bereit seien, sich „schonungslos Rechenschaft“ über die deutsche Beteiligung an Isaf abzulegen. Deutschland habe am Hindukusch nicht seine Sicherheit verteidigt, sondern einen Krieg geführt. „Ein Krieg gegen den Terror ist nicht zu gewinnen“, das sei die zentrale Erkenntnis des Einsatzes, sagte Gehrcke.
Die Terrorgefahr sei heute größer als 2001, das Vorrücken des IS im Nahen Osten habe seine Wurzeln auch im Krieg in Afghanistan. Auch das Argument, Menschenrechte zu schützen, sei fragwürdig: „Glauben Sie im Ernst Sie könnten Menschenrechte mit einem Krieg verteidigen?“ Gehrcke kritisierte, dass die „Resolute Support Mission“ kein Abzugsmandat sei, sondern ein Mandat dafür, dass der Krieg fortgesetzt werde.
Thomas Silberhorn (CSU), parlamentarischer Staatsekretär im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, machte deutlich, dass es „ohne Entwicklung keinen Frieden, und umgekehrt ohne ein Mindestmaß an Sicherheit keine Entwicklung“ geben könne. Beim neuen Mandat gehe es darum, „Sicherheit durch fremde Kräfte in Sicherheit aus eigener Kraft“ umzuwandeln.
Silberhorn betonte zudem, dass die deutschen Hilfen für den zivilen Aufbau an konkrete Fortschritte in der Bekämpfung des Drogenanbaus und der Korruption gekoppelt und mit einem klaren Bekenntnis der afghanischen Regierung zu Demokratie und Menschenrechten verbunden sei.
Auch Frithjof Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) sprach davon, dass sich in Afghanistan mittlerweile „sehr vieles zum Guten“ entwickelt habe. Eine zentrale Fehleinschätzung sei anfangs der Glaube gewesen, man könne die Taliban militärisch besiegen. „Diese Strategie ist militärisch gescheitert, sie hat dem Vertrauen in die internationalen Truppen geschadet, und sie hat eine politische Lösung jahrelange mehr blockiert als gefördert“, sagte Schmidt.
Er stellte klar, dass seine Fraktion die Pläne der Koalition zum weiteren zivilen Aufbau in Afghanistan unterstütze. Das RSM-Mandat nannte Schmidt jedoch „gefährlich unklar“ – weder fuße es auf einem UN-Mandat, noch lege es sich explizit auf ein Datum zum endgültigen Abzug fest und es lasse zudem offen, ob sich Bundeswehrsoldaten an Operationen der afghanischen Armee beteiligen. Schmidt warnte vor der Gefahr, dass RSM in „komplizierte Kampeinsätze“ verwickelt werden könnte. Ohne klare Exit-Strategie drohe ein „Abrutschen auf schiefer Ebene“.
Philipp Mißfelder (CDU/CSU) entgegnete, dass es vorerst noch nicht „ohne militärische Maßnahmen“ gehe.
Das sei eine der wichtigsten Lehren aus dem Irak: „Es war ein Fehler, Hals über Kopf abzuziehen, das Ergebnis ‚Islamischer Staat‘ sehen wir heute.“ Einen solchen Fehler „dürfen wir in Afghanistan nicht begehen“.
Hans-Peter Bartels (SPD) warnte mit Blick auf den friedlichen Regierungswechsel in diesem Jahr in Afghanistan vor einem „hochmütigen Glauben“, die Afghanen seien nicht zur Demokratie und zur Entwicklung ihres Landes fähig. Bartels lenkte den Blick jedoch auf äußere Faktoren: Der Westen dürfe sich nicht von Afghanistan abwenden – genauso wichtig für die friedliche Entwicklung aber sei die Eindämmung des radikalislamistischen Terrors in Syrien und im Irak und auch die Bekämpfung solcher Kräfte im Nachbarland Pakistan.
Der Antrag der Bundesregierung zur Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission „Resolute Support“ wurde in die Ausschüsse überwiesen. An der neuen Operation sollen sich ab 1. Januar 2015 neben Nato-Mitgliedsstaaten weitere 14 Nationen beteiligen, insgesamt sollen rund 12.000 Soldaten eingesetzt werden. Mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen bei Ablehnung der Linksfraktion wurde zudem der Antrag der Koalitionsfraktionen zur deutschen Hilfe beim zivilen Aufbau in Afghanistan angenommen.
CDU/CSU und SPD machen sich darin dafür stark, das Land weiterhin mit den Mitteln und Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit und der außenpolitischen Stabilisierung „auf hohem Niveau“ zu unterstützen. „Ohne weitere Entwicklungsfortschritte wird es keine dauerhafte selbsttragende Sicherheit in Afghanistan geben“, schreiben die Abgeordneten. Als drittgrößter bilateraler Geber Afghanistans stehe Deutschland zu seiner Verantwortung, das Land als verlässlicher Partner in der sogenannten Transformationsdekade hin zu einer friedlichen und nachhaltigen Entwicklung zu unterstützen.
Diese Unterstützung sei allerdings „kein Blankoscheck“: Der Bundestag erwarte von den afghanischen Partnern „die Fortsetzung der bei der Konferenz in Tokio vereinbarten Reformen im Bereich Regierungsführung und Wirtschaftspolitik, insbesondere ein klares Bekenntnis zu einer friedlichen, demokratischen und nachhaltigen Entwicklung, die Beachtung der Menschenrechte und mit Nachdruck die Bekämpfung der Korruption und des Drogenanbaus“. (ahe/05.12.2014)