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Bundestagsvizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (FDP), Autoren Ursula Weidenfeld und Michael Sauga © DBT/Melde
"Mir fällt nur ein Thema ein, das genauso komplex ist wie die globale Finanzkrise", sagte Dr. Hermann Otto Solms (FDP), Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Vater dreier Töchter, "und das sind pubertierende Kinder." Damit sorgte Solms, selbst gelernter Banker, gleich zu Beginn des ansonsten sehr ernsten Abends im Lesesaal der Bibliothek des Deutschen Bundestages für eine kurze Auflockerung. Die Lesung der früheren Impulse-Chefredakteurin Ursula Weidenfeld sowie des Spiegel-Wirtschaftschefs Michael Sauga, durch die Solms am Mittwoch, 21.November 2012, als Moderator führte, gab ansonsten wenig Anlass für Heiterkeit. Denn in ihrem aktuellen Buch mit dem Titel "Gelduntergang. Wie Banken und Politik unsere Zukunft verspielen" nehmen die beiden Journalisten den Leser in einer anschaulichen und klaren Sprache mit auf eine Reise in die gegenwärtige Finanz- und Schuldenkrise und erläutern Fehler, Irrtümer und Versagen durch die Akteure aus Politik und Finanzwirtschaft.
Manch einer im bis auf den letzten Platz gefüllten Lesesaal mochte sich dabei an einen Horrortrip erinnert gefühlt haben. Denn in ihren für die Lesung ausgewählten Passagen analysierten die Buchautoren minutiös die alarmierende Verflechtung von Politik und Finanzindustrie, deren Konsequenzen längst noch nicht ausgestanden sind.
Bei der Suche nach Ursachen der aktuellen globalen Finanz- und Schuldenkrise zeigten sich Weidenfeld und Sauga bemüht um eine differenzierte Sichtweise.
Zwar bezeichneten sie die USA als Ursprungsort, konkret den langjährigen US-Notenbankchef Alan Greenspan. "Dessen Politik verband die weitgehende Deregulierung der Finanzwirtschaft mit ihrer größtmöglichen Subventionierung", sagte Sauga. Doch zugleich betonte er, dass sich andererseits Deutschland und weitere europäische Staaten an den USA ein "schlechtes Beispiel" genommen und ebenfalls mit einer Deregulierung der Märkte sowie einer falsche Geldpolitik die Weichen für die Krise diesseits des Atlantik gestellt hätten.
Dementsprechend lasen die Autoren gleichermaßen aus Kapiteln über die Genese der Krise in den USA sowie in Europa. Sichtlich betroffen machte die Zuhörer dabei vor allem die durch Weidenfeld und Sauga herausgearbeitete Analogie des Irrglaubens an grenzenloses Wachstum – diesseits wie jenseits des Atlantiks. Ließen sich etwa die Finanzexperten um den damaligen US-Notenbank-Chef Alan Greenspan Ende der neunziger Jahre vom Time Magazine als "Team von Superhirnen" feiern und Greenspan als "Schamane der Märkte", war die gleiche Gruppe ein Jahrzehnt später als eine "größenwahnsinnige Elite entzaubert, die glaubte, die Weltformel gefunden zu haben", wie Ursula Weidenfeld betonte.
Zur gleichen Zeit wurde auch in Deutschland "die Gier der Banker durch die Politik unterstützt, und es hielt eine Risikokultur Einzug, die zur Entfesselung der Kapitalmärkte nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa führte", ergänzte Michael Sauga und führte den heute designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück exemplarisch für viele damals gleichdenkende Politiker an.
Während Steinbrück heute moniere, so Sauga, dass Gewinne im Finanzsektor privatisiert würden, Verluste hingegen jedoch sozialisiert, läsen sich ältere Aussagen Steinbrücks völlig anders. So habe er sich als Bundesfinanzminister in der Großen Koalition für den Abbau "überflüssiger Regulierungen" im Finanzsektor ausgesprochen. Eine Ansicht, die fraktionsübergreifend von vielen Abgeordneten geteilt worden sei. Mit der Liberalisierung der Märkte in Deutschland hätten die Kreditinstitute Risiken angehäuft "wie nie zuvor in der Geschichte", ergänzte Sauga.
Skeptisch äußerte er sich auch zur aktuellen Eurokrise. Diese sei "in einem Stadium einer großen Wette". Diese könne entweder ein gutes Ende nehmen, falls die südeuropäischen Staaten wieder auf die Beine kämen. "Oder es gelingt ihnen nicht, und die Währungsunion fliegt auseinander. Wie es ausgeht, weiß ich nicht", räumte Sauga ein.
Ursula Weidenfeld mahnte in diesem Zusammenhang, den moralischen Zeigefinger gegenüber den südlichen Nachbarn in Europa nicht zu hoch zu heben. "Es wurde nicht viel gelernt aus der Vergangenheit", sagte sie und ergänzte mit Blick auf die Schuldenkrise in Griechenland: "Trotz der hohen Steuereinnahmen hat Deutschland ein Staatsdefizit. Von Deutschland als Vorbild zu reden, würde ich daher als mutig bezeichnen." (jmb/22.11.2012)