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Berlin: (hib/SKE) Contergan-Geschädigte haben höhere Renten, eine bessere Beteiligung an Entscheidungen und vereinfachten Zugang zu Hilfsmitteln und Assistenz gefordert. Mehrere Opfer-Vertreter haben am Freitagnachmittag in der Anhörung des Familienausschusses zur Contergan-Studie der Universität Heidelberg deutlich gemacht, dass sie sich immer noch nicht ausreichend von Politik und Gesellschaft gehört fühlen. Das Institut für Gerontologie der Ruprecht Karls Universität Heidelberg hatte mehrere hundert Betroffene unter anderem erstmals nach den Folgeschäden ihrer Behinderungen gefragt.
„Ich möchte, dass unsere Situation endlich richtig verstanden wird“, sagte Bianca Vogel, zweifache Dressur-Weltmeisterin im Behindertenweltsport. Sie sei in ihrer Kindheit ein „interessantes medizinisches Anschauungsobjekt“ gewesen, habe Operationen und schlechte Prothesen ertragen müssen. „Um meinen Alltag überhaupt erträglich gestalten zu können, bin ich auf starke Schmerzmittel angewiesen.“ Schon das Aufstehen sei für ihn wie ein Marathonlauf, sagt auch Udo Herterich vom Interessenverband Contergangeschädigter NRW. „Unsere Lebensqualität entspricht heute der eines 85-Jährigen.“ Er kritisierte das Punktesystem, nach dem die Opfer in Rentenstufen eingeordnet werden. Zudem forderte er eine Erhöhung der Renten sowie einen Hilfsfonds beispielsweise für den behindertengerechten Umbau von Wohnungen. Die am Mittwoch vom Koalitionsausschuss beschlossenen Zuschüsse von 120 Millionen Euro bezeichnete er als „entlastende Soforthilfe“. Auch Christian Stürmer vom Contergannetzwerk Deutschland bedankte sich für die angekündigten Gelder, die „eine kleine Revolution“ darstellten. Er appellierte an die Abgeordneten, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Margit Hudelmaier vom Bundesverband Contergangeschädigter forderte schnelle Entscheidungen zugunsten der Opfer. „Die Forschung hat auch gezeigt, dass uns die Zeit davon läuft.“ Die Situation der Contergangeschädigten sei schlechter als ohnehin schon befürchtet.
870 Personen hätten sie schriftlich befragt und fast 300 Betroffene hätten in persönlichen Interviews über ihre Situation Auskunft gegeben, erklärte Professor Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg, den Umfang der Studie. Die Forscher hätten sich außerdem mit mehr als 60 Ärzten unterschiedlicher Disziplinen ausgetauscht. „Wir brauchen eine eindrucksvolle Kompensationsgeschichte“, fasste er seine Erfahrungen zusammen. Die Opfer hätten gelernt, mit schweren Beeinträchtigungen weitgehend selbstständig zu leben und seien dabei überdurchschnittlich gut gebildet. Allerdings hätten sie ihre Gelenke in einer Weise einsetzen müssen, wie es von der Natur nicht vorgesehen sei. Das habe zu „massiven funktionellen Einschränkungen“ und „chronischen Schmerzen, die zum Teil auf einer Skala als unerträglich eingestuft werden“ geführt. Wichtig sei es daher, dass die Renten für Contergan-Geschädigte angehoben werden und die Rehabilitationsmaßnahmen einfacher und umfangreicher gefördert würden.
Professor Klaus Peters von der Rhein-Sieg-Klinik in Nürnbrecht plädierte dafür, die Folgeschäden bei der Berechnung der Renten künftig zu berücksichtigen. Sie seien „vor der Studie noch gar nicht so benannt“ worden. Contergan-Opfer müssten ohne die Hilfe der Familie leben können, daher sei es notwendig, dass sie ausgebildete Assistenten bezahlen könnten. Schon bei kleinen Dingen würden ihnen oft Steine in den Weg gelegt. Parkausweise für Behinderte würden ihnen in der Regel verweigert, weil sie selbst laufen könnten. Dabei werde nicht berücksichtigt, dass dies nur über kurze Strecken und nur unter Schmerzen möglich sei.
Rechtsanwalt Oliver Tolmein hinterfragte die vom Koalitionsausschuss in Aussicht gestellten 120 Millionen Euro für die Opfer. Die Summe erscheine ihm willkürlich, es hätten genauso gut 150 oder 200 Millionen Euro sein können. Der von der damaligen Bundesregierung mit dem Conterganstiftungsgesetz angestrebte Rechtsfrieden sei nicht erreicht worden. Er forderte eine materielle Verbesserung für die Opfer und die stärkere Einbeziehung der Betroffenen in Entscheidungen.
Gernot Kiefer vom GKV-Spitzenverband gestand Probleme ein. Die Finanzierung von Hilfsmitteln, Hör- und Sehhilfen sowie Zahnersatz gehörten dazu. Die Beteiligten müssten gemeinsam „Gebiet für Gebiet durchschauen“ und sehen, welche Regeln geändert werden könnten. In manchen Fragen sei der Gesetzgeber zuständig, auch wenn es um den Abbau von Bürokratie gehe. Meike Hansen vom Gemeinsamen Bundesausschuss wies darauf hin, dass die 2011 geänderte Heilmittelrichtlinie als Entlastung für Contergan-Opfer gedacht sei, die nun weniger bürokratische Hürden bei der Beantragung immer wieder notwendiger Heilmittel wie Krankengymnastik und Massagen in Kauf nehmen müssten.
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