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Berlin: (hib/SCR) Bei einer Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwochnachmittag haben die geladenen Experten überwiegend Handlungsbedarf im Sexualstrafrecht hinsichtlich der Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention konstatiert. Hintergrund ist ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/1969), der unter anderem eine Änderung des §177 StGB fordert. Nach Ansicht der Antragssteller besteht im Strafgesetz eine Lücke in den Fällen von sexueller Nötigung beziehungsweise Vergewaltigung, in denen das Opfer zwar seinen entgegenstehenden Willen ausdrückt, der Täter aber kein Zwang einsetzen muss, um sein Vorhaben umzusetzen. Damit werden nach Ansicht der Antragssteller zum Beispiel Fälle, in denen das Opfer nur mit Worten widerspricht, überrascht wird oder vor Angst erstarrt ist, nicht erfasst. Dies sei aber genau Sinn von Artikel 36 des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (Istanbul-Konvention).
In der Anhörung waren sich die geladenen Experten vor allem hinsichtlich der Strafbarkeitslücke in Bezug auf überraschende Angriffe überwiegend einig. Gemeint sind damit zum Beispiel überraschende, ungewollte Griffe in den Intimbereich Dritter. In anderen Bereichen variierten die Aussagen deutlich. Birgit Cirullies, Leitende Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft Dortmund, und Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, sprachen sich gegen eine Reform aus. Laut Cirullies umfasst die bestehende Norm schon zahlreiche Fälle. In ihrer Stellungnahme schreibt die Staatsanwältin, dass kaum Fälle denkbar seien, in denen das Opfer ausdrücklich „Nein“ sage, die Handlungen dann aber hinnehme. Meist ließe sich auf bestehende Zwangslagen wie Gewalt, Drohung oder die schutzlose Lage abstellen. Eine Erweiterung der Norm, so Cirullies, könne zu einer „ausufernden Strafverfolgung“ führen, ohne praktische Verbesserung oder besseren Schutz für die Opfer mitzubringen. Es seien - aufgrund der Beweisproblematik - eher mehr Einstellungen oder Freisprüche zu erwarten. Fischer betonte, dass eine Gesetzesänderung weder rechtspolitisch erforderlich sei, noch sich aus den Vorgaben der Istanbul-Konvention ergebe. Der Verweis der Befürworter auf aus ihrer Sicht falsche Urteile begründe noch keine Schutzlücke. Die Rechtsprechung zu der betreffenden Norm habe sich in den vergangenen Jahren entwickelt und würde viele der vermeintlich nicht gedeckten Fälle abdecken.
Gregor Eisenhuth, Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München, bejahte bei der Anhörung eine Lücke im Strafrecht, mahnte aber ein behutsames Vorgehen an. In der Regel handle es sich um Fälle, in denen Aussage gegen Aussage stehe. Bei der Strafverfolgung auf den „entgegengestellten Willen“ abzustellen, sei schwierig, denn auch der Täter müsse diesen Willen erkennen können und dies müsse auch nachweisbar sein. Es brauche in der Strafverfolgung weiterhin objektive Anknüpfungspunkte. Eisenhuth warnte davor, per Strafrecht ein Signal setzen zu wollen, denn letztlich bliebe die Kritik an den Strafverfolgungsbehörden hängen, wenn die Verurteilungsquote weiter sinke.
Deutlich für eine Novellierung der Norm sprachen sich Rechtsanwältin Christina Clemm und Katja Grieger, Leiterin des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe - Frauen gegen Gewalt e.V., aus. Clemm verwies darauf, dass für Opfer schon eine Anerkennung der Strafbarkeit wichtig sei und nach aktuellem Stand eben zahlreiche Übergriffe nicht strafbar seien. Sie sprach sich für eine Regelung aus, nach der ein - auch für den Täter - deutlich erkennbares „Nein“ („No means No“) die Strafbarkeit begründe. Ein Zustimmungserfordernis („Yes means Yes“) lehnte sie als zu weitgehend ab. Grieger verwies auf eine Analyse ihrer Organisation von 107 Fällen, in denen angezeigte sexuelle Übergriffe entweder eingestellt oder der angebliche Täter im Verfahren wegen Nicht-Erfüllung des Straftatbestands freigesprochen wurden. Es werde auf den Widerstand, die Gegenwehr der Opfer abgestellt, was aber der weiblichen Sozialisation nicht entspräche. Grieger forderte zudem, eine Verlaufsstatistik einzurichten, um zum Beispiel Verurteilungsquoten und Ähnliches besser bewerten zu können.
Der Rechtswissenschaftler Jörg Eisele von der Eberhard Karls Universität Tübingen stellte ebenfalls eine mögliche Strafbarkeitslücke fest und schlug eine Reformulierung vor, mit der auch andere Normen im StGB gestrichen werden könnten. Der Rechtswissenschaftler Joachim Renzikowski von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mahnte ebenfalls eine Veränderung an. Mögliche Beweisprobleme, die dadurch auftreten könnten, seinen insofern unproblematisch, als dass sie jetzt auch schon bestünden.
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