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Der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Ernst Uhrlau hat nach eigenen Worten erstmals Anfang 2006 erfahren, dass die National Security Agency (NSA) mit Hilfe seiner Behörde europäische Ziele auszuspähen versuchte. Der damalige Leiter der Abteilung Technische Aufklärung beim BND, Dieter Urmann, habe ihn über verdächtige Vorgänge bei der Überwachung des kabelgestützten Datenverkehrs informiert, die der BND seit 2004 gemeinsam mit dem US-Geheimdienst betrieb, berichtete Uhrlau am Freitag, 12. Juni 2015, dem NSA-Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU).
„Vorfälle als Fehler eingestanden“
Uhrlau war von 1999 bis 2005 als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt tätig und anschließend bis zu seiner Pensionierung im Dezember 2011 Präsident des BND.
Wie Urmann ihm in einem Gespräch 2006 mitgeteilt habe, hatte die Abteilung Technische Aufklärung festgestellt, dass einige der von der NSA gelieferten Suchbegriffe zur Überwachung des Glasfasernetzes der Telekom Unternehmen oder Behörden in Ländern der Europäischen Union betrafen. Die amerikanische Seite habe die Vorfälle als Fehler eingestanden, sich entschuldigt und versprochen, so etwas werde nicht wieder vorkommen.
Der BND habe seither regelmäßig Stichproben genommen, aus denen im Laufe der Zeit eine „Ausschlussliste“ problematischer Suchmerkmale entstanden sei. Uhrlau erklärte, er gehe davon aus, dass er damals auch seinen Nachfolger als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Klaus Dieter Fritsche, von dem Vorgang informiert habe. Genau erinnern könne er sich allerdings nicht.
Uhrlau skizzierte die Entwicklung der Geheimdienstzusammenarbeit zwischen den USA und Deutschland seit der Jahrtausendwende. Bereits vor den Anschlägen vom 11. September 2001 sei im Prinzip vereinbart gewesen, dass der BND die bis dahin von den Amerikanern betriebene Abhöranlage in Bad Aibling übernehmen, die dort gewonnenen Erkenntnisse allerdings weiterhin mit der NSA teilen solle. In Bad Aibling wird der satellitengestützte Datenverkehr überwacht, der Fokus richtet sich auf Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens.
Grundlage der Kooperation sei die gegenseitige Verpflichtung gewesen, dass keine Seite Bürger, Institutionen oder Unternehmen der jeweils anderen ausspähen dürfe, sagte Uhrlau. Die Amerikaner hätten zugesagt, sich auf deutschem Boden an deutsches Recht zu halten. Für die deutsche Seite sei darüber hinaus klar gewesen, dass andere Länder der Europäischen Union den BND nichts angingen.
Das sei allerdings anders als der Schutz deutscher Grundrechtsträger keine rechtliche Verpflichtung gewesen, sondern eine Geste des guten Willens. Dass die Amerikaner sich diesen Vorbehalt auch zu eigen gemacht hätten, sei nicht anzunehmen.
Unter dem neuerdings bekannt gewordenen Stichwort „Eikonal“ kam dann 2004 die Kooperation bei der Überwachung der kabelgestützten Kommunikation zustande. Der BND habe damit wenig Erfahrung gehabt und sei dankbar gewesen für die Unterstützung der NSA, berichtete Uhrlau. Die rechtlichen Bedenken des Netzbetreibers Telekom wurden mit einem von Uhrlau unterzeichneten „Freibrief“ aus dem Kanzleramt ausgeräumt.
Die Auswertung der Glasfaserdaten sei wesentlich ergiebiger gewesen als die Abschöpfung satellitengestützter Kommunikation in exotischen Weltregionen von Bad Aibing aus. Allerdings sei hier auch die Gefahr viel größer gewesen, das grundgesetzlich geschützte deutsche Fernmeldegeheimnis zu verletzen oder auch europäische Interessen.
Der BND habe daher stets vorsichtig agiert. Möglicherweise auch wegen dieser Vorhalte sei die amerikanische Seite mit den Resultaten unzufrieden gewesen und habe seit Ende 2007 darauf gedrungen, die Zusammenarbeit wesentlich zu intensivieren. Dies habe der damalige Kanzleramtschef, Dr. Thomas de Maizière (CDU), mit Rücksicht auf die deutsche Rechtslage abgelehnt.
Die USA hätten daraufhin Mitte 2008 die Zusammenarbeit eingestellt. Die Reaktion de Maizières „spricht Bände“, meinte Uhrlau. Sie sei ein Hinweis darauf, dass das Kanzleramt bereits damals das Problem des ungezügelten Wissensdrangs der NSA im Blick hatte.
Bereits am Donnerstag, 11. Juni, nahm der heutige BND-Vizepräsident Guido Müller seine Behörde gegen den Vorwurf des „Landesverrats“ in Schutz. Zugleich bekannte er sich dazu, Fehlleistungen rückhaltlos aufzuklären. Zu Beginn seiner Vernehmung sagte Müller, es gebe keinen Hinweis darauf, dass seine Kollegen ihren täglichen Dienst mit der Frage anträten: „Wie können wir heute die deutsche und internationale Rechtsordnung verletzen?“
Müller war von Mitte 2007 bis April 2013 als Referatsleiter in der Abteilung 6 des Bundeskanzleramtes mit der Aufsicht über die Nachrichtendienste befasst. In seine Zuständigkeit fielen unter anderem Fragen der Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln, Organisierten Kriminalität und Wirtschaftsspionage.
Der BND sei Dienstleister für Regierung, Parlament und Bevölkerung, sagte Müller. Seine Beschäftigten verdienten für ihre Arbeit den gleichen Respekt wie andere Menschen. Fehlleistungen bei der Überwachung der weltweiten Kommunikation in Zusammenarbeit mit der National Security Agency (NSA), von denen derzeit in den Medien die Rede ist, seien in keinem Fall bösem Vorsatz zuzuschreiben.
Der BND sei für seine Arbeit auf das Vertrauen der Menschen in Deutschland angewiesen, die Aufklärung möglichen Versagens daher in seinem „ureigenen Interesse“. Sofort nach Bekanntwerden der Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden im Juni 2013 habe sich BND-Präsident Gerhard Schindler persönlich an die Spitze der „Taskforce Aufklärung“ gesetzt. Er habe freilich die Sorge, dass durch die derzeitige Diskussion „unsere Kooperation im internationalen Bereich Schaden nehmen“ könne, sagte Müller.
Zuvor hatte der frühere Referatsleiter im Kanzleramt, Dr. Thomas Kurz, dem Ausschuss berichtet, er habe in seiner Dienstzeit von problematischen Aspekten der Zusammenarbeit zwischen BND und NSA nichts wahrgenommen. Kurz war zwischen Januar 2005 und Juli 2008 unter anderem zuständig für allgemeine Lageinformation und Auftragssteuerung des BND.
Er habe in diesen Jahren lediglich gewusst, dass es eine Kooperation mit der NSA gab. Er habe aber „in keiner Weise“ Kenntnis von einzelnen Operationen oder weiteren Details dieser Zusammenarbeit besessen. Er sei dafür auch nicht zuständig gewesen. Ihm sei ebenso allgemein klar gewesen, dass die „technische Überwachung“ des Datenverkehrs eine wichtige Rolle in der Arbeit des BND spielte. Aber methodische Einzelheiten wie der Einsatz von „Selektoren“ seien ihm unbekannt gewesen.
Kurz hatte in Abstimmung mit anderen interessierten Ressorts, dem Auswärtigen Amt, dem Verteidigungs- und gelegentlich auch dem Innenministerium, das Auftragsprofil des BND zu erarbeiten und jährlich zu aktualisieren. Darin sind die Prioritäten für die Arbeit des Auslandsnachrichtendienstes festgelegt. Das Auftragsprofil gibt Auskunft darüber, an welchen Informationen der Bundesregierung jeweils am meisten gelegen ist. Doch über die Methoden der Erkenntnisgewinnung sagt es nichts.
Kurz hatte auch die Qualität der sogenannten „Ausgangsberichte“ des BND zu überwachen. Dabei handelte es sich freilich um kondensierte Analysen, die nicht mehr erkennen ließen, welche Informationen darin eingeflossen und mit welchen Methoden diese gewonnen waren. Auch der Anteil von Erkenntnissen, die sich der Kooperation mit der NSA verdankten, sei daraus „in keiner Weise“ ersichtlich gewesen, sagte Kurz. Allgemein habe freilich die „relativ strikte Regel“ gegolten, dass der BND sich mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht zu befassen hatte. „Ich habe das kennengelernt als ein ehernes Gesetz“, sagte Kurz. Es sei ihm so bei seinem Dienstantritt im Kanzleramt vermittelt worden.
Bereits am Morgen hatte der Ausschuss der Regierung eine Frist bis Donnerstag, 18. Juni, gesetzt, um zu entscheiden, in welcher Weise die Liste der strittigen „Selektoren“ den Abgeordneten zugänglich gemacht werden kann.
Am Freitag, 12. Juni 2015, sollen Ernst Uhrlau, ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), und Dieter Urmann, ehemaliger Leiter der Abteilung Technische Aufklärung beim BND, aussagen. Die öffentliche Sitzung beginnt um 9 Uhr im Europasaal 4.900 des Paul-Löbe-Hauses in Berlin. Der Ausschuss unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) untersucht seit dem Frühjahr 2014 die Ausforschungspraktiken amerikanischer und britischer Geheimdienste in Deutschland.
Einen hochkarätigen Zeugen erwartet der Ausschuss am 12. Juni: Ernst Uhrlau war unter der rot-grünen Bundesregierung bis 2005 Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und anschließend bis 2011 Präsident des BND. Er kennt also beide Seiten, die politische Überwachung und Steuerung von Geheimdiensten ebenso wie das operative Geschäft. Uhrlau hätte bereits am 23. April angehört werden sollen. Doch an diesem Tag machten Medienberichte über die missbräuchliche Verwendung von Selektoren erstmals Furore und veranlassten den Ausschuss, die vorgesehene Tagesordnung abzusetzen.
Der frühere Chef der BND-Abteilung Technische Aufklärung Dieter Urmann hatte am 5. März 2015 schon einmal als Zeuge ausgesagt. Allerdings war damals von der Selektoren-Affäre noch nichts bekannt. Unter anderem zu diesem Thema wollen die Parlamentarier ihn am Freitag erneut befragen. (wid/11.06.2015)
Zeit: Freitag, 12. Juni 2015, 9 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900
Donnerstag, 11. Juni: