Menu | Plenum | Parlaments-TV |
Die gegenwärtige Zuwanderung als „größte nationale, europäische Herausforderung seit der Wiedervereinigung“ bietet nach Ansicht von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auch großartige Chancen. „Schaffen wir es, die Menschen, die zu uns kommen, schnell auszubilden, weiterzubilden und in Arbeit zu bringen, dann lösen wir eines unserer größten Probleme: den Fachkräftemangel.“ Gabriel erinnerte in der Debatte über den Haushalt 2015 des Ministeriums für Wirtschaft und Energie (18/5500, Einzelplan 09) am Donnerstag, 10. September 2015, an die Folgen des Geburtenrückgangs. Damit habe Deutschland ein „Experiment vor sich, das noch kein anderes Industrieland habe schaffen müssen“: Bis 2030 fehlten sechs Millionen Arbeitskräfte, die nicht für die Erarbeitung des Wohlstands zur Verfügung stehen würden. Das sei nicht nur eine Gefahr für Unternehmen, sondern für die alternde Gesellschaft. „Die Zuwanderer, die jetzt kommen, können uns helfen, das wieder zu ändern“, erwartet Gabriel.
Der Minister verwies auf die Dimension der Zuwanderung: „Alle Routine ist verschwunden. Zahl und Wucht dieser Menschenflucht hat historische Dimensionen. Und angesichts dieser großen Herausforderung kann man sagen: Selten hat Deutschland so zusammengestanden wie jetzt. Das tut uns gut, und das tut den Flüchtlingen gut.“ Deutschland sei gefordert, aber Deutschland sei auch stark: „Ohne die wirtschaftliche Stärke unseres Landes, ohne Wachstum und sichere Arbeit, würden wir diese Herausforderung nicht so optimistisch anpacken.“
Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und solide Finanzen würden schwere Konflikte und Entscheidungen ersparen, wie Aufnahme und Integration so vieler Menschen zu schaffen und zu finanzieren sei. „Dass wir gemeinsam Kurs gehalten haben, zahlt sich jetzt aus: für die Flüchtlinge und für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes“, erklärte Gabriel.
Der Minister zeigte sich überzeugt, dass die Prognose des Wirtschaftswachstums von 1,8 Prozent realistisch sei und die Beschäftigungszahlen zunehmen würden. Das Wachstum werde auch von einer guten Binnenkonjunktur getragen. Der Minister ging auch auf die Entwicklung der Rüstungsexporte ein. Der Gesamtwert der Exporte sei 2014 um 1,8 Milliarden Euro gesunken.
Besonders hob Gabriel hervor, dass der Verkauf von Kleinwaffen halbiert worden sei und die Ausfuhren in Entwicklungsländer ebenfalls halbiert worden seien. In diesem Jahr sei der Export von Kleinwaffen so stark zurückgegangen, dass der Wert der geringste seit 15 Jahren sei.
Mit diesen Angaben wollte sich Roland Claus (Die Linke) nicht abfinden: „Die gravierendste Ursache für Flucht und Vertreibung sind bekanntlich Kriege.“ Für Kriege würden Waffen gebraucht, und Deutschland liefere nach wie vor Waffen in Kriegsgebiete. Gabriels Wirtschaftsministerium sei für Waffenexporte zuständig. „Saudi-Arabien führt mit deutschen Waffen Krieg im Jemen“, beklagte Claus. Gabriel habe die Zahlen „im eigenen Sinne geschönt“. So seien im ersten Halbjahr 2015 für 6,5 Milliarden Euro Waffenexporte genehmigt worden: „Das sind genau so viel wie im ganzen Jahr 2014.“ Da helfe es nicht, wenn Gabriel sich einige Zahlen heraussuche.
Eine konsequente Bekämpfung von Fluchtursachen könne es nur mit einem Verbot von Waffenexporten geben. Eine weitere Konsequenz im Umgang mit dem Flüchtlingsproblem müsse sein, Flüchtlinge schnell in Ausbildung und Arbeit zu bringen. Zum Wirtschaftsetat sagte Claus, besonders in der Luftfahrt und im Innovationsprogramm Mittelstand gehe ein Drittel der Mittel an staatsnahe Monopolisten. Das sei keine vernünftige Mittelstandspolitik.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) beschrieb die Dimension der in diesem Jahr erwarteten 800.000 Flüchtlinge. „Das ist so viel wie die Stadt Frankfurt an Einwohnern hat.“ Das sei eine gewaltige Herausforderung, und niemand könne garantieren, dass es im nächsten Jahr nicht wieder eine solche Herausforderung geben werde. Die Willkommenskultur in Deutschland zeige, „wie reif unsere Demokratie ist und wie reif unser Land ist“. Und sie zeige, „wie reich unser Land ist, weil wir uns das leisten können“.
Die Herausforderung sei aber nur zu meistern, „wenn die Wirtschaft gut läuft“, erinnerte Fuchs. Durch die haushalterischen Spielräume sei man in der Lage, ohne Neuverschuldung eine solche Herausforderung zu meistern. „Die gesellschaftliche Akzeptanz für den Zustrom der Flüchtlinge ist umso höher, je besser die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist und je weniger die Einheimischen sich um ihren Arbeitsplatz Sorgen machen“, stellte Fuchs fest.
Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte Gabriel daran, dass er als Wirtschaftsminister bei der Integration der Flüchtlinge eine herausragende Aufgabe habe. Einwanderung sei eine Chance im demografischen Wandel.
Er hoffe, dass „der Minister hier anders als manche Populisten klare Kante zeigt und eine vernünftige Politik macht“. Krischer warf Gabriel vor, nichts zum Thema Investitionen gesagt zu haben: „Da gibt es ein riesiges Defizit.“
Hubertus Heil (SPD) bestritt die Vorwürfe der Grünen, es werde zu wenig investiert: „Eine glatte Unwahrheit. Schauen Sie in den Haushalt.“
Der Entwurf des Etats für das Wirtschaftsressort sieht vor, dass die Ausgaben von rund 7,395 Milliarden Euro (2015 einschließlich Nachtragsetat) im kommenden Jahr auf 7,527 Milliarden Euro steigen. 2014 hatten die Ausgaben 7,418 Milliarden Euro betragen. Die Einnahmen des Ressorts sollen mit 462,225 Millionen Euro gegenüber 2015 (462,909) fast unverändert bleiben. Die Personalausgaben sollen von 720,645 auf 729,424 Millionen Euro steigen. (hle/10.09.2015)