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„Viribus unitis“ – mit vereinten Kräften – ist im Zentrum der bemalten Decke im historischen Sitzungssaal des Neuen Rathauses in Leipzig zu lesen. Ein schönes Motto für eine Konferenz der Parlamentspräsidenten der sieben führenden Industriestaaten (G7), befand Gastgeber Prof. Dr. Norbert Lammert zum Auftakt der offiziellen Gespräche vom 4. bis 6. September 2015. Lammert hatte nicht zufällig in die sächsische Stadt eingeladen: Welchen passenderen Ort einer Zusammenkunft überzeugter und leidenschaftlicher Parlamentarier könnte es 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands geben als die Stadt, in der die friedliche Revolution 1989 ihren Anfang nahm und schließlich Weltgeschichte schrieb?
Damals machte sich eine ganze Nation mutig wie entschlossen und voller Hoffnung auf den Weg in eine bessere Zukunft. Ähnlich wie die Flüchtlinge, die in diesen Tagen zu Hunderttausenden in die wohlhabenden Staaten Europas drängen. Grund genug also, die Tagesordnung der G7-Konferenz spontan zu erweitern.
Und so diskutierten Parlamentspräsident Lammert und seine Amtskollegen Claude Bartolone (Frankreich, mit Vizepräsidentin Laurence Dumont), Laura Boldrini (Italien), John Bercow (Großbritannien), Tadamori Oshima (Japan), Martin Schulz (SPD), der deutsche Präsident des Europäischen Parlamentes, sowie Marc Bosc, Leiter der kanadischen Parlamentsverwaltung, mit großem Engagement über die Frage, welche Herausforderungen gerade auch für Parlamente aus der gegenwärtigen Flüchtlingskrise erwachsen.
Die Ergebnisse fasste Gastgeber Lammert im Anschluss vor der Presse so zusammen: „Wir brauchen in Europa ein verbindliches Regelsystem, damit sich alle Länder der europäischen Gemeinschaft nach ihren tatsächlichen Möglichkeiten bei der Aufnahme von Flüchtlingen engagieren.“
Er betonte, die Vertreter der G7-Parlamente seien sich einig, dass die große humanitäre Herausforderung der Flüchtlingsströme an das Selbstverständnis Europas und seine eigene Geschichte von Flucht und Vertreibung rühre. Eine faire und verbindliche Vereinbarung zur Lösung der Migrationsfolgen könne auf der Basis eines Quotensystems erfolgen. Dabei müsse Rücksicht auf die Größe, die Wirtschaftskraft und bereits vorhandene Belastungen eines Landes genommen werden, erläuterte Lammert.
Die europäischen Konferenzteilnehmer hatten beteuert, sich in ihren Heimatstaaten auch gegen Widerstände für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzen zu wollen. Wohl wissend, dass längst nicht in allen Nationen ein gesellschaftlicher oder ein politischer Konsens über die Notwendigkeit besteht, die Landesgrenzen für Flüchtlinge weiter zu öffnen.
Neben der Migrationsproblematik befasste sich die Konferenz mit der Rolle von Parlamenten bei bilateralen und multilateralen Beziehungen. Dabei ging es zuvorderst um die Verhandlung von Völkerrechtsverträgen und deren Ratifizierung in den Parlamenten. Wie Lammert zusammenfassend erklärte, hätten dabei auch die transatlantischen Verhandlungen um das Freihandelsabkommen (TTIP) eine Rolle gespielt, besonders vor dem Hintergrund einer notwendigen parlamentarischen Beteiligung.
Die Rolle der Parlamente beim Klimaschutz komplettierte die Tagesordnung der Konferenz. Die G7-Runde war sich einig, dass es zwar wünschenswert und notwendig sei, bei der bevorstehenden 21. Klimakonferenz der Vereinten Nationen Ende November in Paris konkrete und verbindliche Vereinbarungen etwa zum Schadstoffausstoß zu treffen. Ebenso wichtig sei allerdings ein transparentes Verfahren, mit dem später überprüft werden kann, ob die Abmachungen auch tatsächlich eingehalten werden.
Ob Flüchtlingsproblem, Völkerrecht oder Klimaschutz – nur gemeinsam lassen sich die Dinge zum Besseren wenden. Das war die Botschaft dieser Konferenz in Leipzig. Bundespräsident Joachim Gauck sieht das gewiss auch so. Er kam nach Sachsen, um mit der G7-Runde zu Abend zu essen. Viribus unitis. (jbi/06.09.2015)