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Vor 20 Jahren diskutierte Deutschland, von wo aus das Land künftig regiert werden sollte: Bonn oder Berlin. Eduard Oswald (CDU/CSU), Vizepräsident des Deutschen Bundestages Bundestages, befürwortete damals als Abgeordneter den Verbleib des Regierungssitzes im Rheinland. In einem am Dienstag, 14. Juni 2011, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" hält er die Entscheidung für Berlin rückblickend für "richtig" und bezeichnet den Umzug als "insgesamt gut gelungen". Das Interview im Wortlaut:
Herr Oswald, Sie waren vor 20 Jahren ein Gegner des Umzugs von Parlament und Regierung nach Berlin und haben bei der Abstimmung im Bundestag am 20. Juni 1991 konsequenterweise für Bonn gestimmt. Wie sehen Sie dies heute?
Wer die Entscheidung von vor zwei Jahrzehnten verstehen will, muss sich an die damalige emotionale Debatte über Bonn oder Berlin erinnern. In meiner bayerischen Heimat gab es zum Beispiel kaum öffentliche Stimmen für einen Komplettumzug von Bundesregierung und Bundestag nach Berlin. Bonn stand ja damals für das Erfolgsmodell der Bundesrepublik Deutschland und seiner europäischen Orientierung. So sehr man sich auch über die deutsche Wiedervereinigung gefreut hat, man muss daran erinnern: Die Mehrheit für den Berlin-Umzug kam im Deutschen Bundestag 1991 nur deshalb zustande, weil der Region Bonn konkrete Ausgleichsmaßnahmen angeboten worden waren.
Sie selbst hatten ja damals Sorgen vor neuem Zentralismus oder einer Aushöhlung des Föderalismus in Deutschland geäußert…
Wir sind heute 20 Jahre weiter. Ich arbeite sehr gerne am Parlamentssitz in Berlin und halte auch rückblickend betrachtet die historische Entscheidung für Berlin für richtig. Praktische Politik hat auch bewirkt, dass die früheren Befürchtungen vor einem stärkeren Zentralismus nicht Realität wurden. Ich halte es aber für richtig, diese Sorgen damals artikuliert zu haben. Wir haben nach der Katastrophe von 1945 den föderalen Gedanken stark in den Mittelpunkt des Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Wichtig ist im Kontext des Berlin-Umzugs des Bundestages und Teilen der Regierung auch, dass nach dem Berlin/Bonn-Gesetz eine Föderalismuskommission eingerichtet wurde. Infolge ihrer Tätigkeit wurden dann in den neunziger Jahren etliche Behörden in die neuen Länder verlegt. So zog das Bundesverwaltungsgericht von Berlin nach Leipzig, das Umweltbundesamt von Berlin nach Dessau, das Bundesarbeitsgericht von Kassel nach Erfurt oder der fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs kam von Berlin nach Leipzig. All dies ist eingebunden in das Geflecht des föderalen Deutschlands. Es gibt somit heute eine ausgewogene Situation im ganzen Bundesgebiet.
Sie waren 1998 Bundesbauminister und auch Umzugsbeauftragter sowie Bonner Ausgleichsbeauftragter der Bundesregierung. Wie sehen Sie heute Ihre damalige Tätigkeit kurz vor dem Umzug nach Berlin 1999?
Die Bonner hatten damals unglaublich viele Sorgen. Ich musste mich als Umzugsbeauftragter der Regierung mit vielen Details beschäftigen. Die große Linie des Umzugs nach Berlin war zwar festgelegt, aber es mussten noch viele Einzelfragen bewältigt werden. Bonn war ja nach dem Bonn/Berlin-Beschluss zuerst wie gelähmt. In der Stadt und Region herrschte blankes Entsetzen. Bis zum Beschluss am 20. Juni 1991 gab es eine riesige Medienschlacht zu diesem Thema. Erst als das Berlin/Bonn-Gesetz 1994 verabschiedet wurde, nahm dies auch dem Parlamentsbeschluss von 1991 Erhebliches von der ersten Schärfe. Die Berlin-Anhänger bekamen die Aufwertung des Hauptstadtbeschlusses und die Bonn-Freunde gewannen durch die Sicherung Tausender Arbeitsplätze der Bundesregierung am Rhein neue Sicherheit. Insofern haben Berlin wie Bonn vom Gesetz profitiert. Der Umzug war aber zu meiner Zeit als Bauminister noch mit vielen Problemen versehen. Das Menschliche war damals stark in der Vordergrund gerückt: Es ging um die konkreten Folgen für die Menschen, es ging um Familien, Wohnungen oder Arbeitsplätze. Aber wir haben alles gut gelöst.
Welche Bilanz ziehen Sie heute zum Regierungs- und Parlamentsumzug?
Der Umzug ist insgesamt gut gelungen. Dazu haben alle Bundesregierungen der letzten zwei Jahrzehnte beigetragen wie auch die Verantwortlichen im Parlament. Berlin mit allen seinen Parlaments- und Regierungsbauten präsentiert sich heute sehr eindrucksvoll. Dies wird auch von den vielen Besuchern aus aller Welt gewürdigt, und diese sagen immer wieder: Euch ist hier etwas Gutes in der Hauptstadt gelungen. Heute besuchen Menschen aus allen Teilen Deutschlands unser Reichstagsgebäude. Wir sind das wohl meistbesuchte Parlament der Welt. Das zeigt auch, wie Demokratie und Bauten hierzulande gut zusammengehören. Ich freue mich darüber, wie sehr es uns in Berlin gelungen ist, viele historisch belastete Gebäude in Demokratie und Rechtsstaat hineinzubringen. Das Ganze halte ich für eine wunderbare Sache, an der ich selbst auch mitgeholfen habe. Die Geschichte unseres Volkes wurde so auch in die Gebäude und damit in die Zukunft hineingebracht.
Die fortbestehende Zweiteilung der Regierung zwischen Bonn und Berlin kostet allerdings jährlich Millionen und bringt ständige Reibungsverluste mit sich. Wie lange kann diese Sonderbarkeit noch aufrechterhalten bleiben?
Man muss sich hierbei immer wieder die Ausgangslage von 1991 verdeutlichen. Wer einen Komplettumzug der Bundesministerien nach Berlin will, müsste auch das Berlin/Bonn-Gesetz ändern. Dazu müsste es Mehrheiten im Deutschen Bundestag geben. Diese sehe ich nicht. Ich bin gegen einen Komplettumzug der Regierung nach Berlin, auch aus Gründen des Föderalismus in Deutschland. Die Argumente, die am 20. Juni 1991 in der großen Umzugsdebatte im Bundestag in Bonn gefallen sind, sollten auch heute für alle jene, die in der Verantwortung stehen, gelten.
Aber es gibt doch heute schon Verstöße gegen Bestimmungen: Nach dem Umzugsbeschluss von 1991 und dem Bonn/Berlin-Gesetz von 1994 soll die Mehrheit der Regierungsbeschäftigten in Bonn arbeiten. Es sind aber mittlerweile nur noch rund 45 Prozent und es werden laufend immer weniger. Vollzieht sich der Komplettumzug nach Berlin schleichend?
Die Bundesregierung beobachtet ihre eigene Arbeitsweise und stellt die Funktionalität sicher. Aus meiner langjährigen Parlamentserfahrung weiß ich, dass es nicht immer notwendig ist, dass Beamte auch an dem Ort ihren Arbeitsplatz haben, an dem sich jeweils der Minister aufhält. Es gibt viele Vollzugsbereiche an verschiedenen Orten. Insofern akzeptiere ich die oft in der Öffentlichkeit hervorgebrachten Argumente gegen eine Zweiteilung der Bundesregierung nicht.
Viele Politiker sagen, in Berlin sei im Gegensatz zu Bonn alles viel unpersönlicher geworden, das Menschlich-Kommunikative lasse zu wünschen übrig. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Die Argumentation, ihr müsst nach Berlin, weil ihr so mittendrin in der Wirklichkeit in Deutschland seid und viel von den Problemen der Menschen erfahrt, hat sich so nicht bewahrheitet. Im Berliner Regierungs- und Parlamentsviertel bewegt man sich als Politiker immer von Montag bis Freitag im engen Bereich von Pariser Platz, Bundestag und vielleicht noch Gendarmenmarkt. Zu viel mehr kommt man einfach nicht in den Sitzungswochen, weil dies die zeitintensive Parlamentsarbeit nicht zulässt. So kommen in Berlin auch nicht die Debatten mit dem "Bürger auf der Straße“ zustande. Auch von den vielen Demonstrationen am Brandenburger Tor oder in seiner Umgebung erfahren die meisten Parlamentarier nichts, weil sie gar keine Zeit haben, sich damit zu beschäftigen. Das wäre übrigens auch in Bonn heute nicht anders, wenn Regierung und Parlament dort geblieben wären. Die Zeit ist einfach hektischer geworden - heute jagt ein politisches Ereignis das nächste, unter anderem auch, weil uns die europäische Dimension des Handelns immer mehr beschäftigt. Insofern kann man heute vieles im hektischen Berlin auch nicht mit dem politischen Betrieb im damals noch beschaulichen Bonn vergleichen.
(jmb/kru)