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Nach teils harten Kontroversen hat die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" am Montag, 14. Januar 2013, mit 16 gegen 14 Stimmen bei zwei Enthaltungen den Entwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP als Abschlussbericht der Projektgruppe 1 verabschiedet, die sich mit der Bedeutung von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft befasst hat. Die Vorlage von SPD, Linken und Bündnis 90/Die Grünen geht als Minderheitenvotum in die weiteren Beratungen des unter Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) tagenden Gremiums ein.
Im Namen von Union und Liberalen wandte sich Karl-Heinz Paqué dagegen, der Wirtschaft ein bestimmtes Maß an Wachstum vorzugeben. Im Blick auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung drückte der von der FDP benannte Sachverständige sein "Vertrauen in die Anpassungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft aus".
SPD-Obfrau Edelgard Bulmahn hingegen forderte angesichts "schwerer Krisen" wie der Umweltzerstörung, der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich oder der Finanzkrisen einen neuen "sozialökologischen Regulierungsrahmen" für die Wirtschaft.
Die Diskussion offenbarte, dass Koalition und Opposition ein unterschiedliches Verständnis von Wachstum haben. Paqué betonte, Wachstum sei nicht nur das Resultat von Ressourcenverbrauch, sondern vor allem das Ergebnis von Wissensfortschritten und Innovationsschüben. Letztlich ergebe sich Wachstum aus vielen dezentralen Entscheidungen in der Wirtschaft.
Er erklärte, Union und FDP wollten bei Eingriffen in die Marktwirtschaft nicht so weit gehen wie die Opposition. Der von der Union in die Kommission entsandte Sachverständige Kai Carstensen warf SPD, Linken und Grünen "Marktpessimismus" vor, aus ihrer Sicht solle der Staat anstelle der Unternehmen das "Steuer übernehmen".
Für den CSU-Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein ist der Gedanke der Nachhaltigkeit in der deutschen Wirtschaft schon heute stark verankert, vor allem wegen der starken Stellung des Mittelstands. Paqué sagte, die Firmen dürften sich nicht mehr nur am Gewinn orientieren, sondern müssten einer "breiteren gesellschaftlichen Verantwortung" gerecht werden, etwa bei der Ökologie.
Angesichts der hohen staatlichen Verschuldung könne Wachstum bei der Konsolidierung helfen. Auch hänge die Beschäftigung eng mit Wachstum und Wohlstand zusammen, so bei der Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen. Nötig seien, meinte der Sachverständige, "gut funktionierende Finanzmärkte".
Sprecher der Opposition wiesen die Kritik zurück, sie wollten zurück zur Planwirtschaft, um Nachhaltigkeit in der Wirtschaft durchzusetzen. Der Staat solle nicht alles regeln, so die Linken-Abgeordnete Ulla Lötzer, doch sei wegen tiefer Krisen wie der zunehmenden Armut ein sozialökonomischer Regulierungsrahmen erforderlich.
Dr. Hermann Ott (Bündnis 90/Die Grünen) unterstrich, die an vielen Stellen schon überschrittenen "ökologischen Grenzen des Planeten sind auch unsere politischen Grenzen".
Bulmahn meinte, der wirtschaftliche Nachholbedarf in der Dritten Welt sei nicht auf die Art zu bewerkstelligen, "wie dies in Europa gemacht worden ist". Die SPD-Parlamentarierin: "Wir müssen Grenzen setzen bei der Nutzung der Atmosphäre, des Bodens und des Wassers."
Bei einer sozialökologischen Regulierung geht es aus Sicht Bulmahns nicht um das Ob, sondern um das Wie. Sie plädierte dafür, Umweltkosten in die Berechnung der Wirtschaftsleistung einzubeziehen. Nötig sei eine "neue Regelungsstruktur" für die internationalen Finanzmärkte.
Die SPD-Obfrau sprach sich zwar für die Schaffung ausgeglichener staatlicher Haushalte aus, doch müsse zunächst geklärt werden, welche Aufgaben in öffentlicher Verantwortung wahrgenommen werden sollen, was dann entsprechende Finanzmittel erfordere.
Als solche Aufgaben definierte Bulmahn etwa das Gesundheitswesen, die Infrastruktur und die Bildung, gerade für letztere müssten die Gelder massiv erhöht werden. Um der prekären Beschäftigung und der Verteilungsungerechtigkeit entgegenzuwirken, solle ein Mindestlohn eingeführt werden.
Der von der Linken ernannte Sachverständige Dr. Norbert Reuter rief dazu auf, nach Möglichkeiten zu suchen, wie die gesellschaftliche Entwicklung auch ohne Wachstum oder mit niedrigen Wachstumsraten vorangebracht werden könne.
Dies gelte etwa für die Gewährleistung sozialer Sicherheit. Wachstum könne solche Probleme nicht lösen, ohnehin seien in Zukunft keine hohen Wachstumsraten mehr zu erwarten. (kos/14.01.2013)