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Mit einem Augenzwinkern hat Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert unter großem Beifall und Gelächter zu Beginn der Plenarsitzung am Freitag, 1. März 2013, dem fiktiven Bundestagsabgeordneten Jakob Maria Mierscheid "im Namen des ganzen Hauses" zum 80. Geburtstag gratuliert.
Er betonte, dass es sich bei Mierscheid um einen "geschätzten und gelegentlich verzweifelt gesuchten Kollegen" handle, der sich für die aktuelle Sitzung "aus zwingenden Gründen" entschuldigt habe. Dieses, so Lammert, würde vermutlich Spekulationen befördern, dass es Mierscheid gar nicht gebe. Das sei aber durch zahlreiche Fundstellen in der Literatur widerlegt.
Lammert wies daraufhin, dass der SPD-Abgeordnete in der Nachfolge von Carlo Schmid im Jahre 1979 seine "denkwürdige Tätigkeit im Deutschen Bundestag" aufgenommen habe. Zum ersten Mal tauche Mierscheid am 25. April 1980 in den Plenarprotokollen auf. Seine bisher denkwürdigste Leistung, betonte der Bundestagspräsident, sei die Formulierung des Mierscheid-Gesetzes über den Zusammenhang der deutschen Rohstahlproduktion und den SPD-Ergebnissen bei Bundestagswahlen.
Lammert beendete seine Würdigung mit der Hoffnung, "dass uns der Kollege Mierscheid auch in der nächsten Legislaturperiode erhalten bleibt". Er gab außerdem zu bedenken, dass, sollte Mierscheid die konstituierende Sitzung als Alterspräsident eröffnen wollen, er "persönlich anwesend sein" müsse.
Erschaffen wurde der fiktive Abgeordnete Jakob Maria Mierscheid im Dezember 1979 von den beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Würtz und Karl Haehser. Während eines Restaurantbesuches im Bonner Bundeshaus erfanden sie aus einer Laune heraus den fiktiven Politiker, um den zuvor verstorbenen ehemaligen SPD-Abgeordneten und Bundestagsvizepräsidenten Prof. Dr. Carlo Schmid zu ehren und einen Nachfolger für ihn zu erschaffen. Schmid gehört zu den Vätern des Grundgesetzes und auch des Godesberger Programms der SPD.
Mit dem Phantom-Abgeordneten Mierscheid erlaubt sich der Bundestag bis heute den Spaß, Leben und Arbeit von Politikern aufs Korn zu nehmen. Oft verwirrt er auch unerfahrene Journalisten. So meldete im Juli 2005 die Tagesschau, Mierscheid sei überraschend aus der SPD ausgetreten. Er strebe eine zweite Karriere in der Partei Die Linke an, so die Tagesschau. Diese Meldung ließ das Phantom allerdings durch die SPD-Fraktion sofort wieder dementieren. Am 1. April 2010 wurde Mierscheid erneut fälschlicherweise für sich in Anspruch genommen – diesmal von der Piratenpartei.
Auch wenn Jakob Mierscheid noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat, ist er im Berliner Parlamentsviertel immer präsent.
Seit 2004 trägt eine Brücke zwischen dem Elisabeth-Lüders-Haus und dem Paul-Löbe-Haus seinen Namen. (ah/01.03.2013)