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Von Anwälten über Ärzte, Architekten, Hebammen, Ingenieure, Künstler und Lotsen bis zu Zahnärzten: Das Spektrum der freien Berufen in Deutschland ist äußerst vielfältig. Und nach Ansicht der Regierung ist die "Geschichte der freien Berufe in Deutschland eine Erfolgsgeschichte", stellte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Hans-Joachim Otto (FDP), am Freitag, 7. Juni 2013, in der Bundestagsdebatte über die Lage der freien Berufe fest. Das Gründungsgeschehen werde zunehmend durch die freien Berufe geprägt.
"21 Prozent aller Gründungen erfolgen durch die Angehörigen der freien Berufe", stellte Otto zufrieden fest, der auch auf die hohen Beschäftigtenzahlen (drei Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte) und die zahlreichen Ausbildungsplätze (125.000) hinwies. Damit leisteten die freien Berufe "einen unverzichtbaren Beitrag zur Ausbildung von Fachkräften, aber auch zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit".
Die freien Berufe seien frei "und stehen für Selbstständigkeit, für Eigenverantwortung und für Kreativität – alles Werte, die in unser Gesellschaft besonders gefragt, aber leider nicht allzu verbreitet sind". Angesichts der Vielfalt der Berufe sollte man "fraktionsübergreifend ein Interesse daran haben, den Rahmen weiterhin für ein erfolgreiches Wirken zu erhalten", forderte Otto.
Auch Andrea Wicklein (SPD) wies auf die Bedeutung der Freiberufler hin, die zusammen mit ihren Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 370 Milliarden Euro erzielen und zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beisteuerten. Die Zahlen seien beeindruckend, "aber dennoch können wir uns nicht zurücklehnen".
Die freien Berufe seien keine homogene Gruppe. Die Durchschnittseinkommen lägen zwischen 190.000 Euro für Notare und 15.000 Euro für freiberufliche Lehrer und Architekten. Es gebe Risiken bei der sozialen Absicherung. Sie verlangte Maßnahmen zur Verbreiterung der Fachkräftebasis. Potenziale gebe es nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Frauen, Migranten und Älteren.
Statt ein Betreuungsgeld zu zahlen, wäre es besser, das Geld in Tageseinrichtungen für Kinder zu investieren, forderte Wicklein, die auch verlangte, mehr auf Migranten einzugehen und in Behörden Formulare in englischer Sprache vorzuhalten: "Deutschland braucht eine bessere Willkommenskultur."
"Ohne die freien Berufe wäre unser Land ärmer", stellte Kai Wegner (CDU/CSU) fest. Er verwies auf die Leistungen der Koalition für die freien Berufe. Das 25-Prozent-Ziel beim Bürokratieabbau sei erreicht worden. Die Freiberufler könnten "endlich wieder ihrer Kernaufgabe nachkommen, nämlich in vielfältigster Weise die Vertrauensdienstleistung für die Menschen erbringen, und das ist sehr viel wichtiger als über Bürokratie zu brüten".
Wegner warnte vor der Verwirklichung der rot-grünen Steuererhöhungspläne. Das "Erfolgsmodell dieser freien Berufe" wäre damit gefährdet. Ähnlich äußerte sich Martin Lindner (FDP): "Nur Masochisten unter den Freiberuflern werden Rot-Rot oder Grün wählen."
Sabine Leidig (Die Linke) wies auf die erheblichen Einkommensunterschiede der Freiberufler hin. Die größte Gruppe der Freiberufler arbeite im Bereich der freien Kulturberufe, was "unsere Gesellschaft klüger, reicher und lebenswerter macht". Leider befänden sich diese Berufe am unteren Ende der Einkünfteskala. Freie Journalisten und Pressefotografen hätten ein jährliches Einkommen von 19.000 Euro, Übersetzer kämen auf 18.000 Euro, künstlerische Berufe auf 16.000 und freiberufliche Lehrer hätten 15.000 Euro.
"Das sind rund 1.250 Euro im Monat für einen Beruf, der so bedeutsam ist für die Entwicklung und Bildung unserer Kinder und Jugendlichen. Wie soll bei solchen Einkünften fürs Alter oder für Krankheit vorgesorgt werden?", fragte Leidig, die diese prekären Beschäftigungs- und Einkommensverhältnisse als "nicht akzeptabel" bezeichnete.
Die Unternehmen säßen vor allem gegenüber den freien Kreativen am längeren Hebel. "Dabei machen die großen Unternehmen der IT- und Werbeindustrie sehr viel Gewinn auf dem Boden, der mit den Ideen und den Experimenten der freien Kreativen bereitet wurde", kritisierte Leidig.
Kerstin Andreae (Bündins 90/Die Grünen) warf der Koalition vor, den Gründungszuschuss abgeschafft zu haben. Dieser Zuschuss sei vor allem für junge Leute eine Riesenchance gewesen, sagte die Grünen-Abgeordnete und nannte als Beispiel Programmierer: "Geholfen hat ihnen der Gründungszuschuss, weil sie sechs Monate lang den Rücken frei hatten." Der Zuschuss sei eines der erfolgreichsten Projekte gewesen. Nach dessen Abschaffung seien wesentlich weniger neue Firmen gegründet worden.
Andreae sprach sich auch für einen flächendeckenden Breitbandausbau in Deutschland aus. Der Wirtschaftminister habe sich nicht um digitale Infrastruktur gekümmert: "Wir sagen, jeder Haushalt braucht eine gesetzlich garantierte Basisversorgung mit einem Breitband-Internet." Ganze Regionen würden noch im Modem-Zeitalter leben: "Da funktioniert es nicht mit Ansiedlung und Gründung", sagte Andreae. Sie warf der Koalition außerdem vor, Architekten und Ingenieuren, die in umweltrelevanten Bereichen tätig seien, nicht genug Rechts- und Planungssicherheit zu geben.
Wie die Bundesregierung in ihrem vom Bundestag zur Kenntnis genommenen Bericht über die Lage der freien Berufe (17/13074) mitteilt, hat die Zahl der selbstständigen Freiberufler in Deutschland mit 1,2 Millionen einen neuen Höchststand erreicht.
Nach diesen Angaben waren im Jahr 2000 erst 705.000 Personen als Selbstständige in freien Berufen tätig. "Die Zahl der Selbstständigen in freien Berufen hat damit inzwischen die Zahl der selbstständigen Betriebe im Handwerk überholt, die zum 31. Dezember 2011 bei 1.000.385 lag", schreibt die Regierung.
Wie aus dem Bericht weiter hervorgeht, stellen die freien Kulturberufe unter den selbstständigen Freiberuflern mit 291.000 Angehörigen die größte Gruppe, gefolgt von den freien Heilberufen mit 136.000, den Ärzten mit 124.012 und den Rechtsanwälten mit 114.200. Der höchste Zuwachs sei in den vergangenen zehn Jahren bei den "neuen" freien Berufen zu verzeichnen gewesen.
Die Bundesregierung nennt hier die wirtschaftsberatenden freien Berufe (ohne Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Steuerberater), die technischen und naturwissenschaftlichen freien Berufe (ohne Ingenieure und Architekten) und die freien Heilberufe (ohne Ärzte und Zahnärzte).
Rückläufig ist im Bereich der freien Berufe allerdings die Zahl der Auszubildenden. Wurden im Jahr 2000 noch über 146.000 Auszubildende gezählt, so seien es am 31. Dezember 2011 noch knapp 112.000 gewesen, schreibt die Bundesregierung.
Zusammenfassend stellt die Regierung fest, die Gesellschaft brauche "die von Freiberuflern erbrachten gemeinwohlorientierten und durch hohe Qualität, Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit geprägten Vertrauensdienstleistungen".
Mit Mehrheit von CDU/CSU und FDP angenommen wurde ein von ihnen eingebrachter Antrag zum Thema "Freie Berufe – Wachstumstreiber in der Sozialen Marktwirtschaft" (17/13714) mit Koalitionsmehrheit angenommen, in dem die Fraktionen ein klares Bekenntnis zur Bedeutung der freien Berufe in der modernen Dienstleistungsgesellschaft ablegen.
Die freien Berufe würden für eine "große Breite und Vielfalt beruflicher Tätigkeiten sowie für eine Kultur von Unternehmertum und Leistungsbereitschaft" stehen: "Damit verkörpern sie in besonderer Weise die Ideale des selbstständigen Mittelstandes."(hle/07.06.2013)