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Er ist parlamentarisches Urgestein. Anders als Franz Josef Strauß (CSU) oder Herbert Wehner (SPD), an die man bei diesem Ausdruck meist denkt, ist es Michael Glos auf seine ganz eigene Weise. Über Jahrzehnte hat er das politische Geschehen in Deutschland geprägt. Man darf das jetzt schon in Vergangenheitsform schreiben, denn nach der Wahl im September wird der CDU/CSU-Abgeordnete aus dem Deutschen Bundestag ausscheiden.
Der unterfränkische Müllermeister hatte 1976 einen Traumstart. Mit 31 Jahren als damals jüngster CSU-Abgeordneter im Wahlkreis Schweinfurt direkt gewählt, kam er sofort als ordentliches Mitglied in den wichtigen Haushaltsausschuss.
Der damalige Parlamentarische Geschäftsführer Paul Röhner (CDU/CSU) habe das so begründet, erzählt Glos: "Wir brauchen Junge, die einen relativ sicheren Wahlkreis haben und die gesamte Bandbreite der Bundespolitik kennenlernen, denn daraus soll später einmal der Führungsnachwuchs rekrutiert werden."
Kaum gewählt, nahm Michael Glos an einem historischen Treffen teil. CDU und CSU hatten knapp die absolute Mehrheit verfehlt und waren in der Opposition geblieben. Franz Josef Strauß zürnte aus München gegen die "Nordlichter", weil die Union mit ihrem Spitzenkandidaten Helmut Kohl in den nördlichen Bundesländern relativ schwach abgeschnitten hatte.
In dieser Situation traf sich die Bonner CSU-Landesgruppe erstmals zu einer Klausurtagung in Wildbad Kreuth – und beschloss nach langer, kontroverser Diskussion, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufzukündigen. Die CSU, so die Überlegung dahinter, sollte bundesweit antreten und so zusammen mit der CDU ein breiteres Wählerspektrum ansprechen. "Das war schon eine Art Feuertaufe, dass man plötzlich die Frage vorgelegt bekommt, ob wir allein marschieren sollen oder weiterhin mit der CDU", erinnert sich Glos.
Am Ende blieb die Unionsfraktion doch zusammen, und der Abgeordnete Glos arbeitete sich hoch zu ihrem finanzpolitischen Sprecher. Seite an Seite mit Finanzminister Gerhard Stoltenberg (CDU) erarbeitete er die große Steuerreform der achtziger Jahre. "Unser Hauptmotto war: Besser niedrigere Steuersätze und weniger Ausnahmen als hohe Steuersätze, durchlöchert von Ausnahmen wie Schweizer Käse." Obwohl CDU, CSU und FDP zu dieser Zeit nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat die Mehrheit stellten, wurde die Reform in der Länderkammer wieder verwässert.
Glos lernte daraus: "Da hilft oft die gleiche parteipolitische Farbe überhaupt nichts, wenn es um direkte finanzielle Interessen von Ländern geht." Für Glos was die Steuerreform auch eine Lehre in Sachen Kompromissfindung, in der er es in seiner nächsten Funktion noch zur Meisterschaft bringen sollte.
Seine "spannendste und interessanteste Zeit in der Politik" nennt Glos die Jahre 1993 bis 2005, als er Vorsitzender der CSU-Landesgruppe war. Niemand hatte dieses Amt so lange inne wie er, ein Amt, das einflussreicher ist, als es in der Öffentlichkeit scheint. "Insbesondere in der Regierungszeit", hebt Glos hervor, "weil in den Gremien, die die Politik vorgeben, im Koalitionsausschuss und in den Koalitionsgesprächen, der Landesgruppenvorsitzende der CSU gleichberechtigtes Mitglied ist." Oft saß er mit Helmut Kohl am Tisch und "fand das ungeheuer spannend".
Als CSU-Landesgruppenchef war Glos zugleich erster Stellvertreter der Fraktionsvorsitzenden Alfred Dregger, Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz und Angela Merkel. Man ist in dieser Funktion Scharnier zwischen dem CSU- und CDU-Teil der Fraktion, zwischen Fraktion und Regierung sowie zwischen den CSU-Abgeordneten in Berlin (oder früher Bonn) und der Parteiführung in München.
Unter politischen Beobachtern in Bonn und später Berlin hat sich Michael Glos in dieser Zeit einen Ruf als begnadeter Strippenzieher erworben. Er selbst mag diese Bezeichnung nicht so gern, bestätigt aber, was damit gemeint ist: "Ich habe immer gerne auch hinter den Kulissen gewirkt, da lässt sich manchmal mehr erreichen, als wenn man mit der Trommel herumläuft und tut, als ob man der Größte sei."
Erfolgreiche Politik sei darauf angewiesen, dass man mit möglichst vielen verschiedenen Kräften versucht, Vorabsprachen zu treffen, um dann zu einem Ergebnis zu kommen, das im Interesse der eigenen Partei und "letzten Endes aus der subjektiven Empfindung im Gemeininteresse" ist. "Dinge müssen zusammengebracht werden, und da ist es besser, wenn sie im Vorfeld applaniert werden und nicht in der Öffentlichkeit sehr hart aufeinanderprallen."
Nach der Bundestagswahl 2005 nahm seine Karriere eine auch für ihn überraschende Wende. Es kam zur Großen Koalition, der Koalitionsvertrag war ausgehandelt, die Ministerposten so gut wie verteilt. Michael Glos war für vier Jahre als Landesgruppenvorsitzender wiedergewählt, Edmund Stoiber sollte ein neu zugeschnittenes, um Technologie- und Europa-Zuständigkeiten erweitertes Wirtschaftsministerium erhalten.
Doch dann machte Stoiber für alle überraschend einen Rückzieher. Das für ihn vorgesehene Ministerium trug er Glos an, und dieser sagte kurzentschlossen zu. "Man kann nicht viele Jahre trainieren, und wenn es dann zum Wettkampf geht, einfach sagen, ich bin nicht bereit teilzunehmen." Schließlich trage man "auch Verantwortung für das Gelingen des Ganzen", sagt Glos im Rückblick. Aus dem Stand das neu zugeschnittene Haus zu führen war nicht leicht, und Glos musste sich manche Kritik anhören.
Nach nur etwas mehr als drei Jahren trat Glos als Minister zurück. Über die Gründe wurde viel spekuliert, etwa über eine Abrechnung mit Horst Seehofer, der wenige Monate vorher CSU-Vorsitzender geworden war. Glos selbst sagt, für ihn sei immer klar gewesen, dass er in der folgenden Legislaturperiode nicht mehr für ein Ministeramt zur Verfügung steht.
Mit dem Rücktritt ein halbes Jahr vor der Wahl habe er auch dafür sorgen wollen, dass das Wirtschaftsministerium bei der CSU bleibt – was dann allerdings "leider nicht so gekommen" ist. "Auf der anderen Seite: Ich war ein Mensch, der immer seine Freiheit sehr geschätzt hat, und ich habe mir sehr genau angesehen, wem ich bereit bin zu dienen. In allererster Linie fühlte ich mich gegenüber meinen Wählerinnen und Wählern im Wahlkreis verpflichtet."
Schon damals war für Glos auch klar, dass er zum letzten Mal zum Bundestag kandidieren würde. "Ich wollte nach dem 65. Lebensjahr nicht mehr Minister sein und hatte meiner Frau immer versprochen, dass ich meinen 70. Geburtstag nicht als Bundestagsabgeordneter feiern werde." Diese Feier steht 2014 an.
In der zu Ende gehenden Legislaturperiode gehört Glos dem Auswärtigen Ausschuss an. Als Landesgruppenvorsitzender sei er als "oberster Außenpolitiker der CSU" viel international unterwegs gewesen, jetzt habe er diese Erfahrungen noch einmal einbringen können. "Ich glaube, dass das zum Abschluss einer langen politischen Zeit der richtige Ausschuss ist."
Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag will Glos diese Erfahrungen weiter nutzen und sich nicht aufs Altenteil zurückziehen. Der Unterschied zu vorher: "Ich kann noch vieles, aber ich muss nicht mehr." Schließlich wisse man nicht, "wie lange man noch gesund ist, noch leistungsfähig ist." Michael Glos hat sich alles reiflich überlegt. Und doch: Jetzt, da der Abschied aus dem Bundestag näher rückt, kommt da nicht doch auch Wehmut auf? "Aber sicher. Alles andere wäre ja völlig unnatürlich und unmenschlich." (pst/26.08.2013)