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Die Aufgabenstellung war im Grunde nicht lösbar. Ob er denn nicht ein paar Ratschläge geben könnte, wie man denn die Demokratie in den arabischen Staaten aufbauen könne, wurde Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert während der Begrüßungsveranstaltung für die Teilnehmer am Programm des Internationalen Parlaments-Stipendiums (IPS) für arabische Staaten am Dienstag, 3. September 2013, gefragt. "Vielleicht ein paar Ratschläge, die man im Internet nicht findet", fügte der Tunesier Mohamed Kharrat hinzu.
Mit Patentlösungen könne er leider nicht dienen, entgegnete der Bundestagspräsident. "Und weil das so ist, stellen wir uns eine dialogische Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen vor." Dazu gehört auch das IPS-Programm für Teilnehmer aus arabischen Staaten, an dem in diesem Jahr 24 junge Leute aus acht Ländern teilnehmen.
Vier Wochen lang werden sie sich in den Büros einzelner Abgeordneter direkt mit der Arbeit des Bundestages beschäftigen – Wahlkampf inklusive.
Einen ersten Eindruck erhielten sie schon mal während der morgendlichen Generaldebatte zur "Situation in Deutschland". Was auch schon zu den ersten Verständnisfragen führte. Warum denn nur einzelne Seiten dem jeweiligen Redner applaudiert hätten, wollte Houria Ouled Ahmed Ben Ali aus Tunesien wissen. Das Parlament zeichne sich eben eher durch Konflikte als durch Konsens aus, sagte Lammert.
Anders sei das am Vortag gewesen, als sich das Parlament mit dem Untersuchungsausschuss zur NSU-Mordserie befasst habe, wo es viel Übereinstimmung gegeben habe. "Der Regelfall sieht aber so aus, wie Sie es heute erlebt haben", machte er deutlich.
Auf den schwierigen Weg hin zur Demokratie eingehend, verwies der Bundestagspräsident auf die Geschichte Deutschlands. "Der erste Demokratieversuch hielt keine 14 Jahre und ist schließlich kollabiert", sagte er mit Hinweis auf die Weimarer Republik. Ein wesentlicher Grund für das Versagen sei gewesen, "dass es einen grundsätzlichen Konsens aller Demokraten darüber, was sie miteinander verbindet, nicht gab".
Eine Demokratie könne aber nur stabil sein, wenn die ganz große Mehrheit der Menschen in einem Land davon überzeugt ist, "dass die Einhaltung von Regeln Vorrang vor der Durchsetzung eigener Interessen hat". Dies sei ein kultureller Lernprozess, der durch Dekrete nicht zu ersetzen sei.
Angesichts der aktuellen Lage blieb natürlich die Frage eines militärischen Angriffs auf Syrien nicht unerwähnt. Asma Merzaq aus Marokko wollte wissen, welche Abläufe in Deutschland nötig sind, um sich an einer eventuellen Militäraktion zu beteiligen. Für Lammert die Gelegenheit auf den weltweit einzigartigen Parlamentsvorbehalt hinzuweisen. Die deutsche Regierung könne einen solchen Einsatz nicht anordnen, ohne sich vorher die Zustimmung des Parlaments zu holen, sagte der Bundestagspräsident.
In den USA oder Großbritannien sei das anders. Bislang, wie Lammert sagte. Seiner Ansicht nach hat nämlich die Tatsache, dass in Großbritannien das Unterhaus dem Einsatz widersprochen und in den USA Präsident Obama die Entscheidung in die Hände des Kongresses gelegt habe, für eine irreversible Veränderung der Zuständigkeitsverteilung gesorgt. "Kein US-Präsident und kein britischer Premierminister wird künftig solche Fragen noch allein entscheiden können", lautete seine Prognose.
Im deutschen Parlament, so Lammert, gebe es derzeit keine Mehrheit für ein militärisches Vorgehen. "Es gibt eher die breite Tendenz, sich nicht zu beteiligen", machte er deutlich. Von Riham Suleiman aus Jordanien gefragt, was denn unter der Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einer politischen Lösung zu verstehen sei, räumte der Bundestagspräsident ein, dass es sich hierbei um eine politische Floskel handelt. "Eine Forderung nach einer politischen Lösung ist natürlich noch keine Lösung", sagte er. Es sei allenfalls die Absage an eine militärische Intervention.
Lammert machte deutlich, dass die Lage in Syrien extrem kompliziert sei. Es sei völlig unklar, wer an die Stelle des derzeitigen Machthabers rücken könne. Ein demokratischer Gegenpart sei nicht zu erkennen, was zu dem Problem führe: "Wen sollen wir eigentlich unterstützen?" Das erschwere auch die Möglichkeiten Deutschlands, Syrien und seinen Menschen zu helfen, sagte Lammert zum Abschluss der Fragestunde.
Für die Stipendiaten, die sich im Anschluss noch zu einem Gruppenbild mit dem Präsidenten trafen, stehen nun anstrengende Wochen ins Haus. Neben verschiedensten Veranstaltungen im Bundestag steht eine Fahrt in das Akademiezentrum Sankelmark in Schleswig-Holstein und der Aufenthalt in den Wahlkreisen der Abgeordneten auf dem Terminplan. (hau/03.09.2013)