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Die IPS-Stipendiaten mit Ulrich Schöler, Christiane Hoffmann und Gero Neugebauer (Mitte) © DBT/Melde
"Wird es eine Große Koalition geben?" Die Frage, die ganz Deutschland, ja ganz Europa derzeit bewegt, interessiert auch die Teilnehmer am Programm des Internationalen Parlamentsstipendiums (IPS) für die arabischen Staaten. Während einer vom Leiter der Abteilung Wissenschaft und Außenbeziehungen der Bundestagsverwaltung, Prof. Dr. Ulrich Schöler, moderierten Diskussionsveranstaltung zur politischen Analyse der Bundestagswahl 2013 mit der Spiegel-Journalistin Christiane Hoffmann und dem Parteienforscher Dr. Gero Neugebauer am Dienstag, 24. September 2013, war es die Tunesierin Imen Nefzi, die die "Eine-Million-Euro-Frage", wie sie Neugebauer nannte, stellte. Eine klare Antwort konnten zwei Tage nach der Wahl weder der Parteienforscher noch die Journalistin geben.
Eine Große Koalition sei am wahrscheinlichsten, sagte Christiane Hoffmann und schränkte zugleich ein: "Man kann sich aber nicht sicher sein, dass es so kommt." Insbesondere bei der SPD gebe es derzeit noch viel Widerspruch dagegen.
Die Bedenken der Sozialdemokraten, so Parteienforscher Neugebauer, hätten auch damit zu tun, dass sich die Linkspartei bei einer Regierungsbeteiligung der SPD weiter profilieren und bei der Wahl in vier Jahren sozialdemokratische Stimmen abwerben könnte.
Salma Hamed aus Ägypten verwies darauf, dass nach der SPD 2009 nun auch die FDP als Juniorpartner in der Koalition mit der Union schwer geschädigt hervorging. Ihre Frage nach dem Warum beantwortetet Neugebauer damit, dass es Bundeskanzlerin Angela Merkel gut gelinge, "Erfolge an sich zu ziehen und Misserfolge dem Partner zuzuweisen". Was die FDP angeht, so habe diese aber schlichtweg keine Leistung erbracht, urteilte er.
Das Ende der FDP als Bundestagspartei habe sie nicht überrascht, sagte Christiane Hoffmann. Die Partei habe ein "desolates Bild" geboten, welches einer Regierungspartei unwürdig gewesen sei.
Die Stipendiaten, die den Wahlabend zumeist gemeinsam mit ihren Patenabgeordneten verbracht hatten, gingen auch auf die Feststellung Hoffmanns und Neugebauers ein, dass die Wahl nicht durch Inhalte, sondern durch Personalien bestimmt worden sei. Warum es nicht gelungen sei, die Bevölkerung im Wahlkampf stärker auf die Inhalte der Parteien hinzuweisen, wollte Zina Mahmoud aus Ägypten wissen.
Die Journalistin wollte hierfür nicht ausschließlich die Presse in der Verantwortung sehen. Die deutschen Qualitätszeitungen hätten immer wieder über die Wahlprogramme berichtet, sagte die Spiegel-Journalistin. Letztlich seien die Menschen aber selbst daran schuld, dass nicht über Inhalte geredet wurde. "Das stimmt mich sehr bedenklich", sagte Hoffmann.
Aus Sicht von Gero Neugebauer war es ein unabgesprochener Konsens unter allen Parteien, den Wahlkampf ruhig und "die Probleme unter dem Deckel" zu halten. Nicht zuletzt angesichts dessen nannte der Parteienforscher den Wahlkampf einen "negativen Beitrag zur politischen Kultur".
Den überwältigenden Erfolg der Union führte Neugebauer unter anderem auf die Schwäche der politischen Gegner und das erfolgreiche Suggerieren eines Lagerwahlkampfs Rechts gegen Links zurück. Der erfolgreichste Zug in der Unionsstrategie sei jedoch die Personalisierung auf Angela Merkel gewesen. "Wer wählt schon seine Mutter ab?", fragte Neugebauer.
Für die Journalistin Hoffmann ist das Muttermotiv nur ein Grund für das starke Ergebnis der Kanzlerin und ihrer Partei. Anders als bislang hätten auch viele junge Frauen Angela Merkel gewählt. Hoffmanns Vermutung ging in die Richtung, dass Angela Merkel für viele junge Frauen als Beispiel gilt, "dass frau alles erreichen kann".
Was die neu gegründet Partei Alternative für Deutschland (AfD) angeht, so sprach Hoffmann von einem "sensationellen Erfolg". Sie finde es gut, dass es nun eine Partei gibt, die die angeblich alternativlose Europapolitik Merkels infrage stellt, sagte die Journalistin.
Der Stipendiat Ali Nasri aus Tunesien sprach die 15 Prozent der abgegebenen Stimmen an, die aufgrund der Fünf-Prozent-Hürde keinen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt hätten. "Ist hier nicht eine Reform nötig?", fragte er.
Parteienforscher Neugebauer räumte ein, dass diese Regelung zu Enttäuschungen führen könne. Um eine Zersplitterung der Parteienlandschaft zu vermeiden, müsse man diese "sozialen Kosten des Wahlrechts" aber tragen. (hau/24.09.2013)