Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2013
Im Deutschen Bundestag geht es gerade um die Wurst. Weil sich die Parteien nicht einigen konnten, hat der Bundeskanzler beim Bundestagspräsidenten eine Regierungserklärung beantragt. Zur Debatte steht die Abstimmung über das Saitenwurstfinanzierungs- förderungsgesetz. Planspiel im Pavillon des Parlaments. Zwei Tage lang, am 2. und 3. Oktober 2013, ist während des Bürgerfestes zum Tag der Deutschen Einheit auf dem Stuttgarter Schlossplatz eine Kleinausgabe des Deutschen Bundestages aufgebaut. Vorne hängt, wie auch im Berliner Reichstagsgebäude, der Bundesadler. In Stuttgart ist er allerdings aus Pappe.
Auf den Sitzen drängen sich 200 Besucher des Bürgerfestes. Während der nächsten halben Stunde sind sie Parlamentarier – so lange dauert die Einführung in den Arbeitsalltag im Plenum. Vom Band tönt der Gong. Weil alles so echt wie möglich sein soll, erheben sich die Abgeordneten, als der Bundestagspräsident eintritt, um die Sitzung zu leiten. Als Mann mit dem zweithöchsten Amt im Staate genießt er dieses Privileg.
Doch in dieser Sitzung muss der Bundestagspräsident, wie auch die anderen Politiker im Planspiel ein Mitarbeiter des Besucherdienstes des Deutschen Bundestages, zunächst Grundlegendes klären. "In der CDU/CSU-Fraktion sitzt noch jemand mit Kappe", mahnt er. Kopfbedeckungen, die nicht zu einer Tracht gehören oder Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses sind, müssen jedoch abgenommen werden.
Dann erhält der Regierungschef, im Planspiel ein Bundeskanzler, das Wort. Vor dem Bauch formt er mit den Händen die Merkelraute und wirft im staatstragenden Ton einen Blick zurück auf die Erfolge der vergangenen vier Jahre.
"Für die CDU waren sie sehr erfolgreich, für die FDP leider weniger", resümiert er und wendet sich mit einem ironischen Lächeln an die Fraktion der Liberalen. Denn die sind derzeit noch im Bundestag vertreten. Zwar ist am 22. September der 18. Deutsche Bundestag gewählt worden. Aber noch ist dieser nicht zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengekommen.
Der Bundeskanzler gibt sich überzeugt. Er habe sich bei der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg versichert, dass noch Geld im Haushalt für das Saitenwurstfinanzierungsförderungsgesetz sei. "Wenn Schwaben sagen, es ist noch Geld da, kann man das auch glauben", argumentiert er.
Aber, der Kanzler will Kanzler aller Deutschen sein. "Wer Saitenwurst sagt, sagt natürlich auch Berliner Bulette und westfälische Mettwurst." Applaus aus dem Plenum. Der Bundestagspräsident ist überrascht: "Jubel von der SPD? Normalerweise bekommt die Regierung keinen Applaus von der Opposition."
Zu so einem wichtigen Gesetz nimmt auch der Bundesratspräsident Stellung. Obwohl dieser mit Winfried Kretschmann noch bis Anfang November ein Grüner ist und damit im Bundestag der Opposition angehört, heißt auch der Bundesratspräsident die Gesetzesinitiative gut. Schließlich kommt die Saitenwurst aus dem Ländle.
Regionalpatriotismus hin oder her – die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen kritisiert das Gesetz in der Aussprache heftig. Sie halte nichts davon, den Deutschen ins Essen hineinzuregieren.
"Sonst kommen Sie noch mit einem Gesetz dazu, ob die Maultasche geschabt oder gepresst sein muss", echauffiert sie sich. Die süffisanten Zwischenrufe aus dem Plenum zum Veggie-Day aus dem Wahlkampf der Grünen überhört sie.
Nach der Debatte müssen die Besucher mit farbigen Kärtchen abstimmen. Der "Abgeordnete" Wilfried Gschaider ist gespalten. Der 74-Jährige aus Leonberg sitzt im SPD-Block, schließlich ist er auch im wahren Leben Sozialdemokrat. Anderseits ist er Württemberger. Einmal in der Woche gehören für ihn Saitenwürstle auf den Tisch. Soll er mit seiner Fraktion gegen den Antrag der Regierung stimmen? Oder siegt sein landsmannschaftliches Interesse?
"Ach was, Soitewürschtle gibt's a jetzt scho, ohne Förderung", sagt er und zückt das rote Nein-Kärtchen. Allerdings: Die Mehrheit im Bundestag auf dem Bürgerfest in Stuttgart stimmt für den Gesetzentwurf der Regierung. Sogar die Grünen und Die Linke – Veggie-Day und kulinarischer Internationalismus hin oder her. (jac/k04.10.2013)