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Der Pforzheimer CDU-Abgeorndete Roland Richter muss Fraktionschef Wolfgang Schäuble am 15. November 1994 erklären, warum er beinahe die Kanzlerwahl verpasst hätte; unten rechts die CDU-Abgeordnete Angela Merkel. © pa/dpa
Der Bundestag wählt am Dienstag, 17. Dezember 2013, ab 9 Uhr die Bundeskanzlerin, wie es Artikel 63 des Grundgesetzes verlangt. Nachdem die SPD-Basis dem Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CSU zugestimmt hat, kann Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) auch in den kommenden vier Jahren die Bundesregierung führen. Im Anschluss an die Wahl soll die Kanzlerin vereidigt werden. Danach wird die Bildung der Bundesregierung bekanntgegeben, und die neuen Bundesministerinnen und -minister werden von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert vereidigt (Artikel 64 Absatz 2 Grundgesetz). Bereits am Mittwoch, 18. Dezember, gibt die Kanzlerin ab 9 Uhr im Bundestag eine 20-minütige Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 19. und 20. Dezember in Brüssel ab, an die sich eine zweistündige Aussprache anschließt.
Die Sitzungen werden ab 9 Uhr live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.
Die bisherige Amtszeit der Kanzlerin ist längst abgelaufen – genau am Dienstag, 22. Oktober, dem Tag der konstituierenden Sitzung des am 22. September neu gewählten 18. Deutschen Bundestages (Artikel 69 Absatz 2 des Grundgesetzes). Was das Grundgesetz nicht sagt ist, innerhalb welcher Frist ein neuer Bundeskanzler gewählt werden muss. Festgelegt ist im dritten Absatz des Artikels 69 nur, dass die Kanzlerin auf Bitten von Bundespräsident Joachim Gauck verpflichtet ist, ihre Amtsgeschäfte so lange weiterzuführen, bis Gauck einen neuen Bundeskanzler ernannt hat.
Seit dem Ablauf ihrer Amtszeit agiert Angela Merkel als geschäftsführende Bundeskanzlerin. An ihren Kompetenzen hat das allerdings nichts geändert. Der Bundestag konnte ihr jedoch seit dem 22. Oktober nicht das Misstrauen aussprechen (Artikel 67 des Grundgesetzes), und die Kanzlerin konnte im Parlament nicht die Vertrauensfrage stellen (Artikel 68).
Die zeitliche Spanne zwischen der Bundestagswahl und der Wahl des Bundeskanzlers war in den zurückliegenden 17 Wahlperioden unterschiedlich lang. Sie reichte von 23 Tagen 1983 (Wahl am 6. März, Kanzlerwahl am 29. März) bis zu 73 Tagen 1976 (Wahl am 3. Oktober, Kanzlerwahl am 15. Dezember). In diesem Jahr wäre mit 86 Tagen allerdings ein neuer Höchststand erreicht. So viele Tage sind seit der Bundestagswahl vergangen, wenn die Kanzlerin am 17. Dezember gewählt wird.
Die Kanzlerwahl kann aus bis zu drei Wahlphasen bestehen und findet mit "verdeckten Stimmzetteln", also geheim, statt. Bei diesem Verfahren dürfen nach der Geschäftsordnung des Bundestages die Stimmzettel erst vor Betreten der Wahlzelle ausgehändigt werden. Zur Wahl werden die Abgeordneten namentlich aufgerufen.
In der ersten Wahlphase zwingt das Grundgesetz den Bundespräsidenten, dem Bundestag innerhalb einer "angemessenen" Frist einen Wahlvorschlag zu unterbreiten. An Empfehlungen, etwa der Mehrheitsfraktionen, ist er dabei nicht gebunden. Er entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, sollte zugleich aber einen Kandidaten benennen, der mehrheitsfähig ist.
Der Bundespräsident muss einen bestimmten Kanzlerkandidaten präsentieren und darf dies nicht an politische Vorgaben knüpfen. Da die Erfolgsaussichten des Kandidaten entscheidend von seiner Mehrheitsfähigkeit im Bundestag abhängen, gibt es keine feste Frist, innerhalb derer der Bundespräsident einen Kandidaten vorschlagen muss.
Zum Bundeskanzler gewählt werden können Deutsche, die das aktive und passive Wahlrecht zum Bundestag besitzen. Aktives Wahlrecht heißt, dass sie den Bundestag mitwählen dürfen, passives Wahlrecht, dass sie selbst in den Bundestag gewählt werden könnten. Aber: Der Bundeskanzler muss kein Bundestagsabgeordneter sein!
In der ersten Wahlphase braucht der Kandidat die absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, also mindestens eine Stimme mehr als die Stimmen der Hälfte des Parlaments. Man spricht hier auch von der sogenannten Kanzlermehrheit. Der neue Bundestag zählt 631 Mitglieder, der Kanzler müsste also mindestens 316 Stimmen auf sich vereinigen, um gewählt zu werden.
Bislang ist noch jeder Bundeskanzler in der ersten Wahlphase gewählt worden, wenn zum Teil auch nur sehr knapp. So kam Konrad Adenauer bei seiner Wahl am 15. September 1949 auf genau die 202 Stimmen, die er für seine Wahl mindestens brauchte.
Willy Brandt hatte bei seiner ersten Wahl zum Bundeskanzler am 21. Oktober 1969 mit 251 Stimmen gerade mal zwei mehr als verlangt. Brandts Nachfolger Helmut Schmidt kam bei seiner Wiederwahl am 15. Dezember 1976 mit einer Stimme mehr als der Kanzlermehrheit von 249 Stimmen durchs Ziel.
Helmut Kohl hatte bei seiner Wiederwahl am 15. November 1994 ebenfalls eine Zitterpartie vor sich. Am Ende reichte es mit einer Stimme mehr (338) als erforderlich (337). Ein Abgeordneter seiner Fraktion hatte verschlafen und stürmte in letzter Minute in den Plenarsaal. Keine komfortable Mehrheit hatte auch Gerhard Schröder am 22. Oktober 2002, als er mit drei Stimmen mehr als nötig wieder zum Kanzler gewählt wurde.
Sollte ein Kandidat einmal nicht in der ersten Wahlphase gewählt werden, geht die Initiative für Wahlvorschläge in der zweiten Wahlphase auf den Bundestag über (Artikel 63 Absatz 3 des Grundgesetzes).
Wahlvorschläge aus dem Parlament müssen von einem Viertel der Abgeordneten oder einer Fraktion, die mindestens ein Viertel aller Abgeordneten umfasst, unterzeichnet werden. Liegen mehrere solcher Wahlvorschläge vor, sind in dieser zweiten Wahlphase beliebig viele Wahlgänge möglich. Für die zweite Wahlphase hat der Bundestag 14 Tage Zeit.
Wird auch hier kein Kanzler gewählt, folgt direkt die dritte Wahlphase (Artikel 63 Absatz 4 des Grundgesetzes). Der Bundestag muss nach Ablauf dieser 14 Tage erneut wählen. Kanzler wird dann, wer die relative Mehrheit der Stimmen erhält. Es genügt also, mehr Stimmen auf sich zu vereinigen als jeder einzelne Mitbewerber.
Wird der Kandidat mit Kanzlermehrheit gewählt, muss ihn der Bundespräsident innerhalb von sieben Tagen zum Bundeskanzler ernennen. Bei Stimmengleichheit kann erneut gewählt werden.
Erreicht der Gewählte nur die relative Mehrheit, hat der Bundespräsident sieben Tage lang Zeit, den Gewählten als Minderheitskanzler zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen. Lässt er die Frist verstreichen, kann er den Bundestag nicht mehr auflösen und muss den Gewählten zum Minderheitskanzler ernennen. Wird der Bundestag aufgelöst, muss innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden (Artikel 39 Absatz 1 des Grundgesetzes). (vom/gie/13.12.2013)