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Drei Bauern, eine Tierärztin und eine Lehrerin – fünf Abgeordnete, deren Weg in die Politik nicht unterschiedlicher gewesen sein könnte. Und dennoch haben sie eins gemeinsam: Sie alle haben sich einem Politikfeld verschrieben, dass zwar nicht großes Prestige verspricht, aber große Auswirkungen für die Menschen in ihrem Alltag hat: die Agrar-, Ernährungs- und Verbraucherschutzpolitik.
"Bleibt auf dem Lande und wehret Euch täglich!" Der Titel des alten Landjugendliedes steht nicht nur eingemeißelt in einen Balken über dem Scheunentor von Friedrich Ostendorffs rund 750 Jahre altem Bauernhof im westfälischen Bergkamen-Weddinghofen. Er ist auch gut sichtbar auf der Webseite des grünen Bundestagsabgeordneten platziert. "Das war unser Leitspruch, als meine Frau Ulrike und ich damals den Hof von meinen Eltern übernahmen", sagt Ostendorff.
Schnell wurde der Titel des Landjugendliedes auch zum politischen Motto des heute 60-Jährigen. Auf dem Land bleiben, wehrhaft sein – das hieß Ende der siebziger Jahre für ihn, den Bauern, und seine Frau, die Anti-Atom-Aktivistin, vor allem: Widerstand gegen die Landenteignung von Bauern für den Bau von Atomkraftwerken. Es war die Auseinandersetzung um den Bau des Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktors, kurz: THTR-300, in Hamm-Uentrop, die Ostendorff politisierte.
Wehrhaft sein, das heißt aber heute für Ostendorff insbesondere, eine "bäuerliche, faire, tiergerechte und ökologische Landwirtschaftspolitik" einzufordern. "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" ist sein Motto – so steht es auch auf dem Plakat an seiner Bürotür im Bundestag.
Ostendorff tritt aber nicht nur politisch für eine Wende in der Agrarpolitik ein. Als Öko-Bauer lebt er seine Überzeugung – wenngleich es am Anfang eines sanften Drucks bedurfte, bekennt er augenzwinkernd.
Zum ökologischen Landbau habe ihn ausgerechnet eine Städterin, seine Frau Ulrike, gebracht: ’Es kann doch wohl nicht sein, dass die Kühe einkaserniert werden, nur weil es ein bisschen effizienter ist’, habe sie damals zu ihm gesagt. Und: "Ich heirate nur, wenn wir auf Öko umstellen." Ostendorff lacht.
1981 wurde Hochzeit gefeiert, 1983 von der konventionellen zur biologischen Landwirtschaft gewechselt. 80 Hektar Land, Kühe, Schweine, Hühner und der Hofladen "Himmel und Erde" sind heute hauptsächlich die Domäne seiner Frau. "Sie hat ihren Traum verwirklicht."
Das könnte man auch über den Politiker Ostendorff sagen: Seine Leidenschaft galt schon früh der Politik. "Als Kind fand ich den Hof furchtbar", gesteht er. "Ich kannte ja die Arbeitsbedingungen, die Enge." Der Bauernsohn träumte stattdessen von einem Politik- oder Geschichtsstudium.
Doch das war undenkbar. Zum einen, weil seine Noten in der Schule zu wünschen übrig ließen, zum anderen, weil es als ausgemacht galt, dass er als einziger Sohn den Hof erbt. Widerwillig fügte sich Ostendorff und begann nach der Mittleren Reife seine landwirtschaftliche Ausbildung.
Seine Einstellung zur Landwirtschaft änderte sich indes völlig. Er entdeckte, was für ein "toller Beruf es ist, Bauer zu sein, draußen in der Natur selbstbestimmt zu arbeiten." Aber: Ostendorff hatte schon früh seinen eigenen Kopf. Wie der Vater, der sich als Landwirt auf die Schweine- und Rindermast konzentriert hatte, wollte er es nicht machen. Er begann sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft zu engagieren, die für eine nachhaltige Landwirtschaft eintritt.
13 Jahre, von 1982 bis 1996, war er Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. Zusammen mit anderen gründete er 1981 die Grünen in Unna und rief ein Jahr später den Bioland-Landesverband NRW ins Leben. 1988 war er zudem bei der Gründung des Neuland-Programms für artgerechte Tierhaltung dabei. 2006 trat er dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bei.
Auch kommunalpolitisch begann Ostendorff aktiv zu werden: 1994 als Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag Unna, fünf Jahre später als Fraktionschef im Regionalrat des Regierungsbezirks Arnsberg. Für viele Mitstreiter war der Bio-Bauer da bereits das "grüne Gesicht für den ländlichen Raum"; sie wollen ihn auch im Bundestag sehen. Doch Ostendorff winkte stets ab: "Von dort aus kriege ich den Hof doch gar nicht organisiert." Doch der Wunsch, "mit 50 noch einmal etwas ganz anderes zu machen", war stärker.
Als vor der Bundestagswahl 2002 die Anfrage kam, für den Bundestag zu kandidieren, sagte er schließlich zu. Und hatte Erfolg. Bei den vorgezogenen Neuwahlen 2005 verlor allerdings Rot-Grün die Mehrheit – und Ostendorff sein Mandat. Seit 2009 ist er jedoch nach jeder Bundestagswahl wieder in den Bundestag zurückgekehrt – als agrarpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Auch dieses Mal strebt der Westfale zurück in den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, dessen stellvertretender Vorsitzender er zuletzt war.
Kein Wunder, viel gibt es für ihn zu tun: Die EU-Agrarreform, in die er so große Hoffnungen gesetzt hat, sei schließlich "eine Ernüchterung". Von den großen Plänen des EU-Agrarkommisssars Dacian Cioloș, die Landwirtschaft in der Europäischen Union ökologischer und nachhaltiger zu gestalten, sei nur wenig übrig geblieben.
"Aber die Gegenwehr der deutschen Regierung und der Verbände rings um den Deutschen Bauernverband war so massiv, dass die Kommission nachgeben musste." sagt er. Er wisse aus Erfahrung, dass ein "Koloss" wie die EU sich nur langsam bewege. Radikale Veränderungen habe er gar nicht erwartet.
Doch Ostendorff wäre nicht der Optimist, der er ist, wenn er der Reform nicht doch etwas Gutes abgewinnen könnte: "Endlich werden die Subventionen für die landwirtschaftlichen Betriebe an eine Gegenleistung gebunden. Für öffentliche Gelder werden jetzt erstmals auch öffentliche Leistungen eingefordert." Die Betriebe müssten Naturschutz- und Umweltauflagen beachten und nachweisen, dass ihre Arbeit auch einen ökologischen Effekt hat.
"Es kann ja nicht so weitergehen, dass die Landwirtschaft die Artenvielfalt bedroht und die Nitratwerte im Grundwasser aufgrund der intensiven Tierhaltung explodieren." Richtig findet er auch, dass nun die kleineren Betriebe, zu denen auch viele Bio-Höfe gehören, künftig einen Aufschlag bei den Direktzahlungen erhalten sollen. Dieser sei zwar längst nicht so hoch wie erhofft, aber: "Er kann weder abgeschafft noch wieder runtergeschraubt werden. Er kann nur steigen." Dass er dafür kämpfen wird, ist klar. (sas/12.12.2013)