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Nach dem Bundespräsidenten ist er der höchste Repräsentant der deutschen Demokratie: der Bundestagspräsident - protokollarisch der "zweite Mann im Staate". Mag seine politische Macht auch begrenzt sein, so genießt sein Amt doch höchstes Ansehen. Sein Wort hat in der Öffentlichkeit Gewicht. In unserer Serie stellen wir die zehn Männer und zwei Frauen an der Spitze des deutschen Parlaments vor. Hier: Richard Stücklen, siebter Bundestagspräsident vom 31. Mai 1979 bis zum 29. März 1983.
Er ist der erste und bisher auch einzige CSU-Politiker, der in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bundestagspräsident geworden ist: Richard Stücklen. Als er das Amt an der Spitze des Parlaments 1979 von Prof. Dr. Karl Carstens übernimmt, ist der 62-Jährige kein Neuling mehr im parlamentarischen Betrieb, weder im Bundestag noch im Präsidium. Im Gegenteil: Seit 1976 ist Stücklen Vizepräsident gewesen, Abgeordneter sogar schon seit 1949. Erst 1990 scheidet er aus dem Bundestag aus. 41 Jahre lang war er Parlamentarier, so lange wie kein anderer in Deutschland – bis heute.
Richard Stücklen wird am 20. August 1916 im mittelfränkischen Heideck als Sohn eines Schlossermeisters geboren. Es ist ein politisches Elternhaus, in dem er aufwächst: Sein Vater ist Bürgermeister, später Mitbegründer der CSU, Mitglied und sogar Alterpräsident des Bayerischen Landtags. Sein Onkel gehört vor dem Zweiten Weltkrieg als SPD-Abgeordneter dem Reichstag an.
Richard Stücklen erlernt zunächst das Elektrohandwerk und studiert dann Elektrotechnik. 1936 muss er jedoch sein Studium unterbrechen, weil er erst zum Reichsarbeitsdienst, anschließend zum Wehrdienst eingezogen wird. 1944 schließt er seine Ausbildung am Technikum im sächsischen Mittweida ab. Seine erste Anstellung findet er ebenfalls in Sachsen: Er wird Abteilungsleiter bei einem Betrieb der AEG in Freiberg. Als es 1945 zur Demontage kommt, geht der 19-Jährige zurück nach Heideck und übernimmt den väterlichen Schlosserbetrieb.
Noch im selben Jahr beginnt sich Stücklen politisch zu engagieren: Wie sein Vater ist er Mitbegründer der CSU im Landkreis Hilpoltstein in Bayern und übernimmt schon bald erste Funktionen im Bezirksvorstand sowie in der Jungen Union. 1949 kandidiert Stücklen für den ersten Bundestag. Mit Erfolg: Im September reist er als direkt gewählter Abgeordneter seines Wahlkreises Weißenburg nach Bonn zur konstituierenden Sitzung.
In seinen Memoiren schildert er später, unter welchen ‚widrigen’ Bedingungen der Aufbau der parlamentarischen Demokratie stattfand - auch für ihn selbst: So werden ihm auf der Fahrt im Nachtzug seine Schuhe gestohlen. Auf Socken muss Stücklen neue Schuhe kaufen, bevor er zur konstituierenden Sitzung gehen kann. Stücklen ist zu diesem Zeitpunkt 33 Jahre alt und jüngster Abgeordneter. Erst 1990 scheidet er aus dem Bundestag wieder aus – bis heute ist Stücklen der "dienstälteste" Volksvertreter aller Zeiten, ein "parlamentarisches Urgestein".
Im Bundestag wird Stücklen zunächst Sprecher seiner Fraktion für Wirtschafts- und Verkehrsfragen, von 1953 bis 1957 ist er stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe. Insbesondere durch sein Engagement für den Mittelstand macht Stücklen auf sich aufmerksam: Bis heute gilt er auch als "Vater der Handwerksordnung", die er maßgeblich mit ausgearbeitet hat. 1957 wird dieser Einsatz belohnt, Adenauer ernennt ihn zum Minister für das Post- und Fernmeldewesen.
Stücklens neunjährige Amtszeit ist insbesondere durch die Rationalisierung des Postbetriebs, den Ausbau des Selbstwählbetriebs und die Einführung der Postleitzahlen gekennzeichnet. Diese Zeit als Minister nennt er später die schönste Phase in seiner Laufbahn. 1966, bei der Bildung der Großen Koalition, scheidet Stücklen aus dem Kabinett aus und übernimmt den Vorsitz in der CSU-Landesgruppe, den er zehn Jahre, bis Dezember 1976, innehat. Stücklen erwirbt sich in dieser Zeit den Ruf eines geschätzten Vermittlers zwischen den Fraktionen.
Nach der Bundestagswahl 1976 wird der CSU-Politiker zum Bundestagsvizepräsidenten gewählt. Auch im Präsidium kommen ihm die Fähigkeiten als "Konsensfinder" zugute, die der spätere Bundestagspräsident und heutige Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) in einem Nachruf auf Stücklen würdigt.
Zweieinhalb Jahre später, als Prof. Dr. Karl Carstens Bundespräsident wird, ist es Stücklen, der am 31. Mai 1979 seine Nachfolge antritt. Im Amt ist er ein "souveräner Präsident", dem "Fairness zwischen den politischen Gegnern" ein großes Anliegen ist, so lobt Thierse. "Niemals darf der Respekt vor der anderen, vor der konkurrierenden Meinung verloren gehen", so formulierte Stücklen selbst einmal sein politisches Credo.
Entschieden schreitet er ein, wenn er die Würde des Parlaments infrage gestellt sieht. Das bekommt auch Joschka Fischer (Die Grünen) zu spüren: 1984, Stücklen leitet als Vizepräsident die Sitzung, verweist er den Abgeordneten und späteren Bundesaußenminister wegen persönlicher Beleidigung ("Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!") für zwei Sitzungstage des Plenarsaals.
In Erinnerung bleibt auch Stücklens Vorschlag, jedem Abgeordneten ein "politikfreies Wochenende" im Monat zu gönnen, um Zeit für die Familie zu haben. Öffentliche Kritik erntet er aber, als 1982 bekannt wird, dass eine Ingenieursgesellschaft, an der er beteiligt ist, Planungsarbeiten für den Neubau des Plenarsaals des Bundestages in Bonn übernommen hat. 1983, nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Anschluss an den Regierungswechsel von der sozialliberalen zur schwarz-gelben Koalition, gibt Stücklen das Amt des Bundestagspräsidenten an Rainer Barzel (CDU) ab. Er bleibt aber Bundestagsvizepräsident.
Die deutsche Einheit, die Stücklen als Krönung seiner 1945 begonnenen politischen Laufbahn empfindet, erlebt er noch als Abgeordneter. Sein 40-jähriges Abgeordneten-Jubiläum nimmt er zum Anlass, seinen Verzicht auf eine Kandidatur bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl zu erklären.
Am 2. Mai 2002 stirbt Richard Stücklen nach langer Herzkrankheit in einem Krankenhaus in Weißenburg. Er wurde 85 Jahre alt. (sas/22.10.2013)