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Nach dem Bundespräsidenten ist er der höchste Repräsentant der deutschen Demokratie: Der Bundestagspräsident – protokollarisch der "zweite Mann im Staate". Mag seine politische Macht auch begrenzt sein, so genießt sein Amt doch höchstes Ansehen. Sein Wort hat in der Öffentlichkeit Gewicht. In unserer Serie stellen wir die zehn Männer und zwei Frauen an der Spitze des deutschen Parlaments vor. Hier: Prof. Dr. Norbert Lammert, Bundestagspräsident seit dem 18. Oktober 2005.
Seine dritte Amtszeit begann am 22. Oktober 2013, als der Bundestag Norbert Lammert erneut an die Spitze des Parlaments wählte. Er ist damit der zwölfte Bundestagspräsident in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Er gilt als Liebhaber klassischer Musik und der Literatur, kurz: als Feingeist.
Ein "Leisetreter" ist der in Bochum geborene CDU-Politiker aber keineswegs: Er scheut sich durchaus nicht Klartext zu reden, wenn es nötig ist. Vor allem, wenn es darum geht, dem Parlament als zentralem Verfassungsorgan der Bundesrepublik Beachtung und Gehör zu verschaffen.
In seiner Antrittsrede nach seiner Wiederwahl las Lammert nicht nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF die Leviten, weil diese anstatt wichtiger Parlamentssitzungen zunehmend Seifenopern sendeten. Auch an die Adresse des eigenen Hauses wie der Regierung richtete der Präsident kritische Worte.
Norbert Lammert kam am 16. November 1948 als ältestes von sieben Kindern des Bäckermeisters Ferdinand Lammert und dessen Frau Hildegard in Bochum zur Welt. Dort besuchte er die katholische Volksschule und das altsprachlich-humanistische Gymnasium. Nach dem Abitur 1967 und dem Wehrdienst, den er bis 1969 in Ahlen und Dülmen bei der Artillerie absolvierte, begann Lammert in Bochum ein Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte und Sozialökonomie.
Ein Semester seiner Studienzeit (1971) verbrachte Lammert im englischen Oxford, bevor er 1972 sein Diplom erhielt. 1975 promovierte er mit der Arbeit über "Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung" zum Doktor der Sozialwissenschaften.
Danach arbeitete Lammert als freiberuflicher Dozent in der Erwachsenenbildung, später lehrte er Politikwissenschaft an den Fachhochschulen in Bochum und Hagen. Seit 2004 hat er einen Lehrauftrag an der Ruhr-Universität Bochum. 2008 wurde er dort Honorarprofessor.
Bereits als 16-Jähriger war Lammert 1964 Mitglied der Jungen Union (JU), 1966 trat er der CDU bei. 1975 wurde er in den Bochumer Stadtrat gewählt, wo er bis 1980 sogar mit seinem Vater gemeinsam saß. 1977 übernahm Lammert zudem den stellvertretenden Vorsitz der Bochumer CDU, den er bis 1985 innehatte. Sechs Jahre, von 1978 bis 1984, war er auch stellvertretender Landesvorsitzender der JU Westfalen-Lippe.
1980 gelang ihm der Einzug in den Bundestag, wo er unter anderem Mitglied im Wirtschaftsausschuss und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung war. 1989 wurde Lammert zum Parlamentarischen Staatssekretär beim damaligen Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Jürgen Möllemann (FDP), ernannt. Eine Position, die er trotz zweifachen Ministerwechsels behielt, bevor er 1994 als Staatssekretär ins Bundeswirtschaftsministerium unter Minister Günter Rexrodt (FDP) berufen wurde.
Bereits seit 1986 leitete Lammert den CDU-Bezirksverband Ruhrgebiet und war damit auch Mitglied des Landesvorstandes in Nordrhein-Westfalen, doch bei der im Mai 1994 erstmals durchgeführten Mitglieder-Urwahl für das Amt des Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl 1995 unterlag Lammert seinem Konkurrenten Helmut Linssen mit 39,4 zu 59,6 Prozent.
Seiner bundespolitischen Karriere schadete dieses Ergebnis nicht: Im folgenden Jahr, im Januar 1995, wurde Lammert zum Koordinator der Bundesregierung für die deutsche Luft- und Raumfahrt berufen. 1997 wechselte er dann - erneut als Parlamentarischer Staatssekretär - ins Verkehrsministerium unter Minister Matthias Wissmann (CDU). Die Funktion des Koordinators für die deutsche Luft- und Raumfahrt behielt er bei.
Nach der Bildung der rot-grünen Regierungskoalition im September 1998 schied Lammert als Staatssekretär aus, zog aber erneut als Abgeordneter in den Bundestag ein und wurde kultur- und medienpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Da galt er längst als "geübter Strippenzieher hinter den Kulissen", wie ihn "Die Welt" einmal bezeichnete. Man schätzt ihn zudem für seinen "analytischen Verstand und seine sachliche Art".
Vor den Bundestagswahlen 2002 holte Angela Merkel den bereits seit 1996 als Vorsitzender der einflussreichen nordrhein-westfälischen Landesgruppe amtierenden Lammert in ihr Kompetenzteam. SPD und Grüne konnten bei der Wahl ihre Mehrheit knapp verteidigen. Lammert wurde in der konstituierenden Sitzung des 15. Deutschen Bundestages zum Vizepräsidenten des Parlaments gewählt.
Drei Jahre gehörte er dem Präsidium an, bevor die rot-grüne Bundesregierung 2005 nach vorgezogenen Neuwahlen die Mehrheit im Bundestag verlor. Da die Union stärkste Fraktion geworden war, konnte Lammert an die Spitze des Parlaments aufrücken. Am 18. Oktober wählten ihn die Abgeordneten mit 93,1 Prozent der Stimmen zum Bundestagspräsidenten - eine Zustimmung, die vom Vertrauen in den auf Ausgleich bedachten Politiker zeugte.
Lammert selbst kommentiert das Ergebnis mit den Worten, er sei "geradezu erschüttert über den Vertrauensbonus". Es ist der Höhepunkt seiner zu diesem Zeitpunkt beinahe 25-jährigen parlamentarischen Karriere.
Dabei hatte Lammert in jungen Jahren eigentlich Musiker werden wollen, dann aber "eingesehen, dass meine Begeisterung für die Musik als Grundlage für einen Beruf nicht reichen würde". Die Berliner Philharmoniker hat er dennoch einmal - kurz nach seinem Amtsantritt als Bundestagspräsident - dirigieren dürfen.
Auf die Frage nach seiner dringlichsten Aufgabe sagte Lammert schon 2005 in einem Interview mit der "Zeit", der "Ansehensverlust von Politikern, von Regierungen wie von Oppositionen", bewege ihn sehr. Im Oktober 2008 verhängte er gegen den früheren Innenminister Otto Schily (SPD) ein Ordnungsgeld von 22.000 Euro, weil dieser sich geweigert hatte, Angaben über seine Nebentätigkeit als Anwalt zu machen. Die vom Bundestag beschlossenen Transparenzregeln müssten für alle gelten, betonte Lammert.
Auch nach seiner Wiederwahl am 27. Oktober 2009 monierte er, "die Parlamente, ihre Arbeit und ihre öffentliche Wirkung" seien "nicht immer so gut wie sie sein könnten und sein sollten". Lammert empfahl dem Hohen Haus unter anderem, über das Verhältnis von Parlament und Regierung, über die Wahrnehmung der originären parlamentarischen Aufgaben sowie über Mehrheits- und Minderheitenrechte im Bundestag nachzudenken.
Ein weiteres Anliegen verfolgt der Präsident seit Langem ebenso beharrlich: dem Bundestag Beachtung und Gehör zu verschaffen. Er müsse und dürfe sich nicht hinter anderen Verfassungsorganen verstecken, schließlich sei er das "Herz der politischen Willensbildung" und kein "Hilfsorgan", so Lammert.
Dementsprechend setzte er sich dafür ein, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Parlamentsberichterstattung erweitern. "Alle, die die Plenardebatten sehen wollen, sollen ein Angebot auf ihren Fernsehbildschirmen bekommen", sagte er im September 2008 vor der Presse. Vorausgegangen waren Verhandlungen mit den Rundfunkanstalten, die dazu führten, dass der Sender Phoenix seine Übertragungszeiten der Plenardebatten ausdehnte. Diese Entscheidung versetze den Bundestag in die Lage, so der Präsident damals, auf eine eigene bundesweite Ausstrahlung seines Parlamentsfernsehens verzichten zu können.
Als die öffentlich-rechtlichen Sender aber nicht einmal die Konstituierung des 17. Bundestages, sondern stattdessen Telenovelas übertrugen, kritisierte Lammert dies ungewöhnlich scharf – und ließ nebenbei auch seinen Sinn für Ironie aufblitzen: "Da die Chefredaktionen in ihren Entscheidungen so frei sind wie ich in meinem Urteil, kündige ich an, dass ich es bei jeder ähnlichen Gelegenheit erneut vortragen werde."
Dem Bundestagspräsidenten werde gelegentlich ein "kunstvoller Spagat" abverlangt, sagte Lammert einmal über sein Amt, das "mit fast keinem anderen politischen Amt vergleichbar" sei. Es sei "erkennbar nicht jenseits der aktiven Politik angesiedelt ist, sondern mitten in der konkreten, operativen Politik". Gleichzeitig stehe es - definiert durch seine Geschäftsordnung - außerhalb des Parteienstreites.
Lammert scheint darin inzwischen geübt zu sein: Auch wenn er es nicht jedem recht machen kann, so hat er es doch verstanden, sich großes Ansehen zu erwerben. Über Parteigrenzen hinweg beschreibt man ihn als fachkundig, ausgleichend und humorvoll. Er gilt als "ehrlicher Makler zwischen den Fronten", wie die "Süddeutsche Zeitung" ein Porträt Lammerts betitelte.
Prof. Dr. Norbert Lammert lebt in Bochum und Berlin und ist seit 1971 mit seiner Frau Gertrud verheiratet. Er hat vier Kinder. (sas/22.10.2013)