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Vorname schwedisch, Nachname italienisch, Muttersprache deutsch: Lars Castellucci ist einer von den neuen Abgeordneten im Deutschen Bundestag, die im Oktober 2013 für besondere Aufmerksamkeit sorgten. Der Grund: Der Sozialdemokrat aus dem baden-württembergischen Wiesloch hat einen Migrationshintergrund, wie mit ihm erstmals 37 andere Parlamentarier auch – so viele wie nie zuvor.
Die Migrations- und Integrationspolitik war zwar bislang kein bewusster Schwerpunkt in der politischen Arbeit des hochaufgeschossenen, schmalen 40-Jährigen, der nun für die SPD im Innenausschuss des Bundestages sitzt.
Die erste Rede des promovierten Politikwissenschaftlers im Plenum geriet trotzdem zu einem emotionalen Plädoyer für die Abschaffung der Optionspflicht, wonach alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern sich spätestens bis zum 23. Lebensjahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen: „Zwingen wir die Menschen nicht länger ihre Wurzeln abzuschneiden. Lassen wir die Menschen ganz!“
Eine Haltung, die auch von familiären Erfahrungen geprägt ist: Castelluccis Vater hatte schon in den 1970er-Jahren die italienische Staatsangehörigkeit abgegeben und die deutsche angenommen. Doch nun im Ruhestand, so Castellucci, stellten sich seinem Vater plötzlich wieder die alten, vermeintlich längst beantworteten Fragen: „Wo gehöre ich hin? Wo will ich leben – hier oder dort? Hier und dort?“
Dass in Deutschland meist sehr umständlich von Menschen mit Migrationshintergrund, Deutschen mit ausländischen Wurzeln oder mit Zuwanderungsgeschichte gesprochen werde, zeige doch, „dass wir an dieser Stelle ein Problem haben“, moniert Castellucci. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Sein Bundestagsmandat für den Wahlkreis Rhein-Neckar und den Vorsitz in der SPD-Arbeitsgemeinschaft Demokratie will er deshalb nutzen, um die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken, das ihm besonders wichtig ist: „In meiner zweiten Bundestagsrede habe ich gesagt: Das Innenministerium ist das Ministerium für gutes Zusammenleben. Die Auseinandersetzung darüber, wie dieses Zusammenleben von Alt und Jung, mit und ohne Migrationshintergrund aussehen kann, ist für mich ganz zentral. Unsere Gesellschaft wird älter und bunter, ein für alle verbindliches Wertesystem ist nicht mehr selbstverständlich. Wir müssen immer wieder neu aushandeln und organisieren, wie wir zusammenleben wollen.“
Dieses „Diversity Management“ sei eine Zukunftsaufgabe – längst nicht nur für die Politik.
Menschen partizipieren lassen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbinden und nutzen, um gesellschaftliche Probleme zu lösen – das ist sein Credo. Vor allem, seit er vor mehr als zehn Jahren begann, im Anschluss an sein Studium in Heidelberg für die Kommunikations- und Strategieberatung IFOK regionale Netzwerke für Beschäftigung zu betreuen. „Gesellschaftliche Beteiligung so zu organisieren, dass Menschen mit unterschiedlichen Zielsetzungen letztlich zu etwas Gemeinsamem beitragen, das ist großartig.“
Seine Partei sieht Castellucci vor allem „als Anlaufstelle für Verbesserer“. „Sie soll ein Ort sein, wo man für seine Ideen Unterstützer findet“, betont er. Als stellvertretender baden-württembergischer SPD-Landesvorsitzender gehört er auch zu denjenigen, die sich im Rahmen der Parteireform der Bundes-SPD für mehr Mitgliederbeteiligung und insbesondere den Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag mit der Union einsetzten.
Wie wichtig es ist, mit Ideen auf offene Ohren zu stoßen und ernst genommen zu werden, hat Castellucci schon in sehr jungen Jahren erfahren: „Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, wünschten meine Freunde und ich uns einen Bolzplatz in unserer Straße.“ Die Jungen hatten sogar schon ein unbebautes Grundstück im Auge, das nur darauf zu warten schien, umgewidmet zu werden.
„Ich bin ins Rathaus gegangen und habe tatsächlich einen Termin beim Oberbürgermeister bekommen.“ Das Anliegen ließ sich zwar nicht umsetzen, dankbar ist der Abgeordnete dem damaligen Stadtoberhaupt dennoch: „Das war ein privates Grundstück – dort konnte einfach kein Bolzplatz entstehen. Aber dass der Bürgermeister sich Zeit genommen und mich empfangen hat, war eine prägende Erfahrung.“
Selbst etwas zu tun und nicht nach Zuständigkeiten zu fragen, ist auch eine wichtige Triebfeder für Castelluccis politisches Engagement: Mit 16 Jahren tritt er in die SPD ein, mit 20 ist er bereits Ortsvereinsvorsitzender in seiner Heimatstadt. Eine seiner ersten Ideen, die er in dieser Funktion in die Tat umsetzt: ein Runder Tisch für Arbeit, aus dem wenig später die „Beschäftigungsinitiative Wiesloch und Umgebung“ hervorgeht, die Arbeitslosen neue berufliche Perspektiven bietet.
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sind seitdem seine Schwerpunktthemen. Im Gemeinderat, dem er bis zu seiner Wahl in den Bundestag fast 14 Jahre angehörte, initiiert er darüber hinaus den Verein „Wieslocher Tafel“ und eine Bürgerstiftung, die gemeinnützige und nachhaltige Projekte finanziert. „Bürgerstiftung Wiesloch legt erstmals eine Bilanz über 500.000 Euro vor - eine phantastische Entwicklung!“, twitterte Castellucci erst kürzlich begeistert.
Die Professur für "Nachhaltiges Management", insbesondere Integrations- und Diversity Management, die er 2013 an der Hochschule der Wirtschaft für Management in Mannheim übernommen hat, will er neben seinem Bundestagsmandat beibehalten. Schließlich gibt sie ihm die Möglichkeit, sein Herzensthema, die Organisation eines guten gesellschaftlichen Zusammenlebens, inhaltlich zu vertiefen und voranzutreiben.
Zudem fördert die Hochschule Studienberechtigte aus nichtakademischen und Migrationsfamilien, ein weiteres Anliegen von ihm: „Den Kontakt zu den jungen Menschen finde ich klasse, um ihre Zukunft geht es doch!“
Kein Wunder, dass angesichts des Pendelns zwischen Berlin und dem Wahlkreis, zwischen Professur und Plenum, Castelluccis Leidenschaft für das Orgelspielen zunehmend leidet.
Auch das Klavier zu Hause ist nur noch selten im Einsatz: „Es fehlt mir“, gibt Castellucci zu, der bereits mit sechs Jahren anfing Unterricht zu nehmen, zehn Jahre einen Chor leitete und nebenberuflich als Kirchenmusiker arbeitete. „Aber alles hat seine Zeit.“ Und nun ist es wohl Zeit für die hauptamtliche Politik. (sas/14.07.2014)