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An ihrem Vorgänger will sie sich nur ungern messen lassen. Und doch kennt die Öffentlichkeit Andrea Lindholz, als sie 2013 für die CSU das erste Mal bei einer Bundestagswahl für den Wahlkreis Aschaffenburg antritt, vor allem als diejenige, die der über 25-jährigen politischen Laufbahn von Norbert Geis (CSU) jäh ein Ende gesetzt hat. Dass ausgerechnet eine moderne, beruflich erfolgreiche Frau den erzkonservativen Abgeordneten in einer innerparteilichen Kampfkandidatur herausgefordert und gewonnen hatte, sorgte in den Medien für Wirbel.
Im Bundestag angekommen, hat die Anwältin und Mutter eines Sohnes aus dem unterfränkischen Goldbach ihre Konsequenzen gezogen und ist bewusst Mitglied im Innen- sowie im Europaausschuss geworden: „Ich wollte auf keinen Fall in den Familien- oder Rechtsausschuss“, sagt sie. Das hätte zwar fachlich gut zu der Juristin gepasst, die vorher in einer Aschaffenburger Kanzlei vor allem für Familien- und Erbrechtsfälle zuständig war.
Doch: Norbert Geis saß in diesen Ausschüssen und hatte klare Positionen. Ich habe andere und möchte nicht ständig mit ihm verglichen werden.“ Tatsächlich wirkt die 43-Jährige – blond, Brille und blaues Kostüm – wie der exakte Gegenentwurf zu dem 75-Jährigen: Anders als für ihn ist es für sie selbstverständlich, dass Frauen trotz Kindern Karriere machen und gleichgeschlechtliche Paare rechtlich gleichgestellt werden müssen.
Doch das sind nicht ihre Baustellen. Stattdessen kümmert sich Lindholz im Innenausschuss um Themen wie innere Sicherheit, Zivil- und Katastrophenschutz oder Ausländer- und Asylpolitik. Besonders auch der Datenschutz und die Aktivitäten der Nachrichtendienste beschäftigen die Abgeordnete, nicht zuletzt, weil sie seit März 2014 zum achtköpfigen Untersuchungsausschuss gehört, der Licht ins Dunkel der Abhöraffäre um den US-amerikanischen Geheimdienst NSA bringen soll.
Damit befindet sich die Bundestagsnovizin plötzlich nicht nur mittendrin in der Aufklärung eines der größten Spionage-Skandale aller Zeiten. Sie ist auch mittendrin in einer höchst emotional geführten Debatte. Dessen ist sich die Juristin voll bewusst: „Das Thema Datenschutz ist ein Zukunftsthema. Die Diskussion darüber, wie wir unsere Daten vor Missbrauch schützen, aber dennoch für die Sicherheit der Bürger sorgen, ist sehr wichtig und wird uns noch eine Weile begleiten.“
Die eigene Meinung, auch unabhängig von der Fraktion zu finden, sei nötig, findet sie. Wenn es um die Anhörung des Whistleblowers Edward Snowden als Zeugen geht, der mit seinen Enthüllungen die Affäre überhaupt erst ausgelöst hat, dann ist Lindholz aber voll auf deren Linie: Keine Befragung durch den Ausschuss auf deutschem Boden.
„Angesichts des Auslieferungsgesuchs der USA können wir nicht für seine Sicherheit garantieren“, erklärt sie. „Einen Anspruch auf Asyl hat Snowden nicht. Letztendlich müsste ein Oberlandesgericht darüber entscheiden. Das Ergebnis wäre vollkommen ungewiss.“
Vor einer Herausforderung zurückschrecken, das passt nicht zu ihr. Das zeigt allein die Kampfkandidatur um die Kandidatenkür, in der sie sich letztlich gegen zwei Männer und eine Frau durchzusetzen hatte.
Wasser auf die Mühlen der erklärten Frauenquoten-Gegnerin Lindholz: „Ich wollte immer zeigen, dass Frauen es genauso gut können wie Männer – und sich auch sehr wohl durchbeißen können. Ich habe selten gedacht: Andrea, kannst du das auch? Ich habe es einfach gemacht.“
So ist es schon, als sie trotz kleinem Kind 1999 das Zweite Staatsexamen besteht, sich danach als Anwältin selbstständig macht und für die CSU aktiv wird. Und so ist es auch, als sie trotz Vollzeitjob 2002 für den Gemeinderat und den Kreistag kandidiert.
Politisch interessiert ist die Tochter eines Allgemeinarztes und Gemeinderatsmitglieds schon in ihrer Jugend: „Themen wie Umweltschutz und die finanzielle Gleichstellung von Frauen haben mich besonders angesprochen“, erinnert sie sich. Kurze Zeit ist sie Mitglied bei Greenpeace. Später engagiert sie sich in der CSU, vor allem in der Frauen-Union, deren Kreisvorsitzende sie seit 2007 ist.
Ein Thema, für das sie sich kommunalpolitisch stark macht – auch aus eigener Erfahrung: verbesserte Kinderbetreuungsangebote. „Als ich zu arbeiten begann, gab es kein Mittagessen im Kindergarten, und ich musste meinen Sohn vorher abholen. Heute hat sich viel im Landkreis verändert.“
Auch durch ihr Zutun. Dass dort nun zum Beispiel auch ein Mehrgenerationenhaus entsteht, ist für sie eine Genugtuung: „Ich habe es 2008 mit angeregt, nun wird es gebaut.“
Doch Lindholz hat auch Rückschläge erlebt: 2008 kandidiert sie als Bürgermeisterin in Goldbach – und scheitert. Eine herbe Enttäuschung, wie die Politikerin unumwunden zugibt: „Wie weh das tut, weiß nur, wer das schon mal erlebt hat.“
Doch im Kreistag wird sie wenig später zur stellvertretenden Landrätin gewählt. „Das ließ die Wunde schnell heilen“, sagt sie. 2009 kandidiert Lindholz auf einem aussichtslosen Listenplatz für das deutsche Parlament. Als „Lückenfüller“, wie sie scherzhaft bemerkt.
Erst nachdem die Unterfränkin mit einer Besuchergruppe 2010 den Bundestag besucht hat, beginnt es ihr förmlich in den Fingern zu kribbeln. „Hier als ausgebildete Juristin arbeiten zu dürfen, das müsste toll sein – mit diesem Gefühl bin ich damals heimgefahren."
Aber ohne zu ahnen, ob der Traum wahr werden kann. Lindholz beginnt im Kreisverband vorzufühlen, sichert sich die Unterstützung der Frauen-Union. Dann wirft sie ihren Hut in den Ring.
Die Freude darüber, ihren Wahlkreis bei der Bundestagswahl 2013 mit 52,4 Prozent direkt geholt zu haben und tatsächlich am Ziel ihrer Träume zu sein, ist ihr noch anzumerken. „Man ist stolz…“, sagt sie sichtlich bewegt in Erinnerung an die erste Plenarsitzung, „und sehr dankbar.“ Das drückt auch das Plakat aus, das an einer Wand ihres Büros pinnt. Lindholz hat es nach dem Sieg drucken und überall im Wahlkreis aufhängen lassen. „Danke“ steht groß darauf. Darunter: Unter anderem Fotos der Abgeordneten mit Helm und Radhose auf dem Sattel ihres Mountainbikes.
Damit sei sie „für ihr Leben gern“ im Spessart unterwegs, erzählt Lindholz. Ein Hobby, für das ihr künftig wohl nur noch wenig Zeit bleiben wird – ebenso wie für das Berggehen. „Irgendwann möchte ich in den Alpen von Hütte zu Hütte wandern, mit leichtem Gepäck und ohne Handy, das wäre ein Traum.“ Aber dass sich Träume erfüllen können, hat sie schon erlebt. (sas/14.07.2014)