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- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,
sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Damen und sehr geehrte Herren Abgeordnete,
und alle werten Damen und Herren,
dass ich heute als Präsident des freien, demokratischen Polens im Deutschen Bundestag, im Herzen der deutschen Demokratie, sprechen kann, bewegt mich zutiefst. Dass ich hier, im Herzen des deutschen Staates, der Polen so nahe und freundschaftlich verbunden ist, anlässlich des 75. Jahrestags des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs sprechen kann, ruft nicht nur die Bewegtheit hervor, sondern auch ein Gefühl des Glücks, das die Generation, meine Generation, begleitet, deren Eltern nicht nur den Albtraum des Krieges überlebten, sondern auch in gegenseitiger deutsch-polnischer Feindschaft lebten. Dieser Augenblick ist für mich ein Grund, um stolz auf die Leistungen unserer Generation auf dem Weg zur Versöhnung und Wiedererlangung des Gefühls der gegenseitigen Nähe und Fähigkeit zur Zusammenarbeit zu sein.
Wir erinnern und dürfen es nie vergessen, dass im September 1939 – vor 75 Jahren – die Schüsse vom Panzerkreuzer Schleswig-Holstein auf die Westerplatte in Danzig und der in ganz Polen ausgelöste Fliegeralarm die Vorboten einer beginnenden Katastrophe nicht nur für mein Land, sondern für das gesamte Europa waren. Damals begann der furchtbare Zweite Weltkrieg. Wir gedenken des 1. September und vergessen dabei nie den 17. September, als sowjetische Streitkräfte, die Verbündete Hitlerdeutschlands waren, nach Polen einmarschierten.
Der Krieg brachte für Dutzende Millionen Opfer den grausamen Tod und Hunderten Millionen von unschuldigen Menschen ein verheerendes Schicksal. Die Schrecken jener Zeit, der organisierte Terror sowie die systematischen Massenmorde an denen, die aus einer wahnsinnigen Ideologie heraus als Untermenschen galten, sind bis heute in unserem europäischen Gedächtnis geblieben. Noch immer bleiben in der Erinnerung jene Zeiten wach, zu deren Symbol der Holocaust und die bewussten, gegen die Eliten der eroberten Völker gerichteten Vernichtungsaktionen wurden. Fast jede polnische Familie, auch die meine, erlebte nicht nur den heldenhaften Kampf, sondern erfuhr auch die Schrecken der Razzien, der Versklavung in Lagern, der Brutalität von Umsiedlungen und der Massenhinrichtungen. Erinnert werden sollte auch daran, dass letztendlich nicht nur die Opfer des Angriffs, sondern alle, auch die Bevölkerung der Staaten, von denen die Aggression ausging, von Unglück und Leid betroffen waren.
Mit umso größerer Bewunderung dürfen wir daher die Menschen nicht vergessen, die sich der deutsch-polnischen Aussöhnung widmeten − die polnischen Bischöfe, die 1965 an die deutschen Bischöfe den berühmten Brief über das gegenseitige Vergeben als Antwort auf die damals anhaltenden Diskussionen unter den deutschen Christen schrieben, wir dürfen die Menschen von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, die Politiker Willy Brandt, Helmut Kohl, Tadeusz Mazowiecki und auch Władysław Bartoszewski nicht vergessen. Er, Władysław Bartoszewski, der ehemalige Auschwitz-Häftling, danach Mitglied der Żegota, einer Organisation des polnischen Untergrunds und Teil des polnischen Untergrundstaates, die den von der Vernichtung bedrohten Juden zu Hilfe kam, später langjähriger Häftling in der Stalinzeit, aber auch – was ich stets mit großem Stolz betone – mein Mitgefährte im Internierungslager während des Kriegszustands. Er war es, der hier vor dem Hohen Haus wichtige Dinge sagte, die nicht vergessen werden dürfen. Vor 19 Jahren sagte er: „Die [deutsch-polnischen] Beziehungen haben heute eine europäische Dimension erlangt. Unsere Nachbarschaft wird in hohem Maße darüber entscheiden, ob und wann das geteilte Europa zusammenwachsen wird. Die Zusammenarbeit beider Staaten im geeinten Europa“, sagte er, „gehört heute zu den wichtigsten Zielen und Begründungen unserer bilateralen Beziehungen.”
Die vollständige Versöhnung, bereits unter den Bedingungen der von der polnischen „Solidarność“ erkämpften Freiheit, war die Krönung der langjährigen Anstrengungen zugunsten eines neuen Anfangs in den deutsch-polnischen Beziehungen. Eines neuen Anfangs, einer neuen Ära einer guten Schicksalsgemeinschaft von Deutschland und Polen, einer Schicksalsgemeinschaft, die mit den Umwälzungen 1989 ihren Anfang nahm.
Das war tatsächlich eine ungewöhnliche Zeit, eine Zeit, als Tadeusz Mazowiecki bereits Ministerpräsident des zur Freiheit drängenden Polens und erster nichtkommunistischer Regierungschef in unserem Teil Europas war, und als die ersten Risse in der Berliner Mauer, die das deutsche Volk und Europa teilte, sichtbar wurden. Ich kann mich noch erinnern, wie DDR-Flüchtlinge Ende August 1989 nach Polen zu strömen begannen. Damals hatten wir mit keinem einzigen Staat der damaligen westlichen Welt eine gemeinsame Grenze, doch die Ostdeutschen erwarteten mit Recht, dass die in Polen eingetretenen Veränderungen ihnen die Hoffnung geben würden, frei zu sein und in die Bundesrepublik gelangen zu können. Für uns Polen war die Organisation der Durchreise dieser Menschen nach Westdeutschland auch eine wichtige Erfahrung, ein Signal, dass sich der Fatalismus der deutsch-polnischen Beziehungen überwinden lässt, dass die freien Polen und die freien Deutschen sich verständigen und zusammenarbeiten können.
Im „solidaritätsgeprägten“ Polen schauten wir mit viel Sympathie auf all die mutigen Menschen, die es in Ostdeutschland riskierten, auf die Straße zu gehen und die Achtung der Bürgerrechte einzufordern. „Wir sind das Volk” – dieser Spruch war ein Ruf nach Anerkennung als souveräne und unabhängige Bürger gegenüber dem Staat. Roland Jahn, der jetzige Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, der damals ein junger Oppositioneller war, erinnerte sich nach Jahren, dass in diesem Herbst der Wende „die Solidarność mit uns auf dem Leipziger Ring mitmarschierte”. Wir in Polen verfolgten hoffnungsvoll die Gebete und Proteste vor der Nikolaikirche in Leipzig. Wir wussten, dass wir den Erfolg der Freiheit nur gemeinsam dauerhaft sichern können. Damals beteten wir gemeinsam mit den Menschen in der Nikolaikirche um Freiheit, um unsere gemeinsame Sache. Dies war nicht nur ein Sieg der Diplomatie oder der politischen Bündnisse. In Wirklichkeit veränderte sich Europa durch den Willen der Völker – den Willen der nach Freiheit dürstenden Menschen.
Unsere Völker haben die damalige historische Konjunktur nicht verpasst. Die letzten 25 Jahre stehen für eine geradezu unglaubliche Geschichte des von Deutschen und Polen zusammen vorangetriebenen Aufbaus eines geeinten Europas. Dies ist eine einmalige Geschichte der Versöhnung, die der Millionen Gräber gedenkt, an die mit dem Rauch der Krematorien aufsteigende Asche, an die Ruinen des aufständischen Warschaus und an die Trümmer Berlins erinnert, die die wunderbare Tradition des Jahres 1989 trägt und eine neue Hoffnung für Europa und die Welt aufbaut und aufbauen wird.
Und heute, sich dieser grausamen, bitteren, aber auch teilweise glorreichen Geschichte der Völker Mittel- und Osteuropas im 20. Jahrhundert bewusst, stehe ich vor Ihnen, meine Damen und Herren, als Zeuge dieses Wunders der Versöhnung, der außergewöhnlichen Gegenwart, in der die junge Generation von Deutschen und Polen wohl zum ersten Mal seit zweihundert Jahren zusammen lernt und arbeitet sowie die gemeinsame Zukunft der Völker eines geeinten Europas gestalten kann. Ich freue mich, dass wir dieses wahrhaft kopernikanischen Umbruchs in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen gemeinsam gedenken wollen, wovon dieses symbolische Stück der in unmittelbarer Nähe des Reichstagsgebäudes aufgestellten Danziger Werftmauer oder auch die Idee der Autobahn der Freiheit, die bald – nicht nur physisch, sondern auch symbolisch − Warschau und Berlin verbinden wird, zeugen. Für diese Gesten – nicht nur gegenüber der polnischen „Solidarność“, sondern auch gegenüber allen, die von der deutsch-polnischen Versöhnung und Zusammenarbeit träumen – danke ich von ganzem Herzen. Meinen besonderen Dank lege ich in die Hände meiner Freunde: des Herrn Bundespräsidenten Joachim Gauck und des Herrn Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Ich danke allen freien Deutschen!
Sehr geehrte Damen und Herren,
in diesem Jahr begehen wir nicht nur den 75. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, sondern auch den 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Beide Kriege trennte nur eine Generation voneinander. Bemerkenswert ist jedoch, dass zwei Generationen von Europäern, die von den Kriegen so schmerzhaft betroffen waren, aus den erlebten Katastrophen so unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen haben. Nach dem Ersten Weltkrieg beschritt Europa den Weg der Stärkung der nationalen Egoismen, des Strebens nach einer Revision der Kriegsergebnisse und einer Revanche für erlittene Verluste. Diese Phänomene begünstigten die Ausweitung linker und rechter Radikalismen und beförderten die Entstehung von autoritären und totalitären Systemen.
Es brauchte erst das Drama des Zweiten Weltkriegs, damit Europa sich wieder dem zuwendet, was die europäischen Völker verbindet und nicht trennt, der Integration, der Stärkung des freien Marktes und der Demokratie, in Richtung einer Sicherheit, die auf dem Wohlstand und der Zusammenarbeit mit den Nachbarn beruht.
Der Erfolg der europäischen Integration hatte seine Wurzeln in der Kultur, in einem ähnlichen Verständnis der Rolle des Menschen in der Welt. Denn den Kern der europäischen Kultur bildet der Personalismus. Dieser kann aus dem Christentum abgeleitet werden, das das Konzept eines Menschen geschaffen hatte, der sich selbst als „Person“ wahrnimmt. Er kann aber genauso auf die Tradition der Aufklärung zurückgeführt werden, wo er präzise von Immanuel Kant beschrieben wurde. Was die Europäer verbindet, ist die Überzeugung, dass die Würde jedes menschlichen Wesens unveräußerlich ist. Im Sinne dieser Überzeugung gilt es, das gesamte Bildungswesen und die Rechtsordnung aufzubauen, das wirtschaftliche Geschehen zu gestalten und Institutionen des Staates einzurichten. Um diesen Personalismus herum müssen wir heute eine möglichst breite „anthropologische Koalition“ von globaler Reichweite aufbauen, die das Primat der Person voraussetzt. Dies ist uns eine grundlegende Botschaft, die heute von Europa auszugehen hat und die dem Kontinent zu verkünden ist. Dieses Menschenkonzept gilt es zu verteidigen: Der Mensch als Person, als denkendes, freies und soziales Wesen, das mit unendlicher Würde ausgestattet ist. Die Geschichte bestätigt uns in dem Bewusstsein, dass wenn die menschliche Würde bedroht ist, ein Kompromiss nicht mehr als ein Wert an sich angesehen werden kann.
Das Wort „Wert” wurde von mir bewusst verwendet, denn dies ist, dem Vorrang der Kultur vor der Wirtschaft und der Politik folgend, die Dimension, auch der polnischen Erfahrungen, die universell ist. Das Phänomen der „Solidarność“ war nämlich seinem Wesen nach ein ethisches Phänomen. Aus dem Glauben an die Grundwerte, an die menschliche Würde, entstand die „Macht der Machtlosen“. Und sie war es, die der „Solidarność“ ihre Wirksamkeit verlieh und somit den friedlichen Zerfall des blutigsten Imperiums in der Weltgeschichte bewirken konnte.
Auch Deutschland kennt diese Erfahrung. Den großen sozialen und wirtschaftlichen Erfolg eines nach dem Zweiten Weltkrieg zerstörten Deutschlands begleitete nämlich eine Debatte über die Grundwerte, über die ethischen Fundamente der wiedergeborenen deutschen Staatlichkeit. Eine solche Debatte hat ganz Europa heute dringend nötig! Die europäische Einheit kann nur dann tief und wirksam sein, wenn sie auf gemeinsamen Werten beruht.
Sehr geehrte Damen und Herren,
„Europa ist nicht zustande gekommen, wir haben den Krieg gehabt”, schrieben die Gründerväter der Europäischen Gemeinschaften und schufen daher mit Konsequenz und Entschlossenheit die europäischen Institutionen im Bestreben, den Integrationsraum zu vertiefen und zu erweitern. Denn sie verstanden sehr wohl, dass nur ein geeintes Europa zum Europa ohne Kriege werden kann. So wurden die Fundamente des Friedens – die Achtung der Menschen- und Bürgerrechte, der demokratische Rechtsstaat sowie die Achtung der Minderheitenrechte − für die nächsten Jahrzehnte zum Aushängeschild Europas. Hierzu gehört auch die Fähigkeit, auf kreative Art und Weise Kompromisse zu schließen, zu denen wir auch heute bereit sein sollten, um den vor uns allen stehenden Herausforderungen die Stirn bieten zu können.
Für Europa hat die Verbindung der Sorge des Staates um die Entwicklung aller Bürger mit einer leistungsfähigen Wirtschaft eine Schlüsselbedeutung. Nur ein vom Unternehmergeist ermutigtes Europa, das die Aktivitäten von klein- und mittelständischen Unternehmen in der ganzen Gemeinschaft fördert und auch ein der industriellen Entwicklung förderliches Klima ermöglicht, kann sich auf dem globalen Markt erfolgreich behaupten. Wir brauchen heute eine kreative Anknüpfung an das Konzept einer sozialen und freien Marktwirtschaft, die zeigt, wie Subsidiarität und Solidarität sowie die Interessen des Einzelnen mit dem Gemeinwohl zu verbinden sind. Die Erfahrungen der polnischen Veränderungen zeigen, wie wichtig mutige Reformen und wie wichtig gute Regelungen sind, aber auch, dass Systemveränderungen auf die Befreiung der menschlichen Energie, der menschlichen schöpferischen Fähigkeiten auszurichten sind.
Die nächste Aufgabe besteht in einer Stärkung des Euroraums, so dass dieser widerstandsfähiger gegen auftretende Erschütterungen wird. Die aus der letzten Krise gezogenen Schlussfolgerungen sowie weitere im Euroraum durchzuführende Reformen sollten weitere Staaten, darunter auch Polen, dazu ermuntern, den Euro als gemeinsames Zahlungsmittel gemäß den mit dem Beitritt in die Europäische Union eingegangenen Verpflichtungen in nicht allzu ferner Zukunft einzuführen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass nur das Gefühl der Sicherheit und einer stärkeren Solidarität aller Mitglieder des Euroraums eine wirksame Anziehungskraft zugunsten des Euroraums entfalten können. Deshalb lohnt sich die Mühe, von allen Staaten des Euroraums Reformen und Verantwortung für den Euroraum zu verlangen.
Mit neuer Stärke zeigt sich uns heute das Problem der Sicherheit – von der Energieversorgungssicherheit über den Schutz der Bürger vor Terrorakten und Schutz der territorialen Integrität der uns nahe stehenden Staaten bis hin zur notwendigen Stärkung der eigenen Verteidigungsbereitschaft angesichts der Gefahr für die Welt, für unseren Kontinent und nicht nur für die Ostflanke der NATO, die die Rückkehr zur Anwendung von Macht und militärischer Aggression hier, in unserer Nähe, hier in Europa darstellt.
Ich spreche von diesen Herausforderungen zum 10. Jahrestag der EU-Osterweiterung und meine damit unsere Zukunft. Es sind die beiden Nachbarn, Deutschland als größtes Land der so genannten „alten” Union und Polen als das größte Land der „neuen“ Union, die heute anderen ein Beispiel nicht nur darin sein sollten, wie eine schwierige Vergangenheit zu überwinden ist, sondern auch darin, wie ein sicheres Europa für die nachkommenden Generationen, für die Zukunft aufzubauen ist. Unsere beiden Länder sollten sich zur Aufgabe machen, dass die alte Ost-West-Spaltung des Kontinents begraben und eine neue Spaltung verhindert wird. Genauso wie Herr Bundespräsident Joachim Gauck, bin auch ich überzeugt, dass „wir nur gemeinsam das demokratische und friedliche Europa der Zukunft bauen können. Und nur gemeinsam können wir es verteidigen“. Wir brauchen eine deutsch-polnische Verantwortungsgemeinschaft für die Zukunft Europas.
Um diese gemeinsame Zukunft wirksam aufbauen zu können, müssen wir uns dessen bewusst sein, was wir nicht tun dürfen, damit die Fallen zum Beispiel einer oberflächlichen Integration, die lediglich eine Fassade aufbaut, vermieden werden können. Es braucht heute Mut, um sagen zu können, dass es trotz vieler schöner Träume und Projekte nicht einfach ist, zügig voranzuschreiten. Leichtfertige Versuche, weitere Integrationsschritte zu unternehmen, ohne dass die Fundamente gefestigt werden, können kontraproduktiv wirken und eher eine Abschwächung und Desintegration der Europäischen Union befördern, als dass sie die Europäische Union stärken und unterstützen. Einem Zusammenhalt Europas können weder von oben unternommene Versuche der Homogenisierung des Kontinents förderlich sein, die trotz des allzu selten angewandten Prinzips der „Einheit in Vielfalt” unternommen werden, noch bürokratische Regelungen in weiteren Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, die die Entwicklungsdynamik hemmen, die durch die natürlichen, kreativen Kräfte in den beiden Lebensbereichen gespeist wird. Die Subsidiarität, eine der Grundlagen des Gemeinschaftsrechts, wird in der Praxis allzu oft ignoriert.
Wir wollen eine tiefere Integration. Wir wollen sie, deshalb steht vor der neuen europäischen Führung die riesige Aufgabe, diesen Zusammenhalt angesichts der sich abzeichnenden unvermeidbaren Differenzen in konkreten Integrationsbereichen aufrechtzuerhalten. Diese Verantwortung tragen weitgehend die größten EU-Staaten, die in den letzten Jahren manchmal Neigungen zum Unilateralismus zeigten und Aktivitäten entwickelten, die nicht ausreichend die Interessen der gesamten EU berücksichtigten. Diese zentrifugalen Verhaltensweisen können sich – was wir nicht vergessen dürfen – auch gegenseitig stärken und oft Reaktionen hervorrufen, die die Union schwächen können.
Sehr geehrte Damen und Herren,
in Zeiten, in denen wir Menschen der freien Welt uns fundamentalen Herausforderungen stellen müssen, endet die deutsch-polnische Verantwortung nicht an der Europäischen Union. Deutschland und Polen und alle anderen Staaten verbindet eine gemeinsame Verantwortung für die transatlantischen Beziehungen und das Nordatlantische Bündnis, das eine gewichtige und stabilisierende Funktion in der gesamten, globalen internationalen Ordnung erfüllte und erfüllt. Daher sollten wir, trotz manchmal auftretender Meinungsunterschiede, keine weiteren Anstrengungen scheuen, um das transatlantische Vertrauen, das manchmal leider, wie wir wissen, erschüttert oder in Frage gestellt wurde, wieder aufzubauen. Dies ist eine große Aufgabe für Regierungen und zivilgesellschaftliche Einrichtungen auf beiden Seiten des Atlantiks.
Diese stabilisierende Rolle des Bündnisses stützt sich auf den Washingtoner Vertrag als eine starke Grundlage, auf die Bereitschaft, der gegenseitigen Beistandspflicht in Notsituationen nachzukommen. Wir haben uns verpflichtet, dass die Mitgliedstaaten „einzeln und gemeinsam durch ständige, wirksame Selbsthilfe und gegenseitige Unterstützung die Kraft des einzelnen Staates und der Gesamtheit der Staaten, einem bewaffneten Angriff Widerstand zu leisten, aufrechterhalten und entwickeln” werden. Diese Verpflichtungen bilden die Voraussetzung für unsere Überlegungen von einem sicheren Europa und von den transatlantischen Verbindungen. Deshalb ist es wichtig, dass der jüngste Gipfel in Wales diese Verpflichtungen bestätigt hat. Ich denke, dass es uns nicht an Konsequenz in der Umsetzung der dort gefassten Beschlüsse fehlen wird und dass wir es nicht zulassen, dass uns die Hände gebunden werden durch Vereinbarungen mit Dritten, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Es ist eine gute Nachricht, dass eine der Antworten auf den Krieg in der Ukraine sein wird, die Ostflanke der NATO durch die ständige Präsenz von Streitkräften des Bündnisses und durch eine vorgeschobene logistische Infrastruktur in den Grenzstaaten zu stärken sowie u.a. die Bereitschaft der schnellen Eingreiftruppe zu erhöhen und die Rolle des Hauptquartiers des Multinationalen Corps Nord-Ost in Stettin zu erweitern, dessen Kern aus polnischen, deutschen und dänischen Soldaten besteht.
Wir haben nicht vergessen, dass der Erfolg des westlichen Nachkriegseuropas und auch der Erfolg von Deutschland selbst dank der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika und dank des Schutzschirms der NATO möglich waren. Die NATO schuf den notwendigen Sicherheitsraum für die Entwicklung und tut dies auch noch bis heute. Heute, da wir uns erneut den Herausforderungen auf dem Gebiet der Sicherheit stellen, muss die NATO ein effizientes Militärbündnis bleiben, so dass uns ermöglicht wird, Entscheidungen zu treffen ohne Drohungen anderer fürchten zu müssen. Abschreckung bildet keinen Widerspruch zu Zusammenarbeit, keinen Widerspruch zu Zusammenarbeit und Dialog, sondern ist deren notwendige Ergänzung. Denn es gibt Mächte in der Welt, die auf eingegangene Verpflichtungen keine Rücksicht nehmen, sobald sie bei ihren Partnern militärische Schwäche oder fehlende Entschlossenheit verspüren.
Die Beziehungen zu Nordamerika dürfen sich jedoch nicht ausschließlich auf Sicherheitsfragen beschränken. Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft versteht sich als eine Verwirklichung des Plans, der fast zeitgleich mit der Entstehung des Bündnisses in der Überzeugung entstanden ist, dass die Leistungskraft der transatlantischen Gemeinschaft durch die Einrichtung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums sichergestellt werden kann. Wir sind uns dessen durchaus bewusst, dass die lange Entstehungsgeschichte dieser Idee davon zeugt, dass sie für jede der Seiten schwierig ist und gewisse Risiken birgt. Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft ist aber nicht nur bloß eine Handelsvereinbarung, sondern eher der fehlende Teil einer transatlantischen Sicherheitsgemeinschaft, ein Projekt von zivilisatorischer Dimension. Wollen wir die Lebendigkeit dieser Gemeinschaft aufrechterhalten, müssen wir in den Erfolg dieser Idee investieren. Während sich das Gewicht der Welt in Richtung Asien verlagert, wollen wir doch der westlichen Welt mehr Stabilität sichern. Die Aufrechterhaltung der politischen, militärischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen transatlantischen Beziehungen stellt – nach meiner Überzeugung − eine gute Investition in eine gute Zukunft dar. Das ist unsere gemeinsame Zukunft!
Die Stärkung der Einheit und der Solidarität der Europäischen Union sowie der weit verstandenen westlichen Gemeinschaft ist in Zeiten großer Unsicherheit eine schwierige Aufgabe. Die Herausforderung ist umso größer, da wir durch die Veränderung Europas und die Stärkung der transatlantischen Gemeinschaft gleichzeitig auch eine gemeinsame Antwort auf die geostrategischen Herausforderungen in unserer Umgebung finden müssen. Die von mir postulierte deutsch-polnische Verantwortungsgemeinschaft muss auch eine gemeinsame Antwort auf Gefahren in den Nachbarländern finden. Die Zeiten der Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Krieges sind nun vorbei. Wir müssen jene Herausforderungen ernst nehmen, die immer öfter den Charakter einer militärischen Aggression aufweisen.
Wir haben nicht vergessen, dass als Antwort auf die im Westbalkan geführten Kriege unter anderem die mühsam entwickelte Idee einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die Gemeinsame Außenpolitik entstanden sind. Wir hofften damals, dass wir nach den Erfahrungen von Bosnien, nach den Erfahrungen des belagerten Sarajevo und den Verbrechen von Srebrenica, in der Lage sein werden, auf die nächste Krise, sobald sie gekommen ist, eine Antwort zu finden. Jeder muss sich die Frage stellen, ob auf das, was wir in unserer unmittelbaren Nachbarschaft sehen, in der Ukraine, in Syrien, in Libyen oder im Irak, eine entsprechende Antwort gefunden wird, ob das, was wir sehen, nicht unseren Glauben in die eigenen Kräfte und nicht die Effizienz jener Institutionen, die wir mit so viel Mühe geschaffen haben, in Frage stellt? Wenn wir an den universellen Charakter unserer Werte glauben, müssen wir in uns die Entschlossenheit aufbringen, diese Werte auch zu verteidigen!
Es gibt verschiedene Bewegungen und Ereignisse, die die Freiheit bedrohen; sie sind verschieden im Irak, in Syrien, Libyen, in der Ukraine oder in Russland. Aber eins ist ihnen allen jedoch gemeinsam: die Verachtung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten. Eine Verachtung von Menschen, die nach Freiheit und Solidarität streben, die ein demokratisches Volk sein möchten. Es ist kein Zufall, dass für islamische Fundamentalisten Wahllokale, in denen das Volk über die eigene Zukunft entscheiden kann, zur Zielscheibe werden. Es ist kein Zufall, dass die Ukrainer, die auf dem Kiewer Maidan verkündeten, sie seien der eigentliche Souverän im eigenen Staat, Wut bei einer benachbarten Großmacht auslösten, die sich später für eine europaweit beispiellose Aggression entschied. Vor unseren Augen vollzieht sich die Wiedergeburt einer nationalistischen Ideologie, die unter dem Deckmantel humanitärer Sprüche über die Rettung der nationalen Minderheiten die Menschenrechte und das Völkerrecht verletzt. Wir kennen das allzu gut aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. In diesem Kontext bekommen heute die Worte des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker einen besonders deutlichen Klang: „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart”.
Wir müssen auf die Gefahren für die Freiheit mit aller Stärke und mit einer klaren Sprache hinweisen. Wir müssen, denn Verständnis für angewandte Gewalt kann eine Niederlage für Europa bedeuten. Dies ist eine weitere Lehre aus der schwierigen deutsch-polnischen Geschichte, die wir gemeinsam Europa und der Welt wiederholt mitteilen sollten. Ich glaube daran, und ich stehe hier an diesem Ort, der Zeuge vieler dramatischer Ereignisse war, ich stehe hier in einer Zeit voller Symbole und vieler europäischer Jahrestage und möchte meinen deutschen Nachbarn und Freunden sagen: Nur eine mutige Politik, die auf dem Fundament von Werten aufbaut, deren Kern die menschliche Würde darstellt, verdient es, „Realpolitik” genannt zu werden. Machen wir doch in Europa kluge, langfristige, aber auch wirksame Politik, also eine, die die Würde des Menschen verteidigt. Die Würde eines jeden menschlichen Individuums und aller Menschen!
Die Krise in der Ukraine hat schon lange nicht mehr die Dimension eines regionalen bilateralen Konflikts. Sie wurde zur Herausforderung für den ganzen Kontinent, für die gesamte westliche Welt. Durch den Angriff auf die Ukraine greift Russland die Fundamente einer demokratischen Gemeinschaft an, ihre Rechte und Werte, aber auch den fundamentalen Grundsatz der zivilisierten Welt: das Prinzip der Achtung vor der Souveränität der Staaten. Die Ukraine tat nichts, was diese Aggression rechtfertigen würde. Wir beobachten auch, dass bewusst vorgegangen wird, um die europäische Einheit zu zerstören oder zumindest zu blockieren, um die Europäer untereinander zu zerstreiten und die transatlantischen Beziehungen zu schwächen. Wenn wir weiterhin an die globale Rolle der Europäischen Union glauben, müssen wir ihre Funktionsfähigkeit in unserer unmittelbaren Nachbarschaft unter Beweis stellen. Noch vor einem Jahrzehnt glaubten wir, der Marsch der Freiheit, zu dem vor 25 Jahren Deutsche und Polen zusammen antraten, könne nicht mehr gestoppt werden. Ihm würden sich weitere Völker anschließen, die sich von der Vision eines Wohlstands in Demokratie und des europäischen Lebensstils angezogen fühlen. Diese Hoffnung geben wir nicht auf. Wir glauben weiter daran, dass unsere Autobahn der Freiheit immer länger sein wird und weit in den Osten Europas reicht. Wir sehen jedoch, dass sich der Weg dahin schwierig und weniger bequem gestaltet.
Russland als bewährten und voraussehbaren Partner zu haben, würde keinen mehr freuen als die Polen selbst. So wie Deutschland und die gesamte Europäische Union haben auch wir viel in die Annäherung zu Russland investiert. Viel konnte die Polnisch-Russische Gruppe für schwierige Angelegenheiten erreichen, wir verbinden außerdem weiterhin viel Hoffnung mit den Dialog- und Versöhnungszentren, wo polnisch-russische Gespräche und Begegnungen stattfinden. Wir sollten nicht vergessen und wir sollten daran erinnern, wieviel Widerstand es gerade in Westeuropa noch vor wenigen Jahren gegen die Einführung des erweiterten kleinen Grenzverkehrs zwischen Polen und Russland gegeben hatte. Heute sind wir über diese Entscheidungen froh, denn damit haben wir einen Bereich geschaffen, in dem wir die Einstellung zum Wissen über die Welt auch unserer russischen Nachbarn mitgestalten können.
Auch wir würden gerne in Russland einen Freund des im weitesten Sinne des Wortes verstandenen Westens sehen. Deshalb stellt die aktuelle Politik Russlands für uns eine so tiefe Enttäuschung und auch eine vielschichtige Herausforderung dar. Wir bedauern es sehr, dass sich die derzeitige Führung im Kreml für den Antiokzidentalismus als Legitimation für die eigene Machtausübung, als eine eigene Identität und geopolitische Orientierung entschied, dass sie den Weg der Dominanz und der Weiterentwicklung der eigenen Bedeutung nicht durch eine Modernisierung des Landes und durch die Zusammenarbeit mit dem Westen, sondern durch die Wiedererrichtung der alten Einflusszone, wenn auch in einem neuen Gewand, wählte, indem sie militärische Gewalt gegen die Nachbarn einsetzt. Der Krieg in Georgien vor sechs Jahren und der derzeitige Krieg in der Ukraine zeigen dies unglücklicherweise.
Meiner Überzeugung nach ist das, was in der Ostukraine passiert, das Ergebnis der Angst der derzeitigen Kremlführung vor einem Erfolg der demokratischen Modernisierung, die wir alle sowohl der Ukraine als auch Russland wünschen. Ähnlich denken auch viele unserer russischen Freunde, und sie befürchten, dass die jetzige Politik des Kremls auch eine Gefahr für deren Rechte als Bürger und deren Freiheit darstellt. Wir müssen in russischsprachige Medien investieren, deren Sendebereich sich sowohl auf Europa wie auch über seine Grenzen hinaus erstreckt, um den Raum der Meinungsfreiheit auszuweiten und gegen Lügen vorzugehen. Dadurch bietet sich für uns vielleicht eine Chance, die auch gerade für unsere russischen Freunde der Demokratie, Freunde der Freiheit wichtig ist.
Die Entschlossenheit und die Opfer der Ukraine und der ukrainischen Bevölkerung, zu denen es unter den Fahnen der Europäischen Union während des letzten Winters auf dem Maidan kam, sowie das Leid, das ihnen im heutigen Krieg zugefügt wird, lassen uns nicht gleichgültig gegenüber dem Drama dieses europäischen Staates. Dies erfordert von der EU und dem gesamten Westen eine vielseitige Hilfe für die Ukrainer, die jetzt nicht mehr nur um das Recht auf die Umsetzung dieses oder jenes Handelsabkommens kämpfen, sondern vielmehr um das fundamentale Recht auf Selbstständigkeit und Unabhängigkeit und das Recht auf souveräne Entscheidungen. Die Ukrainer weichen trotz der Kriegsgefahr nicht vom Weg des Aufbaus demokratischer Institutionen ab. Lasst uns ihnen bei der Stärkung der Grundlagen ihrer Staatlichkeit helfen. Halten wir die Östliche Partnerschaft aufrecht.
Schließlich haben wir nicht versagt, wir haben Europa nicht ins ukrainische Wilde Feld geführt, aber wir haben dazu beigetragen, dass wenigstens einige Länder dieser Region nach jenen Grundsätzen leben wollen, die auch die unseren sind. Das Beispiel der Freiheit ist ansteckend. Sollten wir von dem Weg der Unterstützung bei der Modernisierung unserer osteuropäischen Nachbarn umkehren, werden wir – dessen bin ich überzeugt − dem Chaos und unkontrollierten sozialen Ausbrüchen in unmittelbarer Nachbarschaft der EU und der NATO ausgeliefert sein.
Daher ist die Hilfe für die Ukraine und andere Länder der Östlichen Partnerschaft in jeder denkbaren Hinsicht erforderlich: angefangen von der humanitären Hilfe, der Unterstützung beim Wiederaufbau nach dem Krieg bis hin zur Vermittlung von Erfahrungen, wenn es um eine Reform der Kommunalverwaltung, um die Entwicklung von Klein- und mittelständischen Unternehmen, um Korruptionsbekämpfung oder auch um die Reform des Verteidigungs- und des Sicherheitssystems geht.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich stehe hier an einem Ort, wo das Herz der deutschen Demokratie schlägt, und kann meine tiefe Rührung kaum verbergen. Ich bin bewegt als Sohn eines Partisanen der polnischen Heimatarmee und Offiziers der polnischen Streitkräfte, der in seinem Marsch nach Berlin bis in die Lausitz gekommen ist. Ich stehe hier vor der höchsten Vertretung eines demokratischen Deutschlands und kann meinen, von Ihnen Herr Bundestagspräsident erwähnten Onkel Bronisław nicht vergessen, dessen Namen ich trage, einschließlich der gesamten Tradition und der gesamten guten und schmerzlichen Erfahrungen. Er ist tatsächlich auf deutschen Befehl im besetzten Vilnius im Kampf für ein freies Polen gefallen, als er 16 Jahre alt war. Aber auch aus einem anderen, mir wichtigen Grund kann und will ich nicht meine Rührung verbergen, denn ich wurde nach dem Krieg in Niederschlesien, bei Breslau, in eine Familie von polnischen Vertriebenen aus dem Gebiet des heutigen Litauens hineingeboren. Ich kam in einem Haus auf die Welt, das vorher irgendeine unbekannte deutsche Familie verlassen hatte. Diese Familie erlebte die Geschichte, deren tragisches Kapitel vor 75 Jahren, am 1. September 1939, begann. Ich kann den Schmerz wegen des erlittenen Leids und des Verlustes der Heimat gut verstehen.
Doch für mich ist der mitgefühlte Schmerz ein weiteres Argument für das Engagement zugunsten der deutsch-polnischen Versöhnung und der Zusammenarbeit. Für mich ist dies eine weitere Bestätigung dafür, welche Bedeutung das erlebte Wunder der deutsch-polnischen Versöhnung hat.
Dank der Versöhnung und der Zusammenarbeit, dank der gemeinsamen Mitwirkung beim europäischen Einigungs- und Integrationsprozess können wir heute eine deutsch-polnische Verantwortungsgemeinschaft aufbauen. Und wir tun dies. Wir tun dies aber nicht, indem wir die Vergangenheit vergessen, sondern durch kluges und verantwortungsvolles Gedenken dank gemeinsamer Anstrengungen. Ich bewundere die Fähigkeit des neuen Deutschlands, die Geschichte zu verstehen und sich mutig mit dem geschichtlichen Drama auseinanderzusetzen, dessen Quelle die Politik Nazideutschlands war. Ich möchte, dass wir gemeinsam Lehren aus dieser Vergangenheit ziehen. Die Herausforderungen von heute und die Erfahrungen von gestern fordern von uns das, was vor 75 Jahren fehlte. Eine demokratische Gemeinschaft braucht Visionen, Strategien und Entschlossenheit bei der Verteidigung der internationalen Ordnung, der Souveränität der Staaten und der bürgerlichen Freiheiten.
Europa mit seinen Reformen, die Nachbarschaft der Europäischen Union und deren Stabilität angesichts des voranschreitenden Krieges, die transatlantischen Beziehungen und die Sorge um Bewahrung der besonderen Beziehungen zwischen Europa und Amerika sollen den Inhalt dieser Mission bilden. Noch nie so dringend wie heute benötigen wir eine deutsch-polnische Verantwortungsgemeinschaft, eine Gemeinschaft für Europa, die allen Staaten der Europäischen Union und unseres gesamten Kontinents offen steht. Ich möchte – und ich bin mir sicher, dass wir alle hier in diesem Saal es möchten −, dass wir anlässlich der nächsten Jahrestage des Kriegsausbruchs mit tiefer Überzeugung mehr sagen können, als es die Gründerväter der EU taten. Wir möchten alle sagen können: „Europa ist nicht zustande gekommen, wir haben den Krieg gehabt. Doch dank Europa und dessen Institutionen haben wir keinen Krieg mehr auf dem gesamten freien Kontinent.”
Von uns hängt es ab, von unserem Glauben und unserem Tun, dass die Autobahn der Freiheit bald viel, viel länger sein wird und nicht nur bis Warschau und Berlin reicht. Und wir sollten froh und stolz sein, dass diese Freiheit in unserem besonderen Verantwortungsbereich heute das Fundament für die deutsch-polnischen Beziehungen ist.
Vielen Dank!