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Er gehört zu den „alten Hasen“ im Parlament: 1987 zog Bartholomäus Kalb zum ersten Mal in den Bundestag ein, ein Jahr später rückte er bereits in den Haushaltsausschuss nach. Heute ist der CSU-Politiker stellvertretender Vorsitzender des oft als „Königsausschuss“ bezeichneten Gremiums – und sein dienstältestes Mitglied. Während viele der jüngeren Haushaltspolitiker wohl die Eurokrise als größte Bewährungsprobe in ihrer Arbeit erlebten, reichen die Erfahrungen des 65-jährigen Niederbayern weiter zurück: Als der gelernte Landwirt und Industriekaufmann in den Bundestag gewählt wurde, tagte dieser noch im Bonner „Wasserwerk“. Helmut Kohl (CDU) war Bundeskanzler und der größte Umbruch stand noch bevor: der Niedergang der DDR und die Deutsche Einheit.
Welchen Kraftakt dieses „umwälzende Ereignis“ auch für die Haushälter bedeutete, erinnert sich Bartholomäus Kalb, den sie daheim in seinem Wahlkreis Deggendorf kurz Barthel nennen, noch gut: „Wir mussten den Bundeshaushalt ständig überarbeiten. Erst kam die Währungsunion, dann die Wiedervereinigung. Wir haben einen Nachtragshaushalt nach dem anderen verabschiedet.“
Immer wieder reiste der Abgeordnete als Teil einer Delegation des Ausschusses nach Ostdeutschland, um sich ein Bild von der Lage zu machen: “Wir sind kreuz und quer durchs Land gefahren, waren in Mecklenburg-Vorpommern genauso wie in Thüringen und haben alle viele Einrichtungen und Betriebe besucht“. Es sei eine anstrengende, aber auch schöne Zeit gewesen, sagt er und lächelt, dass sich die Augen in Fältchen legen.
Der Abend des 9. November 1989, als die Mauer fiel und die Abgeordneten im Plenum spontan die Hymne anstimmten, und besonders die Feierlichkeiten am 3. Oktober 1990 vor dem Reichstag in Berlin – Kalb wird sie nicht vergessen: „Ich stand nicht weit entfernt von Kohl, Brandt, Genscher, Waigel und Lothar de Maizière am Westportal. Ich erinnere mich noch, dass ich eine Gänsehaut bekam, als die Flagge gehisst wurde.“
Das Ende des „Eisernen Vorhangs“ zwischen Ost- und Westeuropa bedeuten dem Mann, der sein halbes Leben nahe der deutsch-tschechischen Grenze gelebt hat, viel: Heute liegt seine Heimatregion im Bayerischen Wald mitten in Europa statt am Rande.
„Die Gegend ist landschaftlich wunderschön. Aber der Landkreis Freyung- Grafenau, heute Teil meines Wahlkreises, gehörte lange zu den strukturschwächsten der ganzen Republik“, sagt Kalb. „Die Bedingungen in der Landwirtschaft waren hart und bis in die 80er-Jahre fehlte es hier an Infrastruktur und Arbeit. Im Winter lag die Arbeitslosigkeit nie unter 27 Prozent, im Sommer selten unter 13 Prozent. Viele junge Menschen haben damals die Region auf der Suche nach Arbeit verlassen.“
Auch Kalb, der zunächst eine landwirtschaftliche Ausbildung absolvierte, um den Hof seiner Eltern zu übernehmen, musste sich beruflich umorientieren. „Meine Biografie steht exemplarisch für die vieler anderer junger Leute damals in meinem Alter. Etliche haben zuerst noch auf die Landwirtschaft gesetzt, aber dann erkennen müssen, dass der Strukturwandel so schnell fortschritt, dass der Beruf des Landwirts keine ausreichenden Zukunftsperspektiven mehr bot.“ Kalb sattelte auf Industriekaufmann um.
Die wirtschaftliche Lage seiner Heimat prägte ihn auch politisch: Sie voran zu bringen, Wirtschaft und Arbeit zu fördern, wurde zum Hauptmotiv seines Engagements. Bereits mit 22 zog er in den Gemeinderat ein, mit 27 wurde er als damals jüngster Abgeordneter in den Bayerischen Landtag gewählt.
Und schon dort gehörte er dem Haushaltsausschuss an: „Ich bin Kaufmann“, sagt Kalb fast ein wenig entschuldigend. „Die großen Reden schwingen ist nicht meine Sache. Mich hat schon immer mehr interessiert, was unter dem Strich herauskommt.“ Und das heißt auch: für die Region.
Ein Haushaltspolitiker müsse man die Zahlen nüchtern im Blick behalten: „Ich schaue mir die Statusberichte an und überprüfe zum Beispiel, wie die Mittel, die für Projekte im Etat eingestellt wurden, abgerufen werden. Und natürlich beobachte ich genau, wie sich Projekte entwickeln und ob die Gelder auch effizient eingesetzt werden.“
Politisch aktiv zu sein hatte für Kalb weniger mit Parteizugehörigkeit zu tun. Außer Frage stand zwar immer, dass die CSU seine Partei ist. Doch ein Engagement für die Allgemeinheit ist für ihn vor allem eine Selbstverständlichkeit. „Ich komme aus einer katholischen Familie und bin so erzogen worden, dass man Verantwortung übernimmt.“
Über die ehrenamtliche Jugendarbeit, die ihn stark prägte, fand er seinen Weg in die Politik. Eine berufspolitische Laufbahn habe er jedoch nicht angestrebt, sagt er: „Ich war nie der Karrieretyp. Meine Vorstellung war, zwei, drei Legislaturperioden im Landtag zu bleiben und dann zurück in die freie Wirtschaft zu gehen. Der Bundestag war nicht mein Ziel.“
Doch es kam anders: 1987 wurde Kalb – damals wie heute Fraktionsvorsitzender im Kreistag – gebeten für die CSU für den Bundestag zu kandidieren. Sein Vorgänger Franz Handlos (CSU), seit 1972 unangefochten Abgeordneter im Wahlkreis, war 1983 noch einmal mit dem höchsten Erststimmenergebnis der CSU in den Bundestag eingezogen.
Dann aber hatte er kurz darauf die Fraktion verlassen und zusammen mit Franz Schönhuber und Ekkehard Voigt die „Republikaner“ gegründet. Kalb fiel die Aufgabe zu, den Wahlkreis für die CSU zu sichern. „Keine leichte Aufgabe“, erinnert er sich. „Handlos hatte viele Anhänger.“ Doch der Plan ging auf. Kalb gewann den Wahlkreis – wie seither jedes Mal – und zog in den Bundestag ein.
Zum Ende der Wahlperiode 2017 wird das 30 Jahre zurückliegen. Ebenso lange sitzt Kalb schon im Kreistag, über 40 Jahre im Gemeinderat. Kann sich dieser ‚Homo politicus‘ überhaupt ein Leben ohne Politik vorstellen? Kalb, der liebend gern – aber zu selten, wie er zugibt – im Garten arbeitet und sich seinen mehr als 60 Obstbäumen widmet, zögert kurz: „Politik ist eine Passion – muss es auch sein, sonst würde man die Belastungen nicht aushalten.
Selbst wenn ich schon mal mit dem Gedanken gespielt habe, aufzuhören, so muss ich doch zugeben, dass ich wahrscheinlich nicht so leicht ohne die Politik auskommen würde.“ Das klingt so, als müsste der Garten weiter warten. (sas/21.10.2014)