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Matthias Ilgen ist ein waschechter Norddeutscher, 30 Jahre jung und Sozialdemokrat. In die SPD trat er vor zehn Jahren ein, aber für Parteipolitik interessierte sich Matthias Ilgen schon als Schüler. Er wurde mit 15 Jahren in Nordfriesland Mitglied der Jusos. Für viele, die ihn kennen, war es nur folgerichtig, dass Matthias Ilgen Politiker wird. Mit 29 Jahren war es soweit: Der Husumer wurde in den Deutschen Bundestag gewählt. Seine politische Karriere ist ungewöhnlich, und Matthias Ilgen betreibt einen ausgefallen Sport – Wrestling (englisch: Ringen). Der Sozialdemokrat ist wahrscheinlich der einzige Politiker im Deutschen Bundestag, der an der Deutschen Wrestling-Meisterschaft teilnahm und mehr als 300 Wettkämpfe in dieser Kampfsportart vorweisen kann.
Sein Lieblingsfach am Gymnasium war Geschichte, vorzugsweise deutsche Nachkriegsgeschichte. „Als Schüler kannte ich keinen anderen Bundeskanzler als Helmut Kohl. Als ich geboren wurde, war er schon ein Jahr im Amt, und ich dachte als Kind immer, er sei ein Monarch, der König von Deutschland“, erzählt Matthias Ilgen. Als im Geschichtsunterricht am Gymnasium über die deutschen Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt gesprochen wurde, war sein Interesse an diesen Politikern geweckt.
„Ich schaute mir alte Mitschnitte aus Bundestagsdebatten an und war vom Charisma dieser beiden Politiker völlig fasziniert. Was die sagten, war kein politisches Kauderwelsch oder sinnleere Worthülsen, sondern die sprachen Klartext und ich verstand, was gemeint war. Deshalb bin ich als Schüler in Husum zu den Jusos gegangen und habe gesagt, dass ich eintreten will. Ich wollte einfach wissen, wie Politik funktioniert. Später, als ich Kreisvorsitzender der Jusos war, habe ich jungen Leuten erklärt, wie Politik funktioniert und warum es wichtig ist, sich politisch zu engagieren“, erinnert sich Matthias Ilgen.
Nach dem Abitur studierte der Jungpolitiker von 2003 bis 2010 in Hamburg Politikwissenschaft und Geschichte. Mit 20 trat Matthias Ilgen in Hamburg-Mitte in die SPD ein, und er hatte dafür einen sehr triftigen Grund: die Agenda 2010.
Er sagt: „Als Bundeskanzler Gerhard Schröder 2004 die Agenda 2010 verkündete, war ich davon sofort überzeugt. Dieses Konzept, das die deutschen Sozialsysteme und den Arbeitsmarkt reformieren sollte, war in meinen Augen nicht nur dringend nötig, sondern es war mutig von Schröder, es gegen die Widerstände in der eigenen Partei durchzusetzen. In einer Talkshow sagte Altkanzler Helmut Schmidt sinngemäß, dass die Agenda 2010 schon 1992 nötig gewesen wäre, aber nach der Wiedervereinigung hätten sich die Deutschen jahrelang mit sich selbst beschäftigt und nicht gemerkt, dass sich die Welt weiterdreht. Jetzt sei es an der Zeit an die Zukunft zu denken. Ich wollte Schröder bei seinem Vorhaben unterstützen, und deshalb bin ich Sozialdemokrat geworden.“
Im Gegensatz zu Matthias Ilgen waren viele SPD-Mitglieder der Meinung, die Agenda 2010 sei zutiefst ungerecht und unsozial. Es gab Hunderte Parteiaustritte, und Albrecht Müller, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter und unter Willy Brandt Planungschef im Kanzleramt, sagte sogar in einem Interview: „Die Agenda 2010 hat die Seele der SPD zerstört.“ Solche Ansichten kann Matthias Ilgen nicht teilen.
Er sagt: „Man braucht nur in einige Nachbarländer zu blicken. Die Niederländer und die skandinavischen Länder hatten schon viel eher damit begonnen, ihre Sozialsysteme zu reformieren und an die gesellschaftlichen Realitäten anzupassen. Besonders ärgerlich fand ich, dass die Sozialdemokraten die Agenda 2010 in Grund und Boden diskutierten, aber die Konkurrenzparteien sie im Grunde für ein gutes Instrument hielten. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Wirtschaftskrise nur deshalb so gut gemeistert haben, weil wir die Agenda 2010 hatten. Die SPD sollte viel selbstbewusster sein und das für sich annehmen.“
Matthias Ilgen ist ein Politiker, der keine Berührungsängste kennt. Er kandidierte im Jahr 2007 für die Stadtverordnetenversammlung Husum, obwohl er noch in Hamburg studierte.
„Ich wollte mich engagieren, weil junge Menschen in der Politik gebraucht werden. Ich dachte, dass mir andere junge Leute folgen. Einerseits kann ich sehr gut verstehen, dass junge Menschen die Ortsvereine der Parteien und die Altersstruktur der Mitglieder alles andere als spannend und innovativ finden. Andererseits können Parteien nur verjüngt werden, wenn sich junge Menschen für Parteien interessieren.“
Matthias Ilgen macht es vor: Mit 24 Jahren kandidierte er erfolgreich für den Stadtrat von Husum, mit 25 wurde er Vorsitzender des Husumer Ortsvereins der SPD. „Ich hatte keine Erfahrungen in der Kommunalpolitik, aber ich dachte mir, man wächst mit seinen Aufgaben und ich bin in der Lage, junge Menschen zu motivieren, sich im Wahlkampf oder bei Veranstaltungen einzubringen“, meint der Abgeordnete. Er fügt an: „Wir können uns nicht über die Politikverdrossenheit beklagen, wenn wir jungen Menschen keine Angebote machen. Die sind nämlich sehr wohl an Politik interessiert, aber nicht in eingefahrenen Denkmustern.“
Matthias Ilgen hat ein sehr einfaches wie anstrengendes Rezept, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Wenn er sie beispielsweise zu einer Veranstaltung einladen will, geht er vorher von Haustür zu Haustür und spricht die Menschen persönlich an. „Wenn ich vor der Tür stehe, kommt immer erst die ungläubige Frage: ‚Sie laden mich persönlich ein‘? So komme ich mit den Menschen schnell ins Gespräch, und ich bin immer sehr erstaunt, wie interessiert sie an politischen Themen sind“, sagt Ilgen.
So viel Zeit kann man natürlich nur investieren, wenn man sie auch hat. Als die langjährige Fernbeziehung von Matthias Ilgen in die Brüche ging, erkannte er schnell: „Ich habe jetzt Zeit, weil ich nicht mehr nach Niedersachsen pendeln werde, deshalb brauche ich Beschäftigung und Ablenkung, sonst schiebe ich Frust.“ Im Oktober 2012 wurde er von einer Sozialdemokratin – er nennt sie seine Ziehmutter – angesprochen, ob er Interesse hätte, für den Deutschen Bundestag zu kandidieren.
„Ich war damals 28 Jahre alt und hatte mir natürlich nicht vorgenommen, einmal Berufspolitiker zu werden, aber ich nahm die Herausforderung an. Auf der Nominierungsveranstaltung gab es zwar keinen Gegenkandidaten, allerdings auch nicht nur Zustimmung für meine Kandidatur. Vor allem mein Alter sahen einige Genossen als Grund, meine Kandidatur abzulehnen. Am Ende setzten sich die Befürworter durch, und ich hatte mir gesagt: Das musst Du jetzt aushalten“, erinnert sich Matthias Ilgen.
Im Frühjahr hatte er eine Parteiveranstaltung organisiert, an der neben Peer Steinbrück auch Torsten Albig teilnahm. „Nach der Veranstaltung hatte ich noch ein sehr langes Gespräch mit Peer Steinbrück über Politik und Philosophie, über Trends und die Parteienlandschaft in Deutschland. Dieses Gespräch hat mich nachhaltig beeindruckt und mich in meinen Entschluss bekräftigt, für den Bundestag zu kandidieren“, sagt Matthias Ilgen.
Der Wahlkampf im Wahlkreis Nordfriesland-Dithmarschen Nord fand für Matthias Ilgen unter Sonderbedingungen statt, denn gleichzeitig mit der Bundestagswahl fanden Kommunalwahlen in Husum statt, wo Matthias Ilgen ebenfalls kandidierte. Rückblickend sagt Matthias Ilgen: „Der Wahlkampf war anstrengend und lang, und es gab Menschen, die mir sagten, Sie würden mich wählen, obwohl sie von der SPD und von Peer Steinbrück enttäuscht sind. Nach dem Fernsehduell zwischen Merkel und Steinbrück gab es ein kurzes Durchatmen, die Werte der SPD gingen Richtung 30 Prozent, aber nach der Veröffentlichung des ,Stinkefingers' im Süddeutsche-Zeitung-Magazin, waren alle Vorurteile bedient und letzte Sympathien verspielt.“
Das Wahlergebnis von Matthias Ilgen war trotzdem beachtlich: 32,1 Prozent der Erststimmen bei seiner ersten Kandidatur. Die Tatsache, dass die Wahlbeteiligung in seinem Wahlkreis um vier Prozent gestiegen war, machte die Freude über das Bundestagsmandat komplett. „Dieses Wahlergebnis hat mir die Zuversicht gegeben, dass es sich lohnt, vor Ort persönlich mit den Wählern ins Gespräch zu kommen und bis zur letzten Minute Überzeugungsarbeit an der Basis zu leisten“, sagt der Sozialdemokrat.
Für die Bundestagsfraktion der SPD sitzt Matthias Ilgen im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. In diesem Ausschuss wollte der Sozialdemokrat ausdrücklich mitarbeiten. Warum, erklärt er so: „Ich glaube, dass die SPD nur erfolgreich sein wird, wenn die Menschen erfahren, dass sie sich ausreichend um Wirtschaftsthemen kümmert. Die Erfahrung der Parteien der Arbeiterbewegung zeigt, dass die Arbeiter nur etwas vom großen Kuchen bekommen, wenn es wirtschaftlich vorangeht. Ich sehe das als meine Aufgabe und möchte im Wirtschaftsausschuss meinen Teil dazu beitragen, dass es ausreichend Investitionen am Standort Deutschland gibt, dass die digitale Infrastruktur verbessert und die Breitbandversorgung endlich auch in den ländlichen Gebieten umgesetzt wird.“ (bsl/01.12.2014)