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In der Diskussion über ein Einwanderungsgesetz kommen aus der schwarz-roten Regierungskoalition gegensätzliche Signale. Während sich Vertreter der SPD-Fraktion am Donnerstag, 5. Februar 2015, in der Debatte über einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für ein „modernes Einwanderungsgesetz“ (18/3915) offen für eine solche Initiative zeigten, lehnten Redner der CDU/CSU-Fraktion einen solchen Schritt ab. Grundsätzliche Unterstützung für den Grünen-Antrag signalisierte Die Linke.
In dem Antrag, der erstmals auf der Tagesordnung des Parlaments stand, argumentiert die Grünen-Fraktion, die Bundesrepublik brauche ein Gesetz, „das Einwanderung in ihrem wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interesse ermöglicht und zugleich ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht wird“.
Die Bundesregierung wird in der Vorlage aufgefordert, spätestens bis Jahresende den Entwurf eines Einwanderungsgesetzes vorzulegen, mit dem die Vorschriften zur Arbeitsmigration „systematisiert, liberalisiert und unbürokratisch ausgestaltet“ werden. Sie sollen der Vorlage zufolge durch ein „System der Kriterien-gesteuerten Arbeitsmigration“ ergänzt werden. Auf dieser Grundlage sollten Bundestag und Bundesrat eine jährliche Aufnahmezahl für den Bereich der Arbeitsmigration festlegen, um dem Bedarf des Arbeitsmarkts Rechnung zu tragen.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt betonte in der Debatte, es reiche nicht aus zuzugeben, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, und die „Realitäten anzuerkennen“. Vielmehr müsse man sie gestalten. „Deutschland ohne Einwanderer, das ist wie Oktoberfest ohne Dirndl“, sagte Göring-Eckardt. Notwendig sei ein „echtes Einwanderungsgesetz“ und kein „Einwanderungsverhinderungsgesetz“.
Pro Jahr brauche die Bundesrepublik nach übereinstimmenden Aussagen aller Experten 300.000 Einwanderer. Zwar habe die Bundesregierung „eine ganze Menge kleine Türen aufgemacht“, und theoretisch sei Deutschland derzeit das weltweit zweitattraktivste Land für Einwanderung. Praktisch aber attestiere die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) der Bundesrepublik wegen der bürokratischen Hürden, das deutsche Zuwanderungssystem sei „Anwerbestopp mit Ausnahmen“.
Man müsse dringend die Perspektive ändern, forderte die Grünen-Fraktionsvorsitzende. „Viele kleine Türen müssen zu großen Toren werden“, fügte sie hinzu. Dann werde das Land reicher, vielfältiger und „mit ziemlicher Sicherheit auch erfolgreicher“.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Ole Schröder (CDU), entgegnete unter Verweis auf das Aufenthaltsgesetz, Deutschland habe bereits „ein Gesetz, das genau regelt, wer nach Deutschland nach welchen Voraussetzungen kommen kann“. Das schließe die Arbeitsmigration ebenso ein „wie Ausbildung und Studium, den Familiennachzug sowie den Aufenthalt aus humanitären Gründen“. Mit der jetzigen Regelung sei es auch möglich, flexibel auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts zu reagieren sowie die „langfristigen Entwicklungen im Blick zu behalten“.
Der Zuwanderung von Fachkräften stünden keine aufenthaltsrechtlichen Hürden entgegen. Man habe sich aber bewusst für ein „nachfrageorientiertes System“ entschieden: „Voraussetzung dafür, dass jemand im Bereich des Arbeitsmarktzugangs nach Deutschland kommen kann, ist, dass ein konkreter Arbeitsplatz in dem Betrieb nachgewiesen wird“. Das in dem Grünen-Antrag geforderte Punktesystem verfolge dagegen einen „angebotsorientierten Ansatz“. Werden Arbeitskräfte ins Land geholt, ohne dass es einen konkreten Job für sie gibt, sei Lohndumping die Konsequenz, argumentierte Schröder und wandte sich gegen eine „Zuwanderung auf Kosten unserer Sozialsysteme“.
Für Die Linke sagte ihre Abgeordnete Petra Pau, es sei „höchste Zeit für ein modernes Einwanderungsgesetz mit einer guten Willkommenskultur“. Ihre Fraktion könne etlichen Vorhaben des Grünen-Antrags folgen. Pau mahnte, niemand solle das Thema „parteipolitisch missdeuten, um bei Pegida oder AfD-Wählern auf Stimmenfang zu gehen“. In der Debatte gehe es um Menschen, die man „nicht in „nützlich, unnütz oder gar schädlich“ einteile. „Wer das dennoch versucht, und sei es über Punktesysteme, entfernt sich gedanklich von Artikel eins“ des Grundgesetzes, fügte sie hinzu.
Ein neues Einwanderungsgesetz ersetze zudem keine bessere Flüchtlingspolitik. Eine solche bleibe aber überfällig. Die Bundestagsvizepräsidentin rief ferner dazu auf, gemeinsam gegen rassistisches Gedankengut einzutreten. „Wir sollten die Gelegenheit ergreifen, Ressentiments abzubauen und sie auf gar keinen Fall bedienen“, fügte Pau hinzu.
Der SPD-Parlamentarier Rüdiger Veit verwies darauf, dass auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und CDU-Generalsekretär Dr. Peter Tauber jüngst die Frage eines Einwanderungsgesetzes zum Thema gemacht hätten. Es sei höchste Zeit, dass man wieder über ein „punktegesteuertes Auswahlsystem für die Einwanderung“ diskutiere. Während derzeit etwa zwei Arbeitnehmer einen Rentner finanzieren müssten, werde das Verhältnis im Jahr 2050 eins zu eins sein.
Eine ganze Reihe wichtiger Versorgungsstrukturen müssten dann von weniger Menschen finanziert werden. Veit betonte zugleich, wenn man korrekt „seine Verpflichtungen gegenüber den humanitären Zuwanderungsbewegungen erfüllt“, könne es „an Rande auch erlaubt sein, sich über Nützlichkeitserwägungen angesichts unseres demografischen Aufbaus Gedanken zu machen“. Dabei kämen ihm eine ganze Reihe von Maßnahmen in den Sinn. Im Kern gehe es in der Debatte darum, einer angebotsorientierten Anwerbung von Arbeitskräften auch eine Chance zu geben.
Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer kritisierte, der Grünen-Antrag vermittele den falschen Eindruck, „wir bräuchten in Deutschland ein modernes Einwanderungsgesetz“. Man habe aber „schon längst ein außerordentlich modernes und fortschrittliches Zuwanderungsrecht“. Deutschland verzeichne derzeit nach den USA die zweithöchste Zuwanderung aller Länder.
Die OECD habe darauf hingewiesen, dass das deutsche Zuwanderungsrecht „sehr geringe Hürden bietet für die Zuwanderung von nichteuropäischen Fachkräften“. Es sei unstreitig, dass die Bundesrepublik in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine verstärkte Zuwanderung von Fachkräften benötige. Mit den derzeit geltenden Regelungen könne aber „diesen erhöhten Bedürfnissen der Wirtschaft“ Rechnung getragen werden.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoğuz (SPD), sagte, man werde in den nächsten Jahren nicht genug Fachkräfte haben und Einwanderung brauchen. Zugleich seien stärkere Bemühungen um die jungen und älteren Menschen in Lande notwendig, „die ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt entweder finden oder noch behaupten wollen“. Deutschland brauche mehr gut qualifizierte Einwanderer und müsse dringend dafür werben.
Im internationalen Vergleich habe die Bundesrepublik „zumindest auf dem Papier ja wirklich liberale Einwanderungsregelungen“, aber das sei vielen vollkommen unbekannt. Auch im Koalitionsvertrag seien „richtige Dinge“ aufgeschrieben, fügte Özoğuz hinzu und warf die Frage auf, was dagegen spreche, „jetzt ein ordentliches Gesetz zu erarbeiten, in dem das alles vernünftig aufgelistet wird“. (sto/05.02.2015)