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Die Diskussion um Flüchtlinge und Zuwanderung bestimmt seit Wochen Politik und Medienberichterstattung. Auch beim Besuch einer Delegation serbischer Parlamentarier, die von Sonntag, 6. September, bis Donnerstag, 10. September 2015, den Bundestag besuchte, war die europäische Flüchtlingskrise eines der zentralen Themen. „Serbien liegt an der Balkanroute, über die die Flüchtlinge ihren Weg nach Westeuropa suchen“, erklärt Peter Weiß (CDU), Vorsitzender der Parlamentariergruppe Südosteuropa des Bundestages, auf deren Einladung die Abgeordneten Vesna Marković, Zoran Babić, Muamer Bačevac und Goran Ćirić, nach Berlin gekommen waren. „Das ist für Serbien eine Belastung – andererseits nutzen aber auch viele Kosovaren die offene, nicht kontrollierte Grenze zu Serbien, um auszuwandern.“
So sei es beiden Seiten ein Anliegen gewesen, unter anderem bei einem Treffen mit Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und Mitgliedern des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe „konkret über europäische Vorhaben zur Bewältigung der Flüchtlingskrise zu sprechen“. Über die Ergebnisse der Gespräche zeigt sich Weiß zufrieden: „Unsere serbischen Kollegen haben großes Verständnis für die europäischen Sorgen gezeigt und deutlich gemacht, dass sie uns konstruktiv helfen wollen. Das ist sehr erfreulich.“
Die Bereitschaft zur Kooperation mit der EU sei allerdings auch notwendig, daran lässt Weiß keinen Zweifel. Schließlich habe Serbien das Ziel, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Und die Entscheidung, ob die EU mit Serbien Beitrittsverhandlungen aufnimmt, stehe in Kürze an: „Wenn die EU in ihrem nächsten Fortschrittsbericht im Oktober empfehlen sollte, Beitrittsverhandlungen zu beginnen, dann wird das zu intensiven Diskussionen im Bundestag führen“, sagt Weiß. „Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, im Vorfeld die Mitglieder der ,Freundschaftsgruppe mit Deutschland' des serbischen Parlaments nach Berlin einzuladen.“
Kritischer Punkt der Beitrittsverhandlungen wird Serbiens Verhältnis zum Kosovo sein, das 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hat. Serbien hat bislang das Land nicht anerkannt – im Gegensatz zu Deutschland und vielen anderen westlichen Staaten. Im August jedoch bewegten sich beide Seiten in Gesprächen, die von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini vermittelt worden waren, erstmals auf einander zu. Die Nachbarstaaten einigten sich in ihrem seit Langem schwelenden Konflikt in wesentlichen Streitpunkten. Für Peter Weiß ein großer Fortschritt: „Wenn man das vergleicht mit der Situation vor ein paar Jahren, dann haben Serbien und Kosovo mutige Schritte aufeinander zu gemacht.“
Gerade die Vereinbarung, dass die serbischen Gemeinden im Nordkosovo einen eigenen Kommunalverband – allerdings ohne Exekutivgewalt – gründen können, hält der Abgeordnete für elementar: „Das ist eine wichtige Voraussetzung, um die unerträglichen Zustände im Norden des Kosovos zu beseitigen, wo Serbien faktisch Regierungsmacht ausübt.“ Wie die Vereinbarung umgesetzt werden wird, diese Frage beschäftigte deutsche und serbische Parlamentarier bei ihrem Zusammentreffen in Berlin. „Leicht wird es sicher nicht, aber wenn es gelingt, dann wäre es ein wichtiger Schritt in Richtung einer Normalisierung zwischen Serbien und dem Kosovo.“
Eine Normalisierung der serbisch-kosovarischen Beziehungen betrachtet Weiß auch als eine Bedingung dafür, dass das deutsche Parlament Beitrittsverhandlungen unterstützt. In den Gesprächen, die die serbischen Gäste unter anderem mit Mitgliedern des Europaausschusses im Bundestag sowie mit dem Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), geführt haben, sei dies offen angesprochen worden, so Weiß: „Wir haben ganz deutlich gemacht, dass wir als Bundestag erwarten, dass die Frage der guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Beginn der Verhandlungen steht“, betont der CDU-Abgeordnete.
Den Serben sei es zwar „lieber“, die Beitrittsverhandlungen mit anderen Themen wie etwa der Rechtsangleichung oder der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu beginnen, erläutert Weiß und stellt sofort klar: „An diesem Beschluss lassen wir nicht rütteln.“ Den deutschen Parlamentariern sitze noch „in den Knochen“, dem EU-Beitritt Zyperns zugestimmt zu haben, ohne die Nordzypern-Frage zuvor befriedigend geklärt zu haben. „Diesen Fehler will man kein zweites Mal machen.“ Seit 2004 ist die Republik Zypern EU-Mitglied – nach wie vor geteilt vom Norden der Insel, der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzyperns.
Trotz der mahnenden Worte – Weiß, der sich der Balkanregion seit Langem verbunden fühlt, versichert, dass die serbischen Parlamentarier mit der Unterstützung des Bundestages rechnen können, insbesondere wenn es um das Etablieren demokratischer Standards geht.
„Serbien ist ein Land, das den Transformationsprozess zu einer modernen Demokratie mit deutlicher Verzögerung begonnen hat. Die Jahre unter Milošević waren verlorene Jahre. Deshalb sind die serbischen Parlamentarier nun besonders interessiert daran zu erfahren, wie das Zusammenspiel von Regierung und Parlament in Deutschland funktioniert“, erklärt Weiß.
Auf Wunsch der Gäste habe das Besuchsprogramm deshalb mehrere Informationsgespräche etwa zur Funktionsweise des Bundestages oder zur Kompetenzverteilung zwischen Bundesregierung und Parlament umfasst: „So haben wir sehr detailliert über den Gesetzgebungsprozess gesprochen, wann sich das Parlament einbringt oder welche Minderheitenrechte die Opposition hat“, berichtet Weiß. „In solchen jungen Demokratien gibt es einfach noch Nachholbedarf. Da können wir gute Beispiele geben.“ Ob diese dann übernommen würden, sei zwar eine andere Frage. „Aber es besteht großes Interesse“, resümiert der Vorsitzende der Parlamentariergruppe.
Um das Zusammenwachsen Europas zu fördern, haben die Deutschen auch in einer anderen Frage Unterstützung zugesagt: „Die Serben wünschen sich mehr deutsch-serbische Städtepartnerschaften. Noch gibt es die sehr selten. Aber wir wollen in Zukunft helfen, geeignete Partner zu finden.“ (sas/14.09.2015)