Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv
Das Amt des Alterspräsidenten ist parlamentarische Tradition und Teil der Geschäftsordnung des Bundestages. Ein Amt von hoher Würde, aber nur von kurzer Dauer. Es hat sich nach traditioneller Praxis mit der Wahl des neuen Bundestagspräsidenten erschöpft. Obwohl er nicht in sein Amt gewählt wird, sondern in seiner Eigenschaft als ältester Abgeordneter zu dieser Ehre kommt, ist es anerkannte Tradition, dass der Alterspräsident die erste Rede vor dem Plenum hält. Bisher haben alle Alterspräsidenten der Bundesrepublik von dieser Tradition Gebrauch gemacht und dabei eigene Akzente gesetzt.
18. Oktober 2005: Wieder heißt der Alterspräsident Otto Schily (SPD). Eigentlich wollte der scheidende Bundesinnenminister schon 2002 im Alter von 70 Jahren in den Ruhestand gehen. "Ich habe dann meinen Dienst für das Vaterland getan", erklärt er im März 2000.
Doch schon 2002 lässt er sich vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder überreden und tritt noch einmal als Kandidat zur Bundestagswahl an. Rot-grün gewinnt erneut. Otto Schily ist das erste Mal Alterspräsident des Parlaments und bleibt weitere drei Jahre Bundesinnenminister. Auch 2005 ist es dann wohl zu früh für den Ruhestand. Der 73-Jährige kandidiert ein weiteres Mal für den Bundestag. Erhält ein Mandat und eröffnet zum zweiten Mal die Legislaturperiode des Parlaments.
"Ich bin nachweislich am 20. Juli 1932 geboren und darf fragen, ob ein Mitglied des Hauses unter uns ist, das mich an Alter übertrifft." Es ist ein festes Ritual am Beginn jeder Legislaturperiode, mit der Otto Schily auch dieses Mal beginnt. Dann eröffnet er als Alterspräsident die erste Sitzung des 16. Deutschen Bundestages.
Das neue Parlament zählt 614 Abgeordnete, es gibt wieder fünf Fraktionen, neue Mehrheitsverhältnisse und neue Abgeordnete. Einen davon begrüßt der Alterspräsident höchstpersönlich: "Gestatten Sie mir eine private, aber strikt überparteiliche Bemerkung", sagt Otto Schily.
"Besonders herzlich begrüße ich ein junges Nachwuchstalent im Parlament, den FDP-Abgeordneten Konrad Schily, meinen Bruder, der im zarten Alter von 67 Jahren eine hoffnungsvolle politische Karriere beginnt." Nach Volker und Siegfried Kauder sind die Schilys nun das zweite Bruderpaar im Bundestag.
Dann benennt er die vorläufigen Schriftführer und beginnt mit seiner Eröffnungsrede. "Meine Damen und Herren Kollegen, das Volk hat die unbequeme Angewohnheit, Regierungen abzuwählen und neue Mehrheiten im Parlament herbeizuführen. Das ist für die amtierende Regierung schmerzlich und für Teile der bisherigen Opposition erfreulich. Es ist aber zugleich für die künftige Regierung eine Warnung und für die künftige Opposition eine Hoffnung. In der Demokratie wird Macht nur auf Zeit verliehen. Diesen Grundkonsens erkennen wir alle dankenswerterweise an."
Schily fordert eine nötige internationale Ausrichtung der Politik sowie Fairness und Respekt im gegenseitigen Umgang ein. Auch gepaart mit Polemik seien diese Werte im "sachorientierten, möglichst vorurteilsfreien, aufklärerischen und ehrlichen Debattenstil" vonnöten.
Außerdem, so betonte er, hat Politik die Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft nicht zu bevormunden. Dies solle man aber nicht als Möglichkeit verstehen, "Verantwortung irgendwo anders abzuladen". Jetzt heiße es, zuversichtlich in die Zukunft zu sehen und aufzuhören, Deutschland schlechtzureden.
Dann leitet er die Wahl des Bundestagspräsidenten. Mit überwältigender Mehrheit von 564 Stimmen wird Dr. Norbert Lammert (CDU) zum Bundestagspräsidenten gewählt. Die Abgeordneten beschließen die Geschäftsordnung des Bundestages. Vor der Wahl der Stellvertreter des Bundestagspräsidenten sieht die Tagesordnung die Festlegung der Zahl der Stellvertreter des Präsidenten vor.
Abweichend von der bisherigen Regelung, nach der jede Fraktion einen Stellvertreter stellt, beantragen die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sechs Stellvertreter zu wählen, von denen zwei die zweitstärkste Fraktion stellt. Der Antrag wird mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD angenommen. Bündnis90/Die Grünen, FDP und Die Linke lehnen den Antrag ab.
Nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Bundesinnenmisters ist Otto Schily Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Als erstem Abgeordneten verhängt das Bundestagspräsidium 2008 gegen Otto Schily ein Ordnungsgeld wegen einer Pflichtverletzung nach den Verhaltensregeln des Parlaments, drei Monatsdiäten, rund 22.000 Euro.
Schily hatte sich mit Verweis auf den Mandantenschutz geweigert, die Einkünfte aus seiner Nebentätigkeit als Rechtsanwalt detailliert offenzulegen. Er klagt vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Gericht entscheidet 2009, dass die Nebeneinkünfte der Abgeordneten bis in kleinste Detail offengelegt werden müssen, die Ordnungsgelder aber hebt es wegen "gleichheitswidriger Verwaltungspraxis" auf. Der Bundestag muss die entsprechenden Regelungen angleichen.
Otto Schily scheidet 2009 zum Ende der 16. Legislaturperiode aus dem Bundestag aus. (klz/09.10.2013)