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„Ehe für alle“ ist eine Interpretationsfrage

Der Rechtsausschuss hat sich am Montag, 28. September 2015, mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare beschäftigt. Sieben Sachverständige nahmen unter Vorsitz von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) dabei Stellung zu drei Gesetzentwürfen und einem Antrag. Im Wesentlichen ging es dabei um die verfassungsrechtliche Frage, ob eine Öffnung einfachgesetzlich durch eine Erweiterung im Bürgerlichen Gesetzbuch möglich ist, so wie es der Gesetzentwurf (18/8) sowie ein Antrag der Fraktion Die Linke (18/5205) und ein Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen (18/5098) vorsehen, oder ob dafür eine Verfassungsänderung im Artikel 6 des Grundgesetzes notwendig ist.

Die Diskussion dreht sich dabei sowohl um Auslegungsfragen als auch um die Interpretation von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die Beantwortung eben jener Frage hat auch Auswirkungen auf das Verfahren: Für eine einfachgesetzliche Lösung bräuchte es eine einfache Mehrheit im Bundestag,für eine Verfassungsänderung jeweils eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat und Bundestag.

„Gesellschaftlicher Wandel ist keine Rechtsquelle“

Sehr klar für die Notwendigkeit eine Verfassungsänderung sprach sich Prof. Dr. Jörg Benedict, Rechtswissenschaftler von der Universität Rostock, aus. Im Ehe-Begriff des Grundgesetzes sei die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner ein konstitutives Merkmal. Der von Befürwortern angeführte gesellschaftliche Wandel sie keine Rechtsquelle und führe nicht von sich aus zu einem Verfassungswandel.

In diese Richtung äußerte sich auch Prof. Dr. Jörn Ipsen, Rechtswissenschaftler von der Universität Osnabrück. Das Verständnis der Ehe sei auf eine Beziehung von Mann und Frau ausgelegt, eine Öffnung erfordere daher zwingend eine Änderung des Artikel 6 des Grundgesetzes. Der soziale Wandel mache diese nicht obsolet. Ohnehin sei die Verfassung sehr flexibel in derlei Hinsicht, werde sie doch fast jedes Jahr geändert, betonte Ipsen.

Bedauerlich sei, dass die Verfassung es nicht zulasse, über diese Frage eine Volksabstimmung durchzuführen. Damit könnte der vermutete gesellschaftliche Wandel belegt werden. Katharina Jestaedt vom Katholischen Büro in Berlin des Kommissariats der Deutschen Bischöfe führte zudem an, dass auch das Bundesverfassungsgericht an diesem Ehe-Verständnis über Jahre festgehalten habe.

„Öffnung des Familienbegriffs ist bereits erfolgt“

Die Gegenposition vertrat unter anderem Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtswissenschaftlerin von der Leibniz-Universität Hannover. Die historische Sichtweise, etwa die Vorstellungswelt des Parlamentarischen Rates, sei „irrelevant“, der Gesetzgeber könne diesen Begriff ausgestalten, denn es handle sich um einen offenen Begriff. Zudem wies sie Argumente zurück, die auf eine Verknüpfung der Begriffe „Ehe“ und „Familie“ und einer angenommen Fortpflanzungsfunktion der Ehe verweisen.

„Ehe“ und „Familie“ müssten in Artikel 6 des Grundgesetzes vielmehr entkoppelt gesehen werden. Und selbst wenn sie gekoppelt verstanden würden, so Brosius-Gersdorf, führe die in den vergangenen Jahrzehnte erfolgte Öffnung des Familienbegriffs, der auch gleichgeschlechtliche Paare umfasse, dazu, dass der Ehe-Begriff nicht auf verschiedengeschlechtliche Paare reduziert werden könne.

„Solidarität kennt kein Geschlecht“

Dr. Friederike Wapler, Rechtswissenschaftlerin von Goethe-Universität Frankfurt am Main, argumentierte, dass der Ehe-Begriff jeher Wandlungen unterworfen gewesen sei. Konstitutiv sei die Annahme, dass es sich dabei um eine Verbindung in „wechselseitiger Solidarität“ handle. Solidarität kenne aber kein Geschlecht, betonte Wapler.

Wolfgang Schwackenberg vom Deutschen Anwaltverein unterstrich ebenfalls, dass die Ehe sich vor allem als „Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft“ konstituiere. Zudem hätten die Autoren des Grundgesetzes den entsprechenden Artikel nicht als „bewusste Entscheidung gegen eine bestimmte Lebensform“ formuliert, so Schwackenberg.

Manfred Bruns vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland merkte an, dass, selbst wenn eine einfachgesetzliche Regelung schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen würde, das Gericht diese wohl nicht verwerfen würde.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/5901) war weniger Gegenstand der Diskussionen. Er sieht überwiegend redaktionelle Änderungen hinsichtlich der Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe im Zivil- und Verfahrensrecht sowie dem sonstigen öffentlichen Recht vor.

Bruns kritisierte, dass nicht sämtliche Vorschriften, in denen noch diskriminiert werde, bereinigt würden. Nach welchen Kriterien die Bundesregierung vorgegangen sei, sei nicht ersichtlich. Begrüßenswert sei im Entwurf der Bundesregierung die vorgesehene Änderung im Personenstandsgesetz, nach der gleichgeschlechtlichen Paaren ein Äquivalent zum Ehefähigkeitszeugnis ausgestellt werden soll, wenn sie planten, im Ausland eine verbindliche Partnerschaft oder Ehe einzugehen. (scr/29.09.2015) 

Liste der geladenen Sachverständigen