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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 04. November 2013)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Der FDP-Politiker und Vorstandsvorsitzende der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Wolfgang Gerhardt, wirft seiner bei der Bundestagswahl abgewählten Partei schwerwiegende Versäumnisse vor. „Wir haben den Fehler gemacht, eine wirkliche Steuerreform, die wir wollten, in den letzten vier Jahren nicht umgesetzt zu haben“, sagte Gerhardt in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 4. November 2013). Es gebe ein Publikum, das mit diesem Wahlergebnis seine Unzufriedenheit über die FDP ausgedrückt habe, sagte Gerhardt. Er wertete das aber nicht als „eine grundsätzliche Absage an eine liberale Partei“ und sei „sicher, dass wir einen Neuanfang schaffen werden“.
In Deutschland herrscht laut Gerhardt kein vorteilhaftes Klima für eine freiheitliche Politik. „Zu viele verstehen sich als Staatskunden“, sagte das langjährige Mitglied des Bundestages, der auch als Fraktions- Und Parteivorsitzender der FDP fungierte. Er beklagte, viele Menschen erwarteten, „dass der Staat die wesentlichen Dinge für sie regelt“. Das sei im Übrigen auch der Grund, warum eine Große Koalition in der Bevölkerung so populär sei.
Deutliche Kritik äußerte Gerhardt an der Alternative für Deutschland (AfD). „Neben den Analysen einer Reihe von Professoren der Volkswirtschaft sind ja auch andere Töne von der Basis zu hören, die bedenklich sind“, sagte er. Jede Neugründung einer Partei bringe „eben auch viel Treibsand mit sich“. In der AfD seien „sehr viele Kurzdenker“.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Gerhardt, Rousseau wird der Satz zugeschrieben: Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit. Muss hier ein Liberaler widersprechen?
Interpretiert man diesen Satz nach rechtsstaatlichen Regeln, dass alle vor dem Gesetz gleich sind, als einen der Bausteine von Freiheit, muss ein Liberaler nicht widersprechen – auch wenn Liberale bei Rousseau aus guten Gründen immer etwas zurückhaltend sind.
Hat sich der politische Liberalismus nach dem Scheitern der FDP bei der jüngsten Bundestagswahl erledigt?
Ich bin sicher, dass wir einen Neuanfang schaffen werden. Es gibt ein Publikum, das mit diesem Wahlergebnis seine Unzufriedenheit über die FDP ausgedrückt hat. Aber das ist noch lange keine grundsätzliche Absage an eine liberale Partei. Eine Partei, die an der Spitze eine Equipe hat, die sich verträgt, die Vertrauen ausstrahlt und die in der Lage ist, klar zu erläutern, was die innere Philosophie liberaler Politik ist, hat das Potenzial, ein zweistelliges Wahlergebnis zu erreichen. Es liegt an uns selbst, das umzusetzen.
Also das liberale Weltbild funktioniert. Versagt hat demnach die Partei?
Nein, so einfach ist es nicht. Es gab immer Wellenbewegungen bei liberalen Wahlergebnissen. Walter Scheel etwa hat seinerzeit den Bundestag mit nur knapp über fünf Prozent der Wählerstimmen erreicht. Die Liberalen haben sich immer anstrengen müssen. Das liegt daran, dass Deutschland kein vorteilhaftes Land für freiheitliche Politik ist. Zu viele verstehen sich als Staatskunden. Sie erwarten, dass der Staat die wesentlichen Dinge für sie regelt. Darum wird von vielen übrigens auch die Große Koalition bevorzugt. Das Motto lautet: Die sollen das mal schön für mich machen. Die Bereitschaft zur Selbstbeanspruchung ist in unserem Land nicht besonders ausgeprägt.
Die deutsche Gesellschaft war noch nie so liberal wie heute. Historisch betrachtet ist der Einzelne in den meisten Bereichen noch nie freier von obrigkeitsstaatlicher Gängelung gewesen. Hat der Liberalismus seine Ziele erreicht?
Nein, das hat er nicht. Auch wenn die Rechtsstaatlichkeit auf Grundlage der Verfassung unserem Land durchaus die freieste Zeit beschert hat, die die deutsche Geschichte jemals gekannt hat, darf ein wichtiger Punkt nicht beiseite geschoben werden: Es gibt Menschen, die haben regelrecht Angst vor der Freiheit.
Wir haben erfahren, dass die Entwicklung unseres Wohlstandes auch Brüche bekommen kann. Erst dann zeigt sich die wirkliche Festigkeit einer freiheitlichen Gesellschaft. Es reicht eben nicht aus, freiheitliches Bewusstsein nur auf Wachstumsraten aufzubauen. Freiheit ist unbequem. Die FDP hat in ihrer Bürgerrechtstradition immer wieder unangenehme Botschaften für die Menschen, weil manches, was Liberale sagen müssen, den Zügen menschlicher Natur widerspricht: zum Beispiel Minderheiten zu respektieren, mit Fremden umzugehen, ungewöhnliche Lebensformen zu akzeptieren und Unsicherheiten ertragen zu können. Eine geschriebene freiheitliche Verfassung reicht allein nicht aus.
In Teilen der FDP wird das Scheitern bei der Bundestagswahl einer Verengung auf Steuer- und Wirtschaftsfragen angelastet, andere sehen genau darin so etwas wie einen liberalen Markenkern, mit dem man auch in Zukunft wieder bei Wahlen bestehen könne. Was ist richtig?
So einfach ist das nicht. Marktwirtschaft gehört zum liberalen Markenkern. Und das wird auch in Zukunft so sein. Die Marke FDP ist allerdings allein auf Marktwirtschaft nicht zu reduzieren. Bildungschancen, Bürgerrechte, der Rechtsstaat, internationale Orientierung, europäische Einbettung, all das gehört genauso zur FDP. Deshalb ist es nicht fair zu behaupten, die FDP habe sich in den vergangenen vier Jahren nur auf dem Feld der Marktwirtschaft und der Steuerpolitik profiliert. Ich sage sogar: Wir haben den Fehler gemacht, eine wirkliche Steuerreform, die wir wollten, in den letzten vier Jahren nicht umgesetzt zu haben.
Kann es sein, dass Ihr wie auch immer definierter Markenkern von anderen Parteien in weiten Teilen übernommen wurde und die FDP dadurch in gewisser Weise überflüssig geworden ist?
Wenn die SPD und die Union den Kern marktwirtschaftlicher Politik von uns übernommen hätten, würde ich die gegenwärtigen Koalitionsverhandlungen gelassener verfolgen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Union ist in den vergangenen Jahren immer sozialdemokratischer geworden. Sie sieht etwas ausgehöhlt aus. Am Arbeitsmarkt stehen die Zeichen auf Regulierung. Die Möglichkeiten mittlerer und kleinerer Betriebe sollen wieder eingeschränkt werden – siehe Werkverträge, siehe Leiharbeit. Jetzt geht der Staat voran und erklärt den Unternehmen: Wir wissen viel besser als ihr, was für eure Betriebe gut ist. Das ist das Gegenteil von liberaler Politik, das ist Einschränkung von Freiheit.
Rechts von der FDP steht die Alternative für Deutschland (AfD) und reibt den Liberalen die Zustimmung zu den Euro-Rettungspaketen unter die Nase. Links von der FDP gehen die Grünen und Piraten mit Datenschutz und Bürgerrechten in die Offensive. Eine Zerreißprobe für Ihre Partei?
Überhaupt nicht. Wenn man eine überzeugende Haltung kommuniziert, wird die auch von der Öffentlichkeit akzeptiert. Wir sind der Überzeugung, dass der europäische Kurs, den wir eingeschlagen haben, mit den daraus folgenden Entscheidungen der letzten Legislaturperiode richtig ist. Es wird sich am Ende erweisen, dass der Stabilitätspakt der Euro-Zone weiterhelfen wird. Jedenfalls mehr als die Forderung, Deutschland solle die D-Mark wieder einführen und Griechenland aus der Euro-Zone fliegen. Wie sich schon jetzt zeigt, bewegt sich die Entwicklung in den meisten der von der Währungskrise besonders betroffenen Ländern langsam wieder nach oben. Am Ende wird die AfD keine Karten mehr in der Hand haben, weil die Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, erfolgreicher sind als vermutet. Überhaupt kommt diese Partei sehr leichtfertig daher. Neben den Analysen einer Reihe von Professoren der Volkswirtschaft sind ja auch andere Töne von der Basis zu hören, die bedenklich sind. Jede Neugründung bringt eben auch viel Treibsand mit sich. Es sind sehr viele Kurzdenker dabei. Man weiß dann nie ganz genau, wo das endet.
Es gibt Bereiche, in denen einiges dafür spricht, dass der Staat stärker eingreift. Beispiel Bankenkrise: Hier ist die FDP immer für Deregulierung eingetreten. War das im Rückblick richtig?
Deregulierung war und ist notwendig. Und interessant ist ja, dass das in der rot-grünen Koalition gemacht worden ist. Wir haben das seinerzeit nicht abgelehnt. Die gegebene Freiheit ist allerdings dann von manchen missbraucht worden. Deshalb ist zweifellos auf dem Finanzsektor auch eine gewisse Regulierung notwendig geworden. Liberale sollten damit keine Schwierigkeiten haben. Gerade die oft kritisierten Neoliberalen haben immer Spielregeln für die Marktwirtschaft gefordert. Das gilt auch für die Finanzmärkte. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn man eine Klärung herbeiführt, welche Geschäfte betrieben werden sollen und welche vom Markt zu verschwinden haben. Liberale sollten da keine Hemmungen haben, das auch laut zu sagen. Da hätte ich mir von meiner Partei in der letzten Legislaturperiode mehr Klarheit gewünscht.
Könnte es sein, dass die Abwahl der FDP und die absehbare Große Koalition auch Ausdruck des Wunsches nicht nach weniger, sondern nach mehr Staat ist?
Das Konzept des Liberalismus erschöpft sich ja nicht in der Forderung nach weniger Staat. Aber wir haben die unbequemste Botschaft. In einer Wahlkampfveranstaltung hat mir einmal eine Teilnehmerin gesagt: „Wer FDP wählt, muss ja alles selber machen.“ Das heißt, unsere Aufforderung zur Eigenständigkeit, nach Unabhängigkeit und Verantwortung für das eigene Leben fällt manchem schwer. Im Grunde ist die Kernfrage an den Liberalismus: Wo schafft er die Grundlagen für eine angstfreie Gesellschaft, die von Freiheit gerne Gebrauch macht? Da ist zunächst das Feld der Sozialpolitik, in dem es um die Sicherheit der Menschen geht. Hier müssen wir Angebote machen. Ich meine damit nicht die traditionelle Sozialpolitik von CDU/CSU und SPD. Deren Sozialpolitik fußt einzig auf Verteilung. Was sich ja auch jetzt in den Koalitionsverhandlungen zeigt. Das ist alte Sozialpolitik. Was ich meine, ist eine neue Sozialpolitik über Bildung und Beschäftigungsdynamik. Wir brauchen einen flexibleren Arbeitsmarkt, Chancengerechtigkeit in der Bildung, den Willen zur Innovation und damit zur Wettbewerbsfähigkeit. Ein Arbeitsplatz ist autonomieethisch der alten Verteilungspolitik deutlich überlegen.
Immerhin gut ein Viertel der Deutschen ist laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage der Meinung, dass es einen institutionellen Liberalismus in Deutschland geben sollte. Eine hübsche Nachricht für die FDP. Warum erreicht Ihre Partei diese Leute nicht?
Wir haben es nicht verstanden, die liberalen Vorstellungen der Bevölkerung, die vielfach durchaus deckungsgleich mit unseren sind, als Partei zu repräsentieren. Das war unser entscheidender Fehler. Jetzt wird es darauf ankommen, in eigener Markenpflege stärkeres Engagement zu zeigen. Wir müssen uns personell und programmatisch neu aufstellen. Das ist eine enorme Herausforderung, aber ich bin davon überzeugt, dass wir das schaffen können.
Warum hat die FDP beim Thema Datenschutz keine klare Kante gezeigt? Hätte da nicht viel früher und intensiver Verbraucherschutz betrieben werden müssen?
Datenschutz hat zwei Seiten: den Schutz des Eigentums und den Schutz der persönlichen Daten. Das Internet kann in Hinblick auf die Eigentumsrechte vor allem in künstlerischen Bereich kein kostenloser Selbstbedienungsladen sein. Die persönlichen Daten von Menschen müssen geschützt werden. Es wäre allerdings hilfreich, wenn viele Menschen nicht selbst durch exhibitionistisches Verhalten im Internet auch persönliche Daten weitergeben würden. Sie könnten selbst etwas für Datenschutz tun, wenn sie nicht alles und jedes ausplaudern würden.
Jetzt ist es offenbar auch der Bundeskanzlerin klar geworden, dass das zum Problem werden kann. Ist es nicht fast eine Ironie der Zeitgeschichte, dass ausgerechnet nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag die Nation so intensiv wie lange nicht über Datenschutz diskutiert?
Tja, das ist schon interessant zu beobachten. Diejenigen in der alten Koalition, die immer kritisiert haben, dass wir zu viel Datenschutz wollten, dass wir die Wirtschaft behinderten, merken auf einmal, dass sie selbst betroffen sind. Eines ist klar: Wenn die Vorwürfe gegen die USA stimmen, ist das deutsch-amerikanische Verhältnis tief beeinträchtigt.
Für die FDP wird es nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag schwieriger, ihre Botschaften in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Gibt es eine Strategie, wie das trotzdem gelingen kann?
Wir werden uns öffentlich bemerkbar machen, auch wenn das nicht mehr so leicht ist wie in einer Regierungsbeteiligung. Aber auch ohne Bundesminister werden es unsere Spitzenpolitiker mit guten Beiträgen verstehen, den Weg in die Medienlandschaft zu finden. Schwierige Verhältnisse erfordern produktive Ideen – und die hat die FDP.
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