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**** NACH § 117 GOBT AUTORISIERTE FASSUNG ****
*** bis 11.15 Uhr *** wird fortlaufend aktualisiert ***
Deutscher Bundestag
134. Sitzung
Berlin, Freitag, den 6. November 2015
Beginn: 9.00 Uhr
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nehmen Sie bitte Platz. Sie Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 134. Plenarsitzung und rufe den Tagesordnungspunkt 26 sowie den Zusatzpunkt 2 auf:
26. – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung
Drucksache 18/5373
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz)
Drucksache 18/5374
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring, Luise Amtsberg und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung
Drucksache 18/5375
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer, Hubert Hüppe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung
Drucksache 18/5376
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss)
Drucksache 18/6573
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Sabine Sütterlin-Waack, Brigitte Zypries, Matthias W. Birkwald und weiterer Abgeordneter
Keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe
Drucksache 18/6546
Wir schließen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der heutigen Debatte eine längere, gründliche, sorgfältige parlamentarische Beratung zum Thema „rechtliche Rahmenbedingungen für Sterbebegleitung bzw. Sterbehilfe“ vorläufig ab. Viele werden die Vermutung teilen, dass die öffentliche Debatte damit sicher nicht zu Ende sein wird.
Ich will aber, weil dies ja auch für die nicht ganz einfachen Verfahrensfragen von Bedeutung ist, daran erinnern, dass wir die parlamentarische Befassung mit dem Thema nicht mit der Einbringung von Gesetzentwürfen begonnen haben, sondern mit einer Orientierungsdebatte, die uns wechselseitig über die vielfältigen Aspekte dieses Themas aufklären und für die denkbaren Lösungsalternativen sensibilisieren sollte, mit dem Ergebnis, dass aus dieser Befassung des Plenums vier Gesetzentwürfe entstanden sind, die sich auch als konkurrierende Lösungen verstehen. Es hätten prinzipiell auch mehr oder weniger Gesetzentwürfe sein können als die vier, die dann nach intensiver Befassung verschiedener, besonders engagierter Kolleginnen und Kollegen am Ende tatsächlich entstanden sind.
Diese vier konkurrierenden Gesetzentwürfe zur Sterbebegleitung liegen heute in zweiter und dritter Lesung zur Beratung und Entscheidung vor. Sie sind jeweils von fraktionsübergreifenden Gruppen eingebracht worden. Der Bundestag muss sich also für einen dieser Gesetzentwürfe entscheiden, oder er kann gegebenenfalls alle vier Gesetzentwürfe ablehnen. Weiterhin liegt ein Antrag vor, der eine gesetzliche Regelung ausdrücklich nicht für erforderlich hält.
Nach intensiven Beratungen der Gruppen untereinander ist eine Einigung über die Abstimmungsreihenfolge dieser Gesetzentwürfe nicht zustande gekommen. Es gibt aber ein Einvernehmen aller Initiatoren, auch in Verbindung mit den Parlamentarischen Geschäftsführern aller Fraktionen, auf dem Wege eines Stimmzettelverfahrens die notwendigen Abstimmungen über diese Gesetzentwürfe durchzuführen. Dieses Verfahren haben wir in der Vergangenheit bei ähnlichen Fragen bereits angewendet.
Der Ältestenrat hat sich gestern noch einmal sehr intensiv mit den damit verbundenen Verfahrensfragen, den damit auch verbundenen Implikationen befasst und ist übereingekommen, dem Bundestag – dem Verfahrensvorschlag der Initiatoren, also der Gruppen, folgend – die Durchführung eines Stimmzettelverfahrens zur Entscheidung vorzulegen.
Wir weichen damit von dem im Gesetzgebungsverfahren sonst üblichen Verfahren ab, nämlich die Vorlagen der Reihenfolge nach abzustimmen und über jeden einzelnen Gesetzentwurf gesondert zu befinden. Für diese Abweichung von der Geschäftsordnung ist gemäß § 126 unserer Geschäftsordnung eine Zustimmung von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Bundestages erforderlich.
Sollte dieser Verfahrensvorschlag nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit finden, werde ich – wie gestern im Ältestenrat vereinbart und von allen Beteiligten akzeptiert – einen Vorschlag für eine Abstimmungsreihenfolge dieser Gesetzentwürfe vorlegen, über den wir dann auch abstimmen würden, weil es beinahe absehbar ist, dass auch das nicht jedem einleuchtet und andere Präferenzen vorhanden sein könnten, um sicherzustellen, dass wir auf dem einen oder anderen der beiden denkbaren Verfahrenswege heute jedenfalls zu einem Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens kommen können.
Bevor wir zur Abstimmung über das vorgeschlagene Stimmzettelverfahren kommen, möchte ich Ihnen dieses skizzieren, damit auch jeder weiß, auf welche Abstimmungsprozedur er sich am Ende unserer Debatte einzustimmen hat: Alle vier Gesetzentwürfe werden auf einem Stimmzettel gleichzeitig zur Abstimmung gestellt, verbunden mit der Möglichkeit, mit „Nein gegenüber allen Gesetzentwürfen“ oder mit „Enthaltung gegenüber allen Gesetzentwürfen“ zu stimmen. Dabei kann nur ein Kreuz gemacht werden. Eine dieser Optionen – entweder einer der vorliegenden Gesetzentwürfe oder keiner der Gesetzentwürfe oder Enthaltung – kann jeweils angekreuzt werden.
Die erforderliche Mehrheit für einen Entwurf ist erreicht, wenn dieser mehr Jastimmen als die anderen Vorlagen erhält, zuzüglich der Neinstimmen.
Falls kein Entwurf im ersten Durchgang dieses Stimmzettelverfahrens die Mehrheit erhält, kommt es in einem zweiten Abstimmungsgang zur Abstimmung über die beiden bestplatzierten Gesetzentwürfe. Dieser würde wiederum mithilfe eines Stimmzettelverfahrens durchgeführt. Dabei gibt es wieder die Möglichkeit, einen der verbleibenden Gesetzentwürfe anzukreuzen oder mit Nein oder Enthaltung zu votieren.
Erhält auch im zweiten Abstimmungsgang keiner der beiden Gesetzentwürfe die erforderliche Mehrheit, müsste anschließend über den Gesetzentwurf mit dem besseren Ergebnis abgestimmt werden. Das erfolgt mit unseren üblichen Namensstimmkarten. Würde in dieser namentlichen Abstimmung der verbleibende Gesetzentwurf nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten, wäre er damit in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfiele nach unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung.
Wird einer dieser Gesetzentwürfe in zweiter Beratung angenommen, folgt unmittelbar die dritte Beratung, in der ebenfalls namentlich abgestimmt wird. Über die in zweiter Beratung ausgeschiedenen Gesetzentwürfe wird nach der Logik dieses Verfahrens nicht weiter abgestimmt.
Der Antrag, den die Kollegin Keul zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Fraktionen eingebracht hat, wird nur abgestimmt, wenn keiner dieser vier Gesetzentwürfe eine Mehrheit erhalten hat. Im anderen Fall hat er sich einvernehmlich erledigt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Vorschlag aller vier Gruppen, auch mit der Empfehlung des Ältestenrates, über die vier Gesetzentwürfe abweichend von unserer Geschäftsordnung in einem Stimmzettelverfahren Beschluss zu fassen. Es ist vereinbart, dass wir das in einer namentlichen Abstimmung tun. Dafür brauchen wir, wie bereits erläutert, eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder.
Achten Sie bitte darauf, wenn Sie Ihre Stimmkarten holen, dass Sie eine Stimmkarte in der Hand halten, die Ihren Namen trägt.
Ich darf nun die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist offenkundig der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Darf ich fragen, ob alle im Raum anwesenden Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte abgegeben haben? – Ich sehe jedenfalls keine gegenteiligen Anzeigen. Dann schließe ich damit die namentliche Abstimmung. Ich bitte um Auszählung.
Wir unterbrechen kurz, bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung ermittelt ist, weil davon der weitere Verfahrensgang abhängt.
(Unterbrechung von 9.14 bis 9.20 Uhr)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen.
Darf ich noch einmal darum bitten, Platz zu nehmen? Herr Kollege Sensburg, vielleicht beispielhaft für die anderen Antragsteller? Das bringt uns dann gleich eine erhebliche Verbesserung der Übersicht hier im Plenum.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Anwendung des Stimmzettelverfahrens unter Abweichung von der Geschäftsordnung bekannt: abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt 522, mit Nein haben gestimmt 61, Enthaltungen gibt es keine. Damit ist die erforderliche Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder für die Abweichung von der Geschäftsordnung nicht nur erkennbar erreicht, sondern deutlich überboten.
Ich will das gerne zum Anlass nehmen, mich noch einmal ausdrücklich bei allen gestern Beteiligten, bei den Vertretern der Gruppenanträge und allen Mitgliedern des Ältestenrates, zu bedanken für das erkennbare gemeinsame Bemühen, einen Verfahrensweg zu finden, der es uns erspart, die schwierige und ernsthafte Debatte über die Sache mit einer Verfahrensauseinandersetzung zu belasten, sodass wir jetzt zügig in die inhaltliche Beratung eintreten können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine Debattenzeit von insgesamt 135 Minuten vorgesehen, die wie in vergleichbaren Fällen nach dem Stärkeverhältnis der Initiativen verteilt werden soll. Darüber hinaus gibt es die Vereinbarung, wiederum wie in vergleichbaren Fällen, dass die Kolleginnen und Kollegen, deren Redewunsch in diesem Zeitrahmen nicht berücksichtigt werden kann, in einem einer Redezeit von fünf Minuten entsprechenden Umfang ihre Reden zu Protokoll geben können. Ich darf Sie zu beiden Vereinbarungen fragen, ob Sie damit einverstanden sind. – Das ist offenkundig der Fall. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Michael Brand.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Einen kleinen Augenblick noch, Herr Kollege Brand. – Ein Hinweis noch, damit nicht zwischenzeitlich Irritationen entstehen: Gegen Ende der Aussprache werden die Stimmzettel verteilt oder in den Fächern verfügbar sein, die Sie für den späteren Abstimmungsgang verwenden können. Das werden wir dann noch einmal erläutern. Da trägt jeder seinen Namen ein, sodass wir auf diese Weise ein namentliches Stimmverfahren haben. Ich sage das nur, damit wir in der Zwischenzeit hier nicht möglicherweise verzweifelt umherirrende Kollegen haben, die nach dem Stimmzettel suchen, den es sicher gibt.
So, bitte schön, Herr Kollege Brand.
Michael Brand (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein besonderer Tag: Der Deutsche Bundestag entscheidet über ein sensibles Thema, das kein Weiß und kein Schwarz kennt, sondern viele verschiedene Facetten hat.
Nach über einem Jahr intensiver Debatte möchte ich vor allem mit einem Dank beginnen. Nicht nur hier im Parlament, sondern auch in vielen Veranstaltungen, quer durch unser Land, in Gesprächen in Familien und unter Freunden ist das Thema Sterben ein gutes Stück aus der Tabuzone geholt worden, sozusagen in die Mitte der Gesellschaft zurückgebracht worden. Es wird heute mehr über menschliche Sterbebegleitung gesprochen, über Ängste, über Hoffnungen. Oft waren es die Zwischentöne, die den Unterschied ausgemacht haben. Und manche sehr persönlichen Gespräche haben tief in uns etwas bewegt. Für diesen Zugewinn an Menschlichkeit können wir dankbar sein.
Gerade diese Gespräche und die Begegnungen haben gezeigt: Es wird so unendlich vieles an menschlicher Hilfe und an Zuwendung erbracht von Familienangehörigen, von Ehrenamtlichen, von Hauptamtlichen in Hospizen, in Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen, in Palliativteams und an vielen anderen Stellen. Das ist beeindruckend und verdient unseren Respekt. Deswegen sage ich, sicherlich auch im Namen aller hier, einen tief empfundenen Dank für das, was tagtäglich in unserem Land an Mitmenschlichkeit geleistet wird.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der heutigen Entscheidung ist es wichtig, dass wir alle wissen, worüber wir entscheiden, und auch, worüber wir nicht entscheiden. Die Hilfen stark ausbauen und den Missbrauch stoppen – das ist, kurz gesagt, das Kernanliegen unserer Gruppe mit Unterstützern aus allen Fraktionen.
Einen großen Schritt bei den Hilfen haben wir gestern beschlossen. Heute ist der Gesetzgeber aufgerufen, den Missbrauch zu stoppen, auch deshalb, weil es nicht vor allem nur um Kusch und Co. geht: Es geht im Kern um eine Verschiebung einer wichtigen Achse unserer Gesellschaft. Es geht auch um den Schutz von Menschen vor gefährlichem Druck durch gefährliche geschäftsmäßige Angebote zur Suizidbeihilfe.
Wir können diese Debatte zum Thema Suizidbeihilfe nicht zum Abschluss bringen, ohne den Grund für ihren Beginn zu beachten. Es stimmt, was ein profilierter Beobachter dieser Tage festgestellt hat – ich will das zitieren –:
Der Bundestag sollte sich wieder auf den Ausgangspunkt konzentrieren, der das Gesetzgebungsverfahren in dieser Frage ausgelöst hat. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf ist dadurch entstanden, dass sich Anbieter in Deutschland etablieren, die geschäftsmäßig für Suizidassistenz werben und damit den Suizid fördern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht im Kern um die Alternative: eine maßvolle Änderung oder Laufenlassen mit der Konsequenz der Ausbreitung. Nach dieser Debatte bleibt nichts, wie es war, auch nicht nach dem heutigen Tag. Denn selbst wenn wir nichts entscheiden würden, hat unser Signal heute Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung in dieser wichtigen Frage.
Der niederländische Autor Gerbert van Loenen hat dieser Tage gewarnt: Die deutsche Debatte erinnere ihn an die Anfänge der niederländischen Debatte. Er sagt rückblickend, dass in den Niederlanden gerade am Beginn entscheidende Fehler begangen wurden. Dass Angebot auch bei Sterbehilfe Nachfrage schafft, haben wir doch durch die Entwicklungen in den Nachbarländern erfahren; das hat sich dort gezeigt. Die Erfahrung lehrt auch, dass die angeblich engen Kriterienkataloge nicht halten.
Wenn wir heute nichts entscheiden würden, wäre die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe deutlich gestärkt, sie würde sich weiter ausbreiten. Deshalb schlagen wir heute eine moderate Regelung vor, die sehr präzise nur dieses gefährliche Phänomen unterbindet. Dabei haben wir sehr genau darauf geachtet, dass ärztliche Freiräume erhalten bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Bereiche, in denen das Strafrecht schlicht schweigen muss. Der Gesetzgeber kann und er sollte auch nicht jeden einzelnen Fall regeln wollen. Der Präsident der renommierten Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, die Deutsche PalliativStiftung, der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband und andere haben eindeutig bestätigt: Unser Gesetzentwurf beinhaltet keine Kriminalisierung von Ärzten.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Die Bundesärztekammer hat es in einem Schreiben an alle Abgeordneten – ich zitiere – nach „eingehender inhaltlicher und rechtlicher Prüfung“ ungewöhnlich klar formuliert: Die Behauptung der Kriminalisierung der Ärzte ist nicht wahr und – auch das zitiere ich – „dient ausschließlich der Verunsicherung der Abgeordneten und auch einiger Ärzte“.
Es ist uns im Gegenteil in den intensiven Beratungen der letzten anderthalb Jahre zu unserem Gesetzentwurf gelungen, präzise die Trennung zu ziehen zwischen zum Beispiel Ärzten, die in schweren Situationen nach ihrem Gewissen handeln, und anderen, die es darauf anlegen, geschäftsmäßig mit Absicht und auf Wiederholung angelegt die Suizidbeihilfe zu fördern. Wir brauchen stattdessen menschliche Zuwendung, manchmal sollte man einfach nur zuhören oder mal die Hand halten. Der Lebenswille kann auch dadurch dahinschwinden, wenn man sich einsam oder nicht mehr gebraucht fühlt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns kann einmal selbst in eine ausweglose Situation kommen. Die FAZ hat am gestrigen Donnerstag einen besonders eindrücklichen Fall veröffentlicht. Ich möchte ihn hier zum Schluss kurz beschreiben. Viele hier kennen den sehr anrührenden französischen Film Ziemlich beste Freunde. Der Film beruht auf der wahren Geschichte eines sehr erfolgreichen und bekannten Unternehmers, der nach einem Absturz beim Gleitflug vor 20 Jahren vom Hals abwärts komplett gelähmt ist. Er wollte deshalb nicht weiterleben, aber er fand laut seiner Aussage niemanden, der ihm beim Suizid half. Für einen derart gelähmten Menschen sei ein Suizid eben kompliziert zu bewerkstelligen. In diesen Tagen sagte er – auch das will ich zum Schluss zitieren –:
Heute würde ich mein Leben niemals aufgeben wollen. Im Gegenteil: Die wiederkehrenden Debatten um eine Vereinfachung der Sterbehilfe ängstigen mich. Ich fürchte manchmal, unsere Gesellschaft könnte in ihrem Optimierungswahn einen Automatismus dieser Methode akzeptieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Perspektivwechsel, dieses Beispiel eines sehr selbstbewussten Menschen zeigt: Niemand – niemand! – ist unter Druck vor Fehlschlüssen sicher. So wie wir gestern die Hilfen für sterbende Menschen deutlich gestärkt haben, so müssen wir heute den Schutz von Menschen in subjektiv auswegloser Lage stärken. Wir müssen diesen Schritt heute tun. Ich bitte Sie und ich bitte euch, ihn mit uns gemeinsam zu gehen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor die Kollegin Griese das Wort bekommt, will ich gleich an dieser Stelle auf ein Problem aufmerksam machen, das vermutlich alle Redner haben werden, nämlich auf das Problem, ein so komplexes Thema in fünf Minuten zu vermitteln. Nur, würde ich in jedem Falle nicht nur dem Wunsch des jeweiligen Redners oder der Rednerin, sondern sicher auch dem eigenen Verständnis für den Zusammenhang nachgeben, würde der Zeitrahmen, den wir gerade beschlossen haben, explodieren. Wir haben uns auf ein Abstimmungsverfahren verständigt, das sehr zeitaufwändig ist und das auch mit Blick auf sonstige Dispositionen berücksichtigt werden muss. Deswegen noch einmal meine herzliche Bitte – auch wenn es schwer ist –, sich um die Einhaltung der Fünf‑Minuten‑Regel zu bemühen.
Bitte schön, Frau Griese.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Kerstin Griese (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach intensiver Beschäftigung mit den Themen Sterbehilfe, Sterbebegleitung und assistierter Suizid kommen wir heute zu einer Entscheidung im Bundestag. Wie viele Abgeordnete habe auch ich Hospize und Palliativstationen besucht, mit Ärztinnen und Ärzten, mit Juristinnen und Juristen gesprochen. Ich habe auch über meine eigenen Vorstellungen vom Ende des Lebens nachgedacht.
Ich denke, wenn wir es geschafft haben – vielleicht auch durch die Debatten in diesem Haus –, dass in den Familien und Nachbarschaften, in den Freundeskreisen und Vereinen wieder mehr darüber geredet wird, wie wir über das Sterben denken und wie wir füreinander sorgen können, dann hat diese Debatte schon einen guten und wichtigen Fortschritt erzielt. Deshalb einen ganz herzlichen Dank an alle, die sich beteiligt haben, an alle, die uns beraten haben, und ganz besonders an die Menschen, die sich in der Hospizbewegung engagieren!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Warum brauchen wir jetzt ein Gesetz? Wir brauchen ein Gesetz, weil es in Deutschland Vereine und Einzelpersonen gibt, die als ihr Hauptgeschäft die Selbsttötung fördern, unterstützen und durchführen. Wir wollen unter Strafe stellen, wenn jemand mit der Absicht der Selbsttötung geschäftsmäßig handelt – das heißt, auf Wiederholung angelegt und im Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Diejenigen, die unseren Gesetzentwurf unterstützen, sagen ganz klar, dass wir dieses Geschäft mit dem Tod von Menschen für ethisch nicht tragbar halten.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Wenn man sich ansieht, dass die sogenannten Sterbehilfevereine auch Menschen zu Tode bringen, die psychisch krank, lebensmüde oder depressiv sind, und dass sie das schneller tun, je mehr man zahlt, dann, glaube ich, sind wir uns hier alle einig, dass wir das nicht wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Unser Gesetzentwurf konzentriert sich deshalb auf die sogenannten Sterbehilfevereine und auf Einzelpersonen, die den assistierten Suizid geschäftsmäßig anbieten. Denn ihr Tun macht uns Sorgen, auch mit Blick auf die Entwicklung in den Niederlanden und in der Schweiz, wo die Fallzahlen angestiegen sind, nachdem das dort ausgeweitet wurde.
Unser Gesetzentwurf ist ein Weg der Mitte, weil unsere grundsätzliche Rechtsordnung so bleibt, wie sie ist. Ich betone: Der Suizid und auch die Beihilfe dazu bleiben straffrei. Indirekte und passive Sterbehilfe bis hin zur palliativen Sedierung sind legal. Ja, auch der Fall, in dem ein Arzt in einem ethisch begründeten Einzelfall aufgrund einer Gewissensentscheidung dem Wunsch des Patienten nachkommt, ihm zu helfen, aus dem Leben zu scheiden, bleibt straffrei. Das ist in unserem Gesetzentwurf ganz klar geregelt. Ich zitiere daraus:
Der hier vorgelegte Entwurf kriminalisiert ausdrücklich nicht die Suizidhilfe, die im Einzelfall in einer schwierigen Konfliktsituation gewährt wird.
Die Anhörung und zahlreiche Stellungnahmen von Juristen, der Bundesärztekammer und allen großen Hospiz- und Palliativverbänden haben klargestellt, dass unser Gesetzentwurf keine Kriminalisierung von Ärzten bewirkt.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich betone deshalb noch einmal, dass unter den Begriff „geschäftsmäßig“ nicht die Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten fällt, wie sie in der Hospizarbeit, in der Palliativmedizin und bei der Behandlung von Schwerkranken stattfindet. Mir ist wichtig, dass der ärztliche Freiraum, den es heute gibt, erhalten bleibt und dass Ärztinnen und Ärzte in schwierigen ethischen Situationen individuell helfen und entscheiden können. Das ist mit unserem Gesetzentwurf gewährleistet.
Damit bleibt das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient erhalten. Ja, es wird und muss weiter möglich sein, dass ein Mensch, der schwer leidet, zu seinem Arzt sagt: Ich will sterben. – Dieser Satz „Ich will sterben“ erfordert vom Gegenüber aber vor allem Zeit: Zeit, nach den Gründen zu fragen, und Zeit für Hilfe und Zuwendung. Ich glaube nicht, dass die richtige Antwort darauf der Giftbecher auf dem Nachttisch für den einsamen Suizid ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auf den Sterbewunsch und auf Ängste, die Menschen haben – das ist ja verständlich –, ist die richtige Antwort eben, auf die Rechte der Patienten und auf Patientenverfügungen hinzuweisen. Niemand muss Behandlungen mit sich machen lassen, die er nicht will. Ich weiß, dass viele Menschen Angst vor einer Übertherapierung haben. Keine Therapie und kein künstliches Weiterleben sind Pflicht. Im Gegenteil: Der Patient entscheidet.
Der Angst vor Schmerzen muss mit den inzwischen sehr weit entwickelten Möglichkeiten der Palliativmedizin begegnet werden, und ich bin dankbar, dass wir gestern – das gehört zu diesem Thema – die Ausweitung der Hospiz- und Palliativarbeit beschlossen haben. Die Angst vor Einsamkeit, um die es auch oft geht, können wir nicht mit einem Gesetz nehmen, sondern es geht hier darum, dass wir eine sorgende Gesellschaft sein müssen. Das geht jede und jeden von uns jeden Tag an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Staat kann und wird nie alle Facetten des Sterbens regeln können. Das wäre auch vermessen. Aber wir können als Gesetzgeber klarmachen, dass wir den assistierten Suizid als ärztliche Regelleistung oder als frei verfügbares Vereinsangebot nicht wollen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Unser Gesetzentwurf steht für Selbstbestimmung. Ich will, dass niemand unter Druck gerät, vorzeitig aus dem Leben zu gehen, wenn doch noch gute Tage im Leben möglich sind. Ich will, dass sich niemand entschuldigen muss, dass er leben will. Deshalb schützt unser Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe den Einzelnen vor übereilten oder fremdbestimmten Sterbewünschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute nichts zu entscheiden, wäre nach dieser ausführlichen Debatte des letzten Jahres keine Lösung. Im Gegenteil: Das wäre ein falsches Signal. Damit würden wir diejenigen, die das Geschäft mit dem Tod machen und den assistierten Suizid als Dienstleistung anbieten, weitermachen lassen. Das wollen wir ausdrücklich nicht.
Deshalb bitte ich Sie sehr herzlich um Unterstützung für den Gesetzentwurf Brand/Griese/Vogler/Terpe und vieler weiterer Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Peter Hintze.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Peter Hintze (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern wurde in den Tagesthemen ein verzweifelter ALS-Kranker gezeigt, der sich mit einer selbstgebauten Apparatur das Leben nehmen wollte. Sein ihn betreuender Arzt konnte ihn davon mit dem Versprechen abbringen, dass er ihm im äußersten Notfall, wenn er es gar nicht mehr aushalten kann und wenn die Palliativmedizin ans Ende kommt, Suizidassistenz gewährt. Unser Anliegen ist es, dass die verantwortlichen Ärzte dieses Recht auf Gewissensentscheidung und Hilfe im extremen Notfall behalten, auch wenn es mehrfach vorkommt.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
In einem freiheitlichen Rechtsstaat muss man mit dem Strafrecht sehr vorsichtig umgehen. Ich frage mich auch: Was ist das für ein Menschenbild, von dem wir hier eben in zwei Reden gehört haben, das nur von fremdbestimmten Menschen ausgeht, die nicht wissen, was sie tun und was für sie gut oder richtig ist?
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Was wäre das für ein Rechtsstaat, der, um einen Scharlatan zu erwischen, tausend verantwortungsvoll handelnde Ärzte mit Strafe bedroht?
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Jetzt komme ich zum Schlüsselbegriff, nämlich „geschäftsmäßig“. Das ist eine Sprachfalle. Der normale Mensch denkt: Oh, da macht einer mit einer üblen Sache Geschäfte. – Wir wissen aber aus der Anhörung und aufgrund der Warnung von 140 Strafrechtsprofessoren, die gesagt haben: „Macht das bitte nicht“, dass „geschäftsmäßig“ im Recht bedeutet – das steht übrigens auch in der Begründung des Gesetzentwurfs –: eine auf Wiederholung angelegte Handlung.
Ein Krebsarzt oder ein Schmerzmediziner, der nach einem Gespräch einem Sterbenden zweimal hilft, steht schon im Wiederholungsverdacht. Ich glaube zwar wie die Antragsteller, dass das Gericht den Arzt am Ende des Tages nicht bestraft. Aber was ist das für ein Staat, in dem Ärzte mit Ermittlungsverfahren überzogen werden und die Staatsanwaltschaft geradezu aufgefordert wird, hier tätig zu werden?
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Was wäre die Folge, wenn die Ärzteschaft erkennt, was – wenn es so käme – hier heute beschlossen wurde? Sie würde sich zurückziehen. Was wäre erreicht? Der Patient würde in seiner größten existenziellen Not alleine gelassen. Der eine mag zum Sterben in die Schweiz fahren und der andere vor den Zug springen, wie es tragischerweise häufig genug passiert. Das alles passiert – auch das ist ganz wichtig – unter der Flagge einer Moral, die nur von einer Minderheit der Bevölkerung vertreten wird.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mehrheit in der Bevölkerung lehnt eine Strafverschärfung ab. Die Mehrheit in der Bevölkerung setzt sich für Selbstbestimmung ein. Wir reden hier über Menschenwürde. Der Kern der Menschenwürde ist die Selbstbestimmung. Wir sind die Volksvertreter. Vertreten wir das Volk!
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Die Palliativmedizin hilft in den meisten Fällen – Gott sei Dank. Begleitung und Nähe sind unglaublich wichtig. Aber es gibt Fälle – jeder, der Sterbende begleitet hat, hat das vielleicht schon einmal erlebt –, bei denen die Palliativmedizin nicht mehr helfen kann. Einige bestreiten das. Aber gehen Sie einmal in die Krankenhäuser und sprechen Sie mit den Schwestern und Pflegern. Die Palliativmedizin stößt an Grenzen, wenn ein qualvolles Ersticken droht. Jeder, der das einmal miterlebt hat, wird sehr nachdenklich. Es ist ein Gebot der Nächstenliebe, den Sterbenden beim friedlichen Entschlafen zu helfen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Ich bin für den Satz, dass Leiden im Sterben sinnlos ist, schwer angegriffen worden. Ich wiederhole ihn: Leiden im Sterben ist sinnlos! Kein Mensch muss einen Qualtod hinnehmen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Wir wollen, dass am Sterbebett nicht Staatsanwälte stehen, sondern Angehörige und Ärzte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In der größten existenziellen Not eines Menschen sollte sich der Staat zurückhalten. Sagen Sie bitte Nein zu einem Verbot und Ja zu unserem freiheitlichen Entwurf, der das Gewissen schützt und die Selbstbestimmung der Menschen sichert.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Renate Künast ist die nächste Rednerin.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sterben ohne den Staatsanwalt und ohne dass der Arzt, der mir vielleicht hilft, das Damoklesschwert eines Strafverfahrens, einer Gefängnisstrafe über sich hängen hat: Das ist es, was 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung wollen. – Herr Kauder, hören Sie doch bitte zu. Das Thema ist ernst genug.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden Sie doch!)
Wir alle waren in vielen Veranstaltungen. Ich habe das Gefühl, wir alle, quer durch dieses Haus, haben uns selten so viel und so lange, nämlich anderthalb Jahre, mit einem Thema wie diesem Thema Sterben beschäftigt. Was mir in Veranstaltungen immer wieder aufgefallen ist – auch wenn Menschen unterschiedliche Auffassungen hatten und um eine gemeinsame Position gerungen haben –, ist, dass die Bürgerinnen und Bürger sagten: Der Staat soll sich bei der Entscheidung darüber heraushalten, wie ich aus diesem Leben gehe. Das entscheide ich selber.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Auch viele junge Menschen machen sich darüber Gedanken und sagen: Selbst wenn ich ein gut versorgter Patient bin, kann ich mich doch immer noch frei entscheiden, wann ich aus diesem Leben gehe, um diese letzten Tage und Wochen nicht zu leiden.
Viele fragten: Was hat sich für Sie das Jahr über in der Diskussion verändert? Für mich hat sich verändert, dass ich immer mehr davon überzeugt bin, dass es uns nicht zusteht, die Möglichkeit der Menschen für Fragen, Beratungen und Gespräche in dieser letzten Phase einzuschränken.
Ich wurde in meiner Auffassung bestärkt, dass es eine Möglichkeit für ein offenes Beratungsgespräch geben sollte, in dem der Arzt nicht gleich sagen muss: „Dies gehört nicht zum Gegenstand meiner Beschäftigung“, um einmal einen Satz aus dem Brand/Griese-Gesetzentwurf anzuführen. Wenn der Arzt nicht sagen muss, dass er das nicht tut, sondern offen mit mir reden kann, wird vielleicht der eine oder andere Suizid mehr verhindert.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Ich habe das Bundesjustizministerium nach empirischen Zahlen gefragt, auch jetzt wieder. Es hat mir geantwortet: Es gibt keine anderen Zahlen als die Zahlen aus 2012. – In den 2012er-Unterlagen stand: Wir haben keine Zahlen.
Meine Damen und Herren, mich hat in diesem Jahr eines bestärkt: Widerstehen wir Abgeordnete doch dem Gefühl, uns selbst und unsere eigene Auffassung in das Strafgesetzbuch zu schreiben, sondern sagen wir an dieser Stelle lieber: Wir halten es mit der Freiheit des Menschen. Es wird ja viel über einen Dammbruch geredet. Ich weiß aber gar nicht, wann es diesen Dammbruch seit 1871 gegeben haben soll. Und Kusch allein kann kein Dammbruch sein,
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Peter Hintze [CDU/CSU])
zumal der Staatsanwalt in Hamburg bereits nach dem geltenden Recht tätig ist.
Lassen Sie mich ein Wort zur Freiheit sagen. Weil wir am Anfang dieser Legislaturperiode über Freiheit geredet haben, habe ich meiner eigenen Fraktion gesagt: Denkt daran, dass Freiheit auch heißen kann, dass die Menschen ganz frei eine andere Entscheidung treffen, als wir persönlich es aus religiöser oder ethischer Überzeugung für richtig halten. Ich glaube, das ist der Punkt: Wenn wir über Freiheit reden, müssen wir den Menschen auch die Freiheit lassen – obwohl wir persönlich vielleicht anderer Meinung sind –, selbst zu bestimmen, ob und wie sie gehen wollen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Nur darum geht es heute, nämlich ob wir diesen Grundsatz wirklich aufrechterhalten.
Auch der Begriff „geschäftsmäßig“ hilft uns nicht weiter. In dem Antrag meiner Gruppe steht „gewerbsmäßig“. Warum haben wir das gemacht? Nach langem Überlegen war uns klar: Wir sollten vielleicht die Sorge aufgreifen, die sich daraus ergibt, dass Leute damit systematisch in nicht unerheblichem Umfang Geld verdienen wollen. Darum geht es im gewerblichen Bereich, und das wollen wir verbieten. Aber ich sage Ihnen: Geschäftsmäßig ist alles, selbst wenn kein Geld fließt. Juristisch lernt man das schon im ersten Semester BGB. Man muss etwas nur zum Gegenstand seiner Beschäftigung machen nach dem Motto: Du möchtest etwas, und ich gebe es dir. – Schon das reicht aus.
Diese neue Strafnorm betrifft insofern uns alle. Sie betrifft in einem säkularen Staat, in dem der Staat eigentlich zur Neutralität verpflichtet ist, am Ende jeden Arzt und jeden, der über sein Leben frei verfügen will. Insbesondere betrifft es diejenigen, die Schwerkranke behandeln. Faktisch muss der Arzt immer sagen: Nein, das gehört nicht zu meinem Beschäftigungsfeld.
Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie, an uns: Akzeptieren wir die Selbstbestimmung am Lebensende. Lassen wir die Möglichkeit zu offenen Beratungsgesprächen zu. Vergewissern wir uns, dass wir zwar eigene Auffassungen haben können, dass diese aber – ob ethisch oder religiös – nicht in das Strafgesetzbuch gehören.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Fragen wir uns einmal, ob es legitim ist, dass die Beihilfe für Angehörige – beispielsweise wenn Frau A ihrem Ehemann oder wenn Herr B seiner Ehefrau Beihilfe leistet – zwar straffrei wäre, aber das exakt gleiche Verhalten für den Arzt nicht straffrei wäre. Ich glaube, dass es dafür wirklich keinerlei rechtliche Legitimation gibt.
Ich wende mich – letzter Satz – an die Frauen in diesem Saal. Überlegen Sie einmal, wie unsere Debatten im Deutschen Bundestag – vielleicht waren Sie damals dabei; wenn nicht, lesen Sie es nach – über den Schwangerschaftsabbruch waren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich glaube, wir sollten mit der Haltung von Damals auch an diese Entscheidung zum assistierten Suizid herangehen. Hätten wir damals eine andere Haltung gehabt, hätte es die jetzige Regelung in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch nicht gegeben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Entscheiden wir uns dafür, die Mitte der Gesellschaft abzubilden. 75 bis 80 Prozent der Gesellschaft sagen: Das entscheide ich, nicht der Staat. – Geben wir diesen Menschen die Möglichkeit einer offenen und ehrlichen Beratung, auch um Suizid zu verhindern.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Patrick Sensburg erhält nun das Wort.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nicht durch die Hand eines anderen sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand eines anderen.
Das sind die Worte, die Bundespräsident Horst Köhler immer wieder gesagt hat und die Bundespräsident Joachim Gauck in den letzten Tagen wiederholt hat.
Gestern haben wir nach einer erstklassigen Debatte die Stärkung des Hospiz- und Palliativwesens beschlossen. Denn wirkliche Sterbebegleitung besteht in der aufopfernden Begleitung und Pflege gerade von Menschen in schweren Situationen und eben nicht in der Herbeiführung des Todes. Das ist keine Sterbebegleitung. Dies hat auch das Forum des Bundespräsidenten gezeigt, das am vergangenen Montag in einer wirklich intensiven Diskussion mit Beteiligten – mit Patienten, engagierten Ärzten im Hospizwesen, Palliativmedizinern und Menschen in Hospizvereinen – deutlich gemacht hat, dass die Hilfe und die Bereitschaft, zu pflegen, auch über längere Zeiträume, und sich aufopfernd den Menschen zu widmen, die Hilfe brauchen, der richtige Weg ist. Deutlich wurde, dass das Wissen um die Palliativmedizin und das, was heute möglich ist, in weiten Teilen noch viel zu gering ist. Da müssen wir etwas machen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir sprechen uns daher mit unserer Gruppe für ein Verbot der Hilfe zur Selbsttötung aus, sei es aus Krankheit in der letzten Lebensphase, sei es aber auch aus anderen Gründen. Es ist zumindest in zwei Gesetzentwürfen in der Begründung enthalten, dass auch alle anderen Gründe Grundlage für eine Hilfe zur Selbsttötung sein können. Sterbehilfe darf keine Alternative zur Pflege und Sterbebegleitung sein. Daher sprechen wir uns für ein Verbot aus.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Norwegen, Finnland, Dänemark, Portugal, Spanien, Italien, Frankreich, Österreich, Griechenland, die Slowakei, Ungarn, Polen und Irland: Alle dieser Länder in Europa haben ein Verbot der Suizidassistenz. Vor gerade zwei Monaten, am 11. September dieses Jahres, hat das Unterhaus in Großbritannien mit 330 zu 118 Stimmen die Sterbehilfe für verboten erklärt. David Cameron hat in der Debatte einen Blick auf diejenigen gerichtet, die wir auch in unserer Debatte nicht vergessen dürfen, als er ausgeführt hat, der Druck auf alte, schwache und auch auf depressive Menschen würde zunehmen, wenn es kein Verbot der Sterbehilfe gäbe.
1,7 Millionen Menschen in Deutschland sind Dauerpflegefälle, die zu Hause gepflegt werden. Die Tendenz ist steigend. Statt auf Pflege, Betreuung oder Palliativmedizin zu setzen, machen die Gruppen Hintze/Lauterbach und Künast/Sitte Angst mit dem Szenario eines qualvollen Tods, dem sie die Hilfe zum Selbstmord als humane Tat gegenüberstellen. Das ist auch gerade in der Rede von Frau Künast deutlich geworden. Das ist aus meiner Sicht unseriös.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Wir haben doch gestern über Palliativmedizin gesprochen! Das haben wir doch gestern beschlossen!)
Wissen doch auch diese Gruppen, dass man heutzutage Menschen insbesondere durch gute Palliativmedizin bis hin zur palliativen Sedierung die Schmerzen nehmen kann.
Was man ihnen nicht nehmen kann, Herr Lauterbach, sind Leid, Angst und Einsamkeit. Aber das können Sie ihnen auch durch ein Sterbemittel nicht nehmen. Sie können nur durch gute Begleitung durch die Familie, Verwandte und Freunde oder durch professionelle Hilfe von Ärzten oder Pflegepersonal versuchen, dies ein wenig zu lindern. Aufgabe von Ärzten ist es übrigens, Leben zu erhalten, statt es zu beenden.
Welche Fälle meinen Sie denn, möchte ich diese beiden Gruppen fragen, wenn sie in ihrer Begründung von 100 000 Selbstmordversuchen reden, von denen 10 000 erfolgreich sind? Verstehen Sie das unter Hilfe oder unter Suizidassistenz? Ich glaube, wir müssen den Akzent so setzen, wie wir ihn gestern im Deutschen Bundestag gesetzt haben: für mehr Palliativmedizin und für einen Ausbau des Hospizwesens.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wer in diesem Rahmen Sterbehilfe gesetzlich zulässt, macht auch den Suizid zu einer normalen Handlung. Aus Studien wie gerade jetzt aus Oregon wissen wir, dass dann nicht nur die Suizidassistenzfälle, sondern auch die Suizidraten zunehmen. Nicht durch die Hand eines anderen sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand eines anderen. Hierdurch kommt die in der Verfassung verankerte Schutzfunktion des Staates gegenüber seinen Bürgern zum Ausdruck, gerade in der schwächsten Lebenssituation.
Wir brauchen Assistenz im Leben und keine Assistenz im Suizid. Darum bitte ich Sie, heute für den Gesetzentwurf der Gruppe Hüppe/Dörflinger/Sensburg zu stimmen. Denn in ihm zeigt sich wirklicher Lebensschutz.
Danke schön.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Katja Keul erhält nun das Wort.
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute fünf Alternativen zur Abstimmung. Das ist neben den vier Gesetzentwürfen die Beibehaltung der geltenden Rechtslage, für die ich hier plädieren möchte. Weil es nicht oft genug gesagt werden kann, möchte ich zu Beginn noch einmal klarstellen, worum es bei allen fünf Alternativen definitiv nicht geht. Die Tötung auf Verlangen, die sogenannte aktive Sterbehilfe, wie sie in Belgien und den Niederlanden teilweise praktiziert wird, ist und bleibt eine Straftat nach deutschem Recht, und das halte ich auch für richtig.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Herr Brand und Herr Sensburg, nehmen Sie das endlich zur Kenntnis.
Auch wer die Grenzen von der Beihilfe zur Tatherrschaft überschreitet, wie die Juristen das nennen, wird wegen eines Tötungsdeliktes zur Verantwortung gezogen, so auch die aktuelle Anklage gegen Herrn Kusch, der Anlass für die ganze Debatte sein soll. Auch wer jemandem zum Tode verhilft, der aufgrund seelischer oder geistiger Erkrankung nicht mehr zur freien Willensbildung in der Lage ist, muss sich gegebenenfalls wegen eines Tötungsdeliktes verantworten.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)
Was bleibt, ist die Straffreiheit der Beihilfe zur Durchführung eines freien, selbstbestimmten Sterbewunsches. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass die heutige Rechtslage in Deutschland zu einem signifikanten Anstieg assistierter Suizide geführt hätte. Im Gegenteil: Es geht um derart geringe Fallzahlen, dass ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf nicht erkennbar ist.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Die angebliche Rutschbahn hin zur aktiven Sterbehilfe, die mit der derzeitigen Rechtslage angeblich drohen soll, ist weit und breit nicht zu sehen.
Was aber würde passieren, wenn heute einer der Gesetzentwürfe eine Mehrheit bekommen würde? Am geringsten wäre der Schaden wohl noch bei der zivilrechtlichen Regelung im BGB. Rein formal stellt sich dabei das Problem, dass wir als Bundesgesetzgeber leider keine Gesetzgebungskompetenz für das ärztliche Berufsrecht haben und das Gesetz daher verfassungswidrig sein dürfte. Inhaltlich bleibt unklar, was mit der Wahrscheinlichkeit des Todes gemeint sein soll. Da allerdings jede Sanktion für den Fall eines Verstoßes fehlt, dürfte die Gesetzesänderung an sich wirkungslos bleiben.
Der Kollege Sensburg will hingegen konsequent alle, ob Angehörige oder Ärzte, die einem Sterbewilligen helfen, hinter Schloss und Riegel bringen. Staatsanwälte sollen danach künftig den Zwang zum Weiterleben für alle durchsetzen. Das Menschenbild, das diesem Vorschlag zugrunde liegt, ist mir so fern, dass ich keine weiteren Ausführungen dazu machen will.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Es bleiben die beiden Entwürfe, die einmal die geschäftsmäßige und zum anderen die gewerbsmäßige Suizidhilfe mit dem Strafrecht ahnden wollen. Geschäftsmäßig ist jede organisierte, auf Wiederholung angelegte Form der Sterbehilfe. Dabei reicht es wohlgemerkt, dass die organisatorische Einbettung auf eine solche Wiederholung angelegt ist, ohne dass es überhaupt eine Wiederholung sein muss. Vereinsmitglieder sind danach ebenso strafbar wie Ärzte, auch wenn die Unterzeichner des Entwurfs das immer wieder bestreiten. Jeder Arzt handelt im Hinblick auf seine Patienten immer geschäftsmäßig im Rahmen seiner Berufsausübung und würde sich damit immer einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aussetzen. Da hilft auch die Ausnahme der persönlichen Nähe nicht viel weiter, die auch der Wissenschaftliche Dienst für nicht vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot hält.
Der erbwillige Neffe hingegen, der seiner reichen Großtante Mut zuspricht, endlich den Weg freizumachen, wäre nach diesem Entwurf der Einzige, der vor Strafverfolgung sicher wäre. Dabei soll doch der angebliche Druck auf die Alten den gesetzgeberischen Handlungsbedarf begründen. Warum dieser Entwurf also gerade die professionellen Berater mit Freiheitsstrafe verfolgen will, erschließt sich mir nicht.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Besonders gefährlich: Auch die Beratung selbst kann unter den Rechtsbegriff der Beihilfe fallen. Wendet sich ein zum Sterben entschlossener Mensch an den Arzt seines Vertrauens, müsste dieser nach dem Brand’schen Gesetz unmittelbar darauf hinweisen, dass er nicht ergebnisoffen beraten darf, sondern nur Unterstützung beim Weiterleben, nicht aber beim Sterben leisten darf. Ist die Sterbende dazu nicht bereit, müsste das Gespräch unverzüglich abgebrochen werden.
Auch die Beschränkung der Strafbarkeit auf die Gewerbsmäßigkeit im Entwurf Künast/Sitte hilft da nicht weiter. Gewerbsmäßig ist alles, was nicht nur geschäftsmäßig, sondern auch zur Erzielung von regelmäßigen Einkünften erfolgt. Jeder Arzt trifft auf seine Patienten im Rahmen seiner Berufsausübung. Diesen Beruf üben Ärzte nicht ehrenamtlich aus, sondern zur Erzielung von Einkünften. Auch wenn keine gesonderte Gebühr anfällt, handeln die Ärzte im Hinblick auf ihre Patienten immer im Rahmen ihrer Berufstätigkeit, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienen, und damit gewerbsmäßig.
Fazit: Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer mit dem Gedanken tragen, ihr Leben selbst zu beenden, sollten uneingeschränkt Zugang zu ergebnisoffener Beratung und Unterstützung haben. Auf diesem Wege können sie möglicherweise auch wieder von ihrem Vorhaben Abstand nehmen. Ob diese Menschen sich ihren Angehörigen oder dem Arzt ihres Vertrauens oder aber einem unabhängigen Sterbehilfeverein zuwenden, sollte ihre Entscheidung bleiben und nicht vom Gesetzgeber vorgeschrieben werden.
Müssten die Ärzte oder Vereine im Zusammenhang mit der Tätigkeit Sorge haben, sich strafbar zu machen, würde den Betroffenen dieser Weg versperrt, und sie würden andere Wege finden – im Zweifel einsamere und grausamere Wege. Sowohl die gewerbsmäßige als auch die geschäftsmäßige Hilfeleistung muss daher im Sinne der Betroffenen straffrei bleiben.
Deswegen plädiere ich eindringlich dafür, gegen alle vier vorgelegten Gesetzentwürfe mit Nein zu stimmen. Oder um es mit Montesquieu zu sagen: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Hermann Gröhe erhält nun das Wort.
Hermann Gröhe (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn wir heute um angemessene Regelungen für die Selbsttötungsbeihilfe ringen und darüber diskutieren, dann geht es um die Frage: Wie bringen wir die Verpflichtung unserer Rechtsordnung zusammen, Würde und Leben des Menschen zu schützen und seine Selbstbestimmung zu achten? Es geht genau darum, wie wir dies zusammenbringen. Da ist es sehr legitim, zu fragen: Was darf der Staat? Dem werde ich mich gleich zuwenden.
Aber ich sage sehr deutlich: Es ist völlig unangemessen, denen, die wie ich den Entwurf der Kollegen Brand und Griese unterstützen, zu unterstellen, sie wollten den Staatsanwalt an das Sterbebett kranker Menschen senden. Es ist der bisherigen Debatte nicht würdig, mit solchen Unterstellungen zu arbeiten.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ja, es geht um die Frage: Was darf der säkulare Staat? Es ist auch davor gewarnt worden, religiöse Weltanschauung gleichsam zur Grundlage zu machen und das Strafrecht in den Dienst dieser Überzeugung zu stellen. Ich nehme diese Mahnung sehr ernst. Auch ich will dies nicht. Aber ich weise die in dieser Warnung häufig zum Ausdruck kommende Unterstellung zurück, uns sei daran gelegen. Mich motiviert in dieser Frage mein Glaube, aber inhaltlich geht es mir um die Verteidigung der Rechtsschutzorientierung unserer Verfassungsordnung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was darf der Staat? Ich plädiere für den Entwurf der Kolleginnen und Kollegen, weil er eine Regelung mit Maß und Mitte ist. Ja, ich bin der Meinung, dass es richtig ist, dass unsere Rechtsordnung zum Drama der Selbsttötung schweigt. Deswegen bin ich auch dafür, dass wir an der Straffreiheit der individuellen Selbsttötungsbeihilfe insgesamt festhalten, ohne ein Sonderstrafrecht für irgendeine Berufsgruppe.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Es ist richtig, dass unsere Rechtsordnung dazu schweigt. Aber es ist eine völlig unterschiedliche Situation, ob ein zur Selbsttötung entschlossener Mensch mit einer anderen Person über mögliche Unterstützungshandlungen redet oder ob Vereine einem unbegrenzten Adressatenkreis dies gleichsam als Dienstleistung anbieten.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Das Signal der Normalität einer Selbsttötung als Handlungsoption ist falsch.
Nun ist wiederholt gesagt worden, die Ärzte würden verunsichert. Nun hat Kollege Brand schon darauf hingewiesen, dass dies von der deutschen Ärzteschaft und den Organisationen derer, die als Palliativmedizinerinnen und -mediziner genau diese Arbeit machen, zurückgewiesen wird. Sie sagen: Dies sind notwendige Leitplanken, die unsere Beziehung zu den Patientinnen und Patienten schützen. Es ist nach dem Menschenbild gefragt worden. Was ist das eigentlich für ein Menschenbild, wenn wir glauben, die Ärzte vor ihrer eigenen Position schützen zu müssen?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn dann noch gesagt wird, wir hebelten zivilrechtlich die demokratische Festlegung aller deutschen Ärztekammern aus, dass Suizidbeihilfe keine ärztliche Aufgabe ist, dann ist das Bevormundung der Ärzteschaft.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nein, das führt in die Irre.
Dann werden extreme Fälle genannt, in denen wir die Frage stellen: Haben wir Verständnis, wenn eine Ärztin oder ein Arzt die Regelungen des Standesrechts überschreitet? Ich habe dieses Verständnis, und der Umstand, dass in keinem einzigen Fall heute eine Approbation entzogen wurde, zeigt, dass die dazu berufenen standesrechtlichen und auch staatlichen Gremien mit Augenmaß an diese Frage herangehen. Einem ethischen Dilemma trägt man mit kluger Rechtsanwendung und nicht mit fragwürdiger Rechtsaufweichung Rechnung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer eine Grenzsituation normieren will, der macht am Ende die Lösung zum Normalfall, und das darf nicht sein. Suizidassistenz ist keine Behandlungsvariante, weder ärztlicherseits noch durch Vereine. Bitte stimmen Sie für den Gesetzentwurf der Kollegen Brand/Griese.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Carola Reimann.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dr. Carola Reimann (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sterben ist etwas höchst Individuelles. Niemand kann für einen anderen nachfühlen; niemand kann das für einen anderen durchleben. Wie man am Ende sterben will, ist von eigenen Erfahrungen, tiefen persönlichen Überzeugungen und moralischen Einstellungen bestimmt. Ich bin der festen Überzeugung: Der Staat hat sich hier weitgehend zurückzuhalten.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Von diesem Grundsatz haben wir uns bei der Erstellung unseres Gesetzentwurfes leiten lassen. Es ist eine behutsame Regelung, die sich weitgehend an dem orientiert, was jetzt bereits gilt. Denn: Wie der Suizid, so ist auch die Beihilfe zum Suizid in Deutschland straffrei, und das schon seit 150 Jahren.
Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf mehr Rechtssicherheit schaffen und zugleich Freiräume erhalten. Mit der Erlaubnis der Suizidbeihilfe für Ärzte, so heißt es bei uns, beenden wir das Regelungschaos der unterschiedlichen Landesberufsordnungen und geben eine klare Botschaft an alle Betroffenen: Niemand muss ins Ausland fahren, und niemand muss sich an medizinische Laien und selbsternannte Sterbehelfer wenden. Wir wollen, dass sich Menschen in großer Not ihrem Arzt anvertrauen können, weil er den Patienten am besten kennt und weil er ihn fachlich auch am besten beraten kann.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, mit einer qualvollen, unheilbaren Krankheit zu leben. Ich weiß auch nicht, welche Entscheidung ich in diesem Fall treffen würde. Ich weiß nur: Sollte ich in dieser Situation sein, will ich für mich persönlich meinen eigenen Weg finden dürfen. Als Abgeordnete sage ich: Ich will, dass auch andere diese Freiheit haben.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir als Gesetzgeber den Menschen die Möglichkeit des ärztlich begleiteten Suizids nicht verweigern dürfen. In diesem sensiblen Bereich – wenn es darum geht, Menschen in existenzieller Not zu helfen – sollte sich der Gesetzgeber gut überlegen, welche staatlichen Eingriffe er verantworten kann. Ich bin mir sicher, in diesem Haus denken viele so.
Dazu passt auf den ersten Blick das von den Kollegen Brand und Griese so viel beschworene Bild des Wegs der Mitte; gerade ist es noch einmal angeklungen. Die Botschaft, die damit verbunden werden soll, ist klar: ein Gefühl von Maßhalten, von Ausgewogenheit und von Konsens.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist aber kein Weg der Mitte,
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
weil dieser Entwurf bei der Regelung dieses hochsensiblen Bereiches auf das Strafrecht zurückgreift und Ärzte einer ernsthaften Gefahr staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen aussetzt. Dies ist auch deswegen kein Weg der Mitte, weil dieser Entwurf mit einer 150-jährigen Tradition der straffreien Suizidbeihilfe bricht.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus ist dies kein Weg der Mitte, weil dieser Entwurf die Entscheidungsfreiheit am Lebensende einschränkt, obwohl eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger – wir haben viele Gespräche in diesem Bereich geführt – diese Entscheidungsfreiheit wünscht. Dieser Entwurf würde gravierende Konsequenzen haben, und darüber können auch beruhigende Bezeichnungen nicht hinwegtäuschen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Liebe Kollegen Brand und Griese, während der gesamten Debatte konnten Sie die Sorgen der Ärztinnen und Ärzte vor staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht überzeugend ausräumen.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)
Im Gegenteil, die Zweifel sind größer geworden. Immer wieder melden sich besorgte Mediziner zu Wort, in den Veranstaltungen, auf den Podien und in den letzten Wochen verstärkt auch in den Medien. Die Verunsicherung ist greifbar.
Ich verstehe nicht, warum Sie diese Sorgen nicht aufgegriffen haben und mit einem Änderungsantrag die Ärzte von Ihrer Regelung ausgenommen haben.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Das haben Sie nicht getan, und damit nehmen Sie in Kauf, dass sich Ärzte von ihren Patienten zurückziehen, um strafrechtliche Ermittlungen zu vermeiden.
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für den Entwurf Hintze/Reimann/Lauterbach, der sich an der jetzigen Rechtslage orientiert, mehr Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten schafft und damit dieses Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, das so wichtig ist, stärkt.
Zudem gibt es natürlich die Möglichkeit, für die jetzige Rechtslage einzutreten, wie es auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Professorin Woopen, empfiehlt. In diesem Fall müssen Sie bei allen Entwürfen mit Nein stimmen.
Kolleginnen und Kollegen, der Bundestag hat heute die Chance, nach einer langen intensiven Debatte ein starkes Zeichen gegen eine Verschärfung des Strafrechts und für die Selbstbestimmung zu setzen. Es wäre auch ein starkes Zeichen des Vertrauens in unsere Ärzte und vor allem ein Zeichen des Vertrauens in unsere Bürgerinnen und Bürger, die am Ende ihres Lebens Entscheidungsfreiheit wollen. Ich finde, sie haben unser Vertrauen verdient.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Sitte.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Antike geboren, entwickelte sich über Jahrhunderte die Idee, dass der Mensch über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist souverän ist.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Er besitzt in seiner Natur begründete angeborene Rechte. Im 19. Jahrhundert fand diese Idee Eingang in die deutsche Rechts- und Verfassungsgeschichte. Danach kann der Rechtsstaat diese Rechte nicht etwa verleihen; nein, meine Damen und Herren, er hat sie zu garantieren.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Insbesondere auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes, obwohl sie alle anderen Gründe gehabt hätten, haben großen Wert auf die Souveränität des Individuums gelegt.
Ich frage mich nun also: Was ist in den letzten Jahren in diesem Land passiert, dass ein Teil des Parlaments meint, jetzt so massiv in diese Souveränität eingreifen zu müssen?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Gibt es irgendeinen wissenschaftlich untersuchten Beweis für die Notwendigkeit? Nein. Es ist vorhin schon gesagt worden: Es gibt keinen. – Das wissen Sie so gut wie ich. Nicht zuletzt wegen dieses Umstands hat die letzte Bundesregierung ihren damaligen Gesetzentwurf zurückgezogen.
Als Hauptgründe für eine Strafrechtsverschärfung hört man nun:
Erstens heißt es, die Rechtslage der Ärzte sei unklar. Je nach Landesärztekammer – das stimmt – ist sie im Standesrecht verschieden geregelt: Das geht von „keine Regelung“ bis zum Verbot. Dabei könnte das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts von 2012 für Klarheit sorgen. Es heißt dort – ich zitiere –:
Der ärztlichen Ethik lässt sich kein klares und eindeutiges Verbot der ärztlichen Beihilfe zu Suizid in Ausnahmefällen entnehmen.
Damit ist alles gesagt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens stehen Sterbehilfevereine in der Kritik. Roger Kusch mit Sterbehilfe Deutschland gilt als das schwarze Schaf. Nur, mit ihm beschäftigen sich regelmäßig Ermittlungsbehörden und Gerichte. Also: Unser Rechtsstaat funktioniert doch hier augenscheinlich ziemlich gut, auch ohne strengere Gesetze.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Vereine Dignitas oder Exit bieten Suizidassistenz an, aber nach Schweizer Recht, nicht nach deutschem Recht. Da haben wir gar nicht einzugreifen. Sie sind also schon jetzt streng reguliert. Andere Sterbehilfevereine, meine Damen und Herren, gibt es in Deutschland gar nicht.
Was es aber schon gibt, ist die Sorge, dass sich Vereine neu bilden könnten. Die Gesetzentwürfe der Gruppen um Herrn Hintze bzw. um Frau Künast nehmen diese beiden Punkte ernst. Wir stellen aber nicht die Selbstbestimmung der Menschen infrage. Wir wollen wegen diffuser Besorgnisse nicht in Grundrechte eingreifen. Ursprünglich wollten wir eigentlich an der Rechtslage auch gar nichts ändern. Aber unsere Entwürfe sind jetzt vor dem Hintergrund einer Verbotsdebatte auch in dem Geist entstanden: besser den bewährten Rechtszustand schützen, als der Bevölkerung, auch der konfessionell gebundenen Bevölkerung, gegen ihren mehrheitlichen Willen das Strafrecht aufzuzwingen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Rechtfertigen nun die gefühlten oder geglaubten Gründe für ein Verbot oder für eine massive Einschränkung der Sterbehilfe wirklich eine solch historische Mission, dass der 18. Deutsche Bundestag der Meinung ist, Normen und Werte einer Jahrhunderte andauernden liberalen Tradition durch eine Strafrechtsverschärfung über Bord werfen zu dürfen? Das entspräche vielleicht den theologischen Vorstellungen der großen Religionsgemeinschaften. Aber wir, meine Damen und Herren, sind das Parlament eines säkularen Staates.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Menschen in diesem Land wollen ihre Sinnwelten und ihre Selbstbestimmung leben. Der Bundestag würde mit einem Verbot oder mit einer Strafrechtsverschärfung essenziell Selbstbestimmungsrechte aus Artikel 1 des Grundgesetzes einschränken, und zur Würde des Menschen gehört eben nicht nur sein Leben und dessen selbstbestimmte Gestaltung, sondern es gehören auch Sterben und Tod dazu. Wieso soll es in diesen Phasen anders sein?
Wieso, so frage ich Sie, meine Damen und Herren, die Sie für eine Strafrechtsverschärfung sind, haben Sie bei solchen Entscheidungen ein solch tiefes Misstrauen gegenüber den Menschen in diesem Land? Wieso sollen diese nicht sehr bedacht genau darüber viele Jahre nachgedacht haben, aus ihrer konkreten Situation heraus mit Angehörigen geredet haben usw.?
Und schließlich: Wieso glauben Sie, meine Damen und Herren, dass nachfolgende Generationen nicht genauso mit den Freiheiten umgehen können, die uns die gültige Rechtslage seit über 140 Jahren bietet? Wenn sich bis heute keine gravierenden Fehlentwicklungen eingestellt haben, warum bitte sollen nachfolgende Generationen verantwortungsloser als wir entscheiden?
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Auch deshalb sei gesagt: Eines Verbots- oder Verschärfungsgesetzes bedarf es nicht. Deshalb werbe ich dafür: Begegnen Sie dem Verbotsentwurf der Gruppe um Herrn Sensburg und der unverhältnismäßigen Strafrechtsverschärfung der Gruppe um Herrn Brand und Frau Griese mit einem Nein!
Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Veronika Bellmann ist die nächste Rednerin.
Veronika Bellmann (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sterben gehört zum Leben dazu. Die Diskussion um das Hospiz- und Palliativgesetz gestern und um die Sterbehilfe heute hat dieses Thema gewissermaßen enttabuisiert, auch die Frage, wie weit Fremdhilfe und Selbstbestimmung gehen dürfen. Das hat verfassungsmäßige Grenzen.
Verfassungsrechtlich sicher ist der Gesetzentwurf Sensburg/Dörflinger/Hüppe, weil er keine rechtlichen Grauzonen bietet. Wir stellen klar, dass Suizid und Beihilfe zum Suizid verschiedene Rechtsgüter sind. In anderen Gruppenentwürfen wird darauf abgestellt, dass Selbsttötung nicht strafbar ist und Beihilfe demnach auch nicht. Der Suizid betrifft aber das eigene Leben, Suizidbeihilfe ein fremdes Leben. Deswegen ist es für uns eine strafbare Handlung. Lediglich der Abbruch nicht indizierter medizinischer Behandlungen und vom Patienten gewünschte Behandlungsabbrüche bleiben straffrei. Wir kennen das von der Patientenverfügung.
Suizidbeihilfe bedeutet für uns Gefahr für den Lebensschutz. Schon ein kurzer Blick in die Suizidforschung zeigt, dass Selbstmordabsichten meist Hilferufe sind. Sie fragen nicht nach Beendigung des Lebens, sondern sie verdeutlichen den Wunsch nach Beendigung des Leidens. Oftmals ist es auch die Angst der Menschen vor unerträglichen Schmerzen und vor Einsamkeit. Sie ist dann so groß, dass sie die Angst vor dem Sterben überlagert.
Die Angst vor dem Sterben können wir niemandem nehmen. Aber wir können Schmerzen lindern und Einsamkeit verhindern. Für beides haben wir die richtigen, wenn auch noch sehr ausbaufähigen Hilfsangebote. Ich spreche von ambulanter und stationärer Palliativmedizin und von Hospizbetreuung. Zuallererst den Gründen von Selbsttötungsabsichten durch menschliche Zuwendung und beste medizinische Versorgung entgegenzutreten, dafür sollten wir unsere ganze Zeit, Kraft und Energie aufwenden,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
statt zuerst darüber nachzudenken, wie wir das Helfen beim Selbsttöten irgendwie rechtlich absichern können, und den Menschen noch zuzureden, Selbstmord sei das gute Recht ihrer Selbstbestimmung. Zum Leben zu verhelfen, ist immer besser, als zum Sterben zu verhelfen.
Gute Palliativ- und Hospizversorgung und die Unterstützung pflegender Angehöriger verhindert sehr oft den Wunsch nach Suizid. Da weiß ich, wovon ich rede. Ich habe mich schon frühzeitig mit dem Thema Kinderhospiz beschäftigt, in meinem Wahlkreis das erste stationäre Hospiz auf den Weg gebracht, und in meiner Familie haben wir erst den Vater gepflegt, bis er zu Hause verstarb, und begleiten nun die Mutter auf dem letzten Stück ihres Lebensweges. Sowohl unsere Hospizpatienten als auch meine Mutter geben uns deutlich zu verstehen, wie gut ihnen Zuwendung medizinischer und menschlicher Art tut. Was die Hospizmitarbeiter und Angehörigen – in meinem Falle vorwiegend meine Schwester – mit ganzer Hingabe tun, rettet Menschenleben.
Und: Ja, auch das Leben mit einer unheilbaren Krankheit und in der Schwäche des Alters ist noch lebenswert. Wenn ich aber den Willen zum Leben dem Sterbewillen unterordne und noch eine medizinische Assistenz in Aussicht stelle, dann kann an die Stelle des Willens zum vorzeitigen Sterben schleichend mutmaßlicher Wille und irgendwann das gesellschaftliche Sollen treten. Das wäre ein Dammbruch, weil dann Suizid zur Normalität werden kann.
Es behaupte keiner, dass ich hier Schwarzmalerei betreibe. Schauen wir in eines unserer Nachbarländer, die Niederlande. Dort ist Sterbehilfe seit 14 Jahren erlaubt. Der Niederländer Gerbert van Loenen hat ein Buch über Sterbehilfe in den Niederlanden geschrieben. Als sein Partner infolge einer Operation wegen eines Hirntumors im 32. Lebensjahr schwerbehindert wurde, stellten Freunde dessen Lebensrecht infrage:
Es kamen sehr brutale Sprüche. Ein Freund meinte: „Niek
– so hieß der junge Mann -
wäre besser tot gewesen. Das ist doch kein Leben mehr.“
Und zum Patienten selbst sagte jemand:
Es ist deine Wahl, weiterzuleben. Dann sollst du auch nicht meckern.
Van Loenen sagt dazu:
Man sagt: „Na ja, in solch einer Lage will man ja nicht leben.“ Und daraus wird geschlossen: Wer in dieser Lage ist, sollte besser tot sein. Wenn sich jemand umbringt, gibt es Verständnis, wenn er weiterleben möchte, nicht. …
… und die Entwicklung geht immer weiter. Auch unerträgliches psychisches Leid reicht als Begründung für Tötung auf Verlangen. Vor einigen Monaten wurde das Leben einer Frau beendet, die unter Mysophobie, krankhafter Angst vor Ansteckung, litt.
Keiner möge behaupten, das wird es in Deutschland nicht geben. Beim Tod meines Vaters bekam ich gesagt, dass wir nun froh sein könnten, dass es zu Ende und dass es ja ein notwendiger Tod gewesen sei. Mein Vater war mit 67 Jahren zu Hause nach vorzeitiger Demenz verstorben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie achten bitte auch auf die Zeit.
Veronika Bellmann (CDU/CSU):
Oder nehmen wir das Beispiel vom Beginn des Lebens, wenn Eltern mit behinderten Kindern angesprochen werden. Kollege Hüppe kann davon ein Lied singen. Erst kürzlich wurde er von Dr. Hanjo Lehmann, Mitglied des Deutschen Schriftstellerverbandes und der Arbeitsgemeinschaft Ärztliche Sterbehilfe, kontaktiert. Er sagte: „Dein Sohn, der behindert ist, wird dich irgendwann fragen: Vater, warum lebe ich? Ich will sterben. Ich bin der Welt doch nur eine Last.“ Der Tod gehört zum Leben, aber die Selbsttötung darf nicht zur Normalität und der assistierte Suizid nicht zum selbstverständlichen Angebot werden, für das womöglich noch ein Rezept ausgestellt wird.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.
Veronika Bellmann (CDU/CSU):
Ich komme zum letzten Satz. Ärzte sind Lebens- und keine Sterbehelfer. Unser Antrag ist deshalb eine klare Wertentscheidung für das Recht auf Leben. Der Philosoph Robert Spaemann sagt – -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das war jetzt der letzte Satz, Frau Kollegin.
Veronika Bellmann (CDU/CSU):
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sütterlin-Waack.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nicht immer sind wir Parlamentarier in der Situation, dass unsere Meinung mit der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung übereinstimmt. Bei unserem Antrag ist das weitgehend so. Nach einer letzten Umfrage aus dem Juni 2015 befürworten 81 Prozent der Bevölkerung Sterbehilfe, 43 Prozent gar die aktive Sterbehilfe. Aktive Sterbehilfe, das möchte ich betonen, spielt in unserer Debatte keine Rolle.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ebenfalls hohe Zustimmungsraten dokumentieren Umfragen, ob private Sterbehilfeorganisationen in Deutschland erlaubt sein sollen.
Im parlamentarischen Verfahren, das wir heute, nach einem Jahr verantwortungs- und wertvoller Diskussion, abschließen wollen, haben alle vier Gesetzentwürfe zur Sterbebegleitung Kritik erfahren. Auf Einzelheiten muss ich hier nicht mehr eingehen. Sie wurden hinlänglich, auch heute, erörtert.
Wir beantragen dagegen, festzustellen, dass neue Straftatbestände hinsichtlich der Sterbehilfe nicht erforderlich sind.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Es sollte bei der jetzigen Rechtslage bleiben: Beihilfe zum Suizid bleibt straffrei, die Tötung auf Verlangen ist weiterhin strafbewehrt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer die Grenze von der Hilfeleistung zur Tatherrschaft überschreitet, muss mit strafrechtlichen Ermittlungen rechnen. Das gilt selbstverständlich auch für die relativ neuen Sterbehilfevereine. Unser Rechtsstaat hat die notwendigen Instrumente. Ermittlungen erfolgen derzeit, wie wir alle wissen. Es gibt dazu eine gefestigte Rechtsprechung.
Ich habe Verständnis für diejenigen, die Sterbehilfevereine ablehnen, sei es aus moralischen Gründen, aber auch deswegen, weil sie eine Sogwirkung befürchten. Bis jetzt sprechen die Zahlen nicht für eine Sogwirkung. Von 100 000 Selbstmordversuchen im Jahr werden circa 10 000 beendet. Im Jahr 2014 hat die Sterbehilfe Deutschland – wir haben es schon gehört: die einzige Sterbehilfeorganisation in Deutschland – 44 Suizidbegleitungen durchgeführt. Das sind 0,4 Prozent aller Suizide.
Von einer Sogwirkung kann meines Erachtens auch deswegen nicht gesprochen werden, da die Selbstmordzahlen insgesamt von 18 000 in 1980 auf 10 000 in 2014 gesunken sind, und das obwohl wir seit dem Jahr 2008 Sterbehilfevereine in Deutschland haben. Auch verstärkte Suizidprävention und bessere Palliativversorgung können ein Grund für die gesunkenen Zahlen sein.
Ich weiß, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass viele Gegner der Sterbehilfevereine befürchten, dass mit dem Tod Geschäfte gemacht werden.
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Wird schon!)
Ich gebe allerdings zu bedenken, dass eingetragene Vereine keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgen dürfen und ihnen bei Zuwiderhandlung der Vereinsstatus entzogen wird. Verstehen Sie uns bitte nicht falsch: Auch für uns haben sämtliche Hilfen und Beratungsangebote selbstverständlich Vorrang. Die Palliativmedizin muss weiter ausgebaut werden.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Aber, meine Damen und Herren, wir halten die uneingeschränkte Entscheidungsmöglichkeit eines jeden Einzelnen am Ende seines Lebens für so wichtig, dass wir keine Strafbarkeit des assistierten Suizids möchten.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, eindringlich darum, noch einmal zu überlegen, ob wir zum jetzigen Zeitpunkt wirklich Gesetzesänderungen brauchen. Sollte heute kein Gesetzentwurf eine Mehrheit bekommen, dann heißt das nicht, dass wir uns die Debatten, Arbeitstreffen und Anhörungen der letzten zwölf Monate hätten sparen können. Wir haben hier keine nutzlosen Debatten im Parlament und in der Gesellschaft geführt; denn wir haben mit der Diskussion, mit dem Austausch von weltanschaulichen Standpunkten, von ethischen und juristischen Fragen dazu beitragen, dass das Thema Tod, Leid und Sterblichkeit ein Stück mehr enttabuisiert wurde. Auch das ist ein Erfolg.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Bei jeder Diskussion, die ich zu diesem Thema bestritten habe, habe ich zitiert, was uns unser Bundestagspräsident Lammert bei der Orientierungsdebatte mit auf den Weg gegeben hat. Ich darf Sie, sehr geehrter Herr Präsident, zitieren:
Dabei wird der Gesetzgeber seine ganze Sorgfalt nicht nur der Frage widmen müssen, wo es zwischen individueller Selbstbestimmung auf der einen Seite und ärztlicher Verantwortung auf der anderen Seite Handlungs- und Regelungsbedarf gibt, sondern auch, ob überhaupt und wie dieser Handlungsbedarf in allgemeinverbindlichen gesetzlichen Regelungen überzeugend gelöst werden kann.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Elisabeth Scharfenberg ist die nächste Rednerin.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserer Gesellschaft leben immer mehr ältere und pflegebedürftige Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen, die alleine leben, Menschen, die durch ihre Lebensumstände sehr verletzlich geworden sind und deshalb unseren besonderen Schutz brauchen. Wie aufgehoben sich diese Menschen in unserer Gesellschaft fühlen, das ist auch vom Ausgang der heutigen Debatte abhängig.
In unseren Diskussionen und Reden ist viel von Selbstbestimmung die Rede. Selbstbestimmung ist aber keine Einbahnstraße. Selbstbestimmung braucht Bedingungen, unter denen eine freie Entscheidung möglich ist.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich bezweifle, dass das bei den meisten Suiziden – assistiert oder nicht – der Fall ist.
Wenn wir genauer hinschauen, warum vor allem ältere Menschen aus dem Leben scheiden wollen, dann sehen wir, dass sie niemandem zur Last fallen wollen. Sie haben Angst, Dinge nicht mehr allein tun zu können. Sie haben Angst, dement zu werden. Sie haben Angst vor Pflegebedürftigkeit. Viele leiden unter chronischen Schmerzen, unter versteckten Altersdepressionen, und viele sind einfach nur sehr, sehr einsam.
Seelische Erkrankungen oder akute Krisen sind oft die Gründe für den Wunsch, sich das Leben zu nehmen. Oft ist das Verlangen nach einem Suizid ein Hilferuf, der an uns gerichtet ist: Wende dich doch endlich mir zu! Siehst du denn überhaupt nicht, wie ich leide? – Diese Menschen wollen nicht um jeden Preis sterben. Diese Menschen befinden sich einmalig in einer Situation, aus der sie in dieser Situation keinen Ausweg wissen. Als Sozialarbeiterin habe ich mehr als nur einmal Menschen in solchen Situationen erlebt und begleitet; ich weiß durchaus, wovon ich hier rede.
Suizid ist nicht eine Option im Leben, die gleichberechtigt neben anderen steht. Und genau darum geht es in unserem Gesetzentwurf: Suizidbeihilfe darf keine normale Dienstleistung werden. Suizidbeihilfe darf nicht alltäglich oder normal für unsere Gesellschaft sein.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Wir fürchten: Wo es ein Angebot gibt, gibt es auch eine Nachfrage, und wenn etwas gesetzlich geregelt ist und häufiger praktiziert wird, erweckt es den Eindruck von Normalität, von Unbedenklichkeit.
Die schleichende Normalisierung der Sterbehilfe beschrieb der niederländische Medizinethiker Theo Boer in der letzten Woche sehr eindrucksvoll in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Da sagte er: Die Zahl der assistierten Suizide in den Niederlanden steigt, trotz guter Palliativversorgung. Die Enttabuisierung, die Normalität von Sterbehilfe, lässt die Kritik daran verstummen. Die Dienstleistung Sterbehilfe wird immer seltener infrage gestellt. Daraus entsteht ein Druck bei den Menschen, diese Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. – Die steigende Zahl der assistierten Suizide in den Niederlanden zeigt: Das sind keine vagen Vermutungen.
Die organisierte Sterbehilfe suggeriert uns: Wir haben eine ganz einfache Lösung für all eure Probleme; das Erbe für die Kinder und die Enkel muss nicht für die teure Pflege aufgebracht werden. – Woher das Zweifeln am Leben kommt, darum muss sich dann keiner mehr kümmern, da muss keiner mehr nachforschen.
In der aktuellen Debatte wird häufig das Gefühl vermittelt, dass Alter, Schwäche, Demenz oder Pflegebedürftigkeit Zustände sind, die einem Menschen die Würde nehmen. Das möchte ich ganz klar zurückweisen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Es gibt kein würdeloses Leben, auch nicht in der Demenz. Wir machen es nur würdelos, wenn wir den Menschen nicht verstehen, wenn wir den Menschen degradieren, wenn wir über ihn reden anstatt mit ihm. Es ist nicht würdelos, auf Hilfe angewiesen zu sein. Es ist nicht würdelos, sich von anderen Menschen pflegen zu lassen.
Noch ein Missverständnis möchte ich aufklären: Unser Gesetzentwurf ändert nichts an der Tatsache, dass der Suizid in Deutschland straflos ist. Er ändert nichts daran, dass Menschen, die einem anderen beim Suizid helfen, in der Regel ebenfalls straflos bleiben. Unser Gesetzentwurf schränkt die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen nicht ein.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Das gilt auch für Ärzte. Wenn Ärzte im Einzelfall Hilfe beim Suizid leisten, so machen sie es doch nicht zum regelmäßigen Mittelpunkt ihrer Tätigkeit und bleiben somit nach unserem Gesetzentwurf straflos; das wurde in der Anhörung im Rechtsausschuss bestätigt. Dies gilt auch für die Palliativärzte. Das ist auch der Grund, warum gerade der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband und die Deutsche PalliativStiftung unseren Vorschlag ausdrücklich unterstützen.
Sterben ist etwas sehr Individuelles – ob es sich um Suizid handelt oder nicht. Wir dürfen es nicht in die Hände irgendwelcher Organisationen legen. Darum ist es auch keine Lösung, einfach gar nichts zu tun. Und wir sollten das Sterben auch nicht komplett durchregeln. In diesem Sinne bitte ich Sie sehr herzlich um Unterstützung unseres Gesetzentwurfs, den ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen Kerstin Griese, Michael Brand, Kathrin Vogler, Harald Terpe und anderen entwickelt habe.
Danke schön.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile der Kollegin Dagmar Wöhrl das Wort.
Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder von uns hat sich mit dem Thema Sterbehilfe anders auseinandergesetzt. Wir haben auf allen Ebenen respektvoll miteinander diskutiert. Viele von uns haben persönliche Erfahrungen mit diesem Thema gemacht, auch ich. Viele haben Hospize besucht. Ich habe in einem Hospiz gearbeitet, um noch näher an diesem Thema dran zu sein. Ich habe auch viel gelesen.
Eine Geschichte ist mir besonders präsent. Ein junger Patient auf einer Palliativstation litt wegen eines unheilbaren Tumors unter starken Schmerzen. Die Beschwerden konnten gelindert werden. Nach einer Woche konnte er entlassen werden. Er hat sich beim palliativmedizinischen Team bedankt, ging nach Hause und nahm sich das Leben. Das Team war total entsetzt und hat sich gefragt: Warum hat er uns nicht gesagt, dass er Probleme hat? Die Schwester des Patienten, der er sich vorher anvertraut hatte, fragte ihn: Warum hast du nicht mit den Palliativmedizinern gesprochen? Die erschütternde Antwort war: Um Gottes willen! Die Ärzte und Pfleger waren so gut zu mir, ich wollte sie nicht in Schwierigkeiten bringen.
Jeder versteht, dass man gegen die dubiosen – und das sind sie – Sterbehilfevereine vorgehen will, aber es ist wichtig, wie man dieses Ziel erreicht. Nicht alles, was gut gemeint ist, ist der richtige Weg.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die meisten Menschen entscheiden sich bewusst gegen Sterbehilfevereine, sie entscheiden sich für eine Begleitung durch die Ärzte, durch die Pfleger und durch die Angehörigen.
Die Debatte heute könnte von historischer Bedeutung sein, und zwar deswegen, weil Beihilfe zu einer straflosen Haupttat zukünftig unter Strafe gestellt werden soll. Das ist ein Systembruch nach 150 Jahren erfolgreicher Strafrechtsgeschichte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Voraussetzung für geschäftsmäßigen Suizid – bei „geschäftsmäßig“ denkt man an Geschäft; jemand will viel Geld verdienen – ist die Wiederholungsabsicht. Im Gesetzentwurf von Brand/Griese heißt es, eine Wiederholungsabsicht könnte bereits bei einer einmaligen Hilfe zum selbstbestimmten Sterben gegeben sein. Das heißt, dass Ärzte und Pfleger, die regelmäßig Sterbende begleiten, der konkreten Gefahr staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ausgesetzt sind. Das ist Fakt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie müssen mit Befragungen und Ermittlungen rechnen. Ich frage Sie: Welcher Arzt geht ein solches Risiko ein? Er wird sich von seinem Patienten entfernen. An wen sollen sich die Patienten dann wenden, wenn sie Suizidgedanken haben, wenn sie Hilfe brauchen? Wir sagen doch immer: Es ist schon lebensbejahend, wenn du weißt, dass du dich an jemanden wenden kannst, dem du deine Sorgen und Empfindungen anvertrauen kannst. Das ist doch Suizidprävention! Ist das nicht der Fall, dann sieht sich der Patient einer anonymen Entscheidungswelt gegenüber, und er hat niemanden mehr, dem er sich anvertrauen kann.
Die Diskussion ist auch historisch, weil eigene Anschauungen in Bezug auf Ethik und Moral gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung mittels Strafrecht durchgesetzt werden sollen. Wir müssen uns die Frage stellen: Haben wir als Bundestagsabgeordnete wirklich das Recht, Menschen ohne Not in ihrer Entscheidung in einem so persönlichen Lebensbereich einzuschränken?
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich kann nur sagen: Keiner meiner Wähler hat mir das Recht übertragen, zu entscheiden, wie er zu sterben hat.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Das Strafrecht ist das schärfste Schwert, das ein Staat hat. Das Strafrecht soll nur angewendet werden, wenn es um die Gefährdung von Rechtsgütern geht. Aber wie ist denn die Situation an unseren Krankenbetten in Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen? Die konstant niedrigen Fallzahlen in den Ländern, in denen ärztlich assistierter Suizid Gott sei Dank erlaubt ist, belegen eindeutig, dass es die behauptete Gefährdung von Rechtsgütern nicht gibt.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Die meisten Menschen empfinden, dass es sich hier um einen illegitimen Übergriff des Staates handelt. Ich muss sagen: Mir persönlich widerstrebt es, die existenzielle und höchst intime Ausnahmesituationen am Lebensende auf die Ebene der öffentlichen Regulierung zu hieven.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Gesetzgeber sollte sich hier zurückhalten und die Menschen ihr eigenes Leben so gestalten lassen, wie sie es für richtig halten.
Ich glaube, diese Debatte kann eine historische Debatte sein, wenn wir aus den Erfahrungen, die wir in den Diskussionen der letzten Monate gesammelt haben, ableiten, dass wir unsere eigenen, persönlichen Ansichten zurücknehmen, dass wir die Grenzen unseres Mandates nicht überschreiten, dass wir auch den Staat in seine Grenzen verweisen und die Selbstbestimmung über die Fremdbestimmung stellen.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Danke für die Debatte. Ich sage aber auch: Nein danke für das Ergebnis.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Kai Gehring erhält nun das Wort.
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute über die weitreichende Frage, ob es zu einer Kriminalisierung der seit 150 Jahren straflosen Suizidhilfe kommt.
Der Brand/Griese-Entwurf bringt Ärzte in die Gefahr der Strafverfolgung und belastet das gerade am Lebensende besonders wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient schwer.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus)
Ich will keine Verbotsgesetze und keine Bevormundung im Bereich der Sterbehilfe; denn zu einem selbstbestimmten Leben gehört auch ein selbstbestimmter Tod. Die allermeisten Menschen von jung bis alt in unserem Land sagen: Mein Ende gehört mir. Diesen Kern der Selbstbestimmung haben wir als Gesetzgeber zu respektieren. Über die Köpfe von Sterbewilligen hinweg zu entscheiden, finde ich inhuman.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Wir als Mitglieder des Bundestages haben nicht das Recht dazu, Sterbewillige zu zwingen, ihren schweren Leidensweg bis zum Ende zu gehen. Das scharfe Schwert des Strafrechts ist die Ultima Ratio unseres Rechtsstaates. Es zu nutzen, obwohl es kein gravierendes, kein empirisch belegtes Phänomen gibt, ist unverantwortlich. Die Suizidhilfe ist seit 150 Jahren erlaubt und kein Problem. Brand, Griese und Sensburg warnen vor Gefahren, die es schlichtweg so nicht gibt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Alle Warnrufe halte ich nicht für plausibel, sondern für Angstschürerei und Horrorszenarien. Die Keule des Strafrechts für einzelne existenzielle und intime Ausnahmesituationen am Lebensende zu schwingen, halte ich daher für unangemessen. Brand, Griese, Sensburg wollen den bösen Herrn Kusch treffen, treffen aber alle Ärzte und Sterbehelfer in unserem Land, und das ist problematisch.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Haus – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist ja widerlegt!)
Eine Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidhilfe führt dazu, dass Ärzte, die viele totkranke Patienten behandeln und nur in seltenen Fällen Suizidhilfe leisten, künftig mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen rechnen müssen; denn „geschäftsmäßig“ bedeutet: ohne finanzielle Interessen mit Wiederholungsabsicht zu handeln. Eine Wiederholungsabsicht kann bereits nach einmaliger Suizidhilfe unterstellt werden. Jeder Anfangsverdacht macht zum Beispiel einen Palliativmediziner zu einem Fall für die Strafverfolgungsbehörden, und das können wir nicht ernsthaft wollen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber das Horrorszenario!)
Der Wunsch eines qualvoll Sterbenden nach Suizidhilfe wird durch den Entwurf von Künast, Sitte und mir genauso abgesichert und geschützt wie durch den Entwurf von Hintze, Reimann und Lauterbach. Auch eine Beibehaltung der geltenden Rechtslage würde diesem Ziel gerecht.
(Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Meistens!)
Unsere Gesetzentwürfe sichern Sterbewilligen und Ärzten ein Höchstmaß an Selbstbestimmung, Straffreiheit und Rechtssicherheit. Wir brauchen Freiheit für Gewissensentscheidungen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU])
Für mich sind übrigens die Wünsche des Sterbenden maßgeblich, nicht die der Kirchen. Gerade in unserem religionsneutralen, säkularen und pluralistischen Staat haben religiöse Erwägungen im Strafrecht nichts zu suchen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Sterbewillige in größter Not benötigen Fürsorge, Zuwendung, helfende Hände und ergebnisoffene Gespräche. Deswegen will ich, dass das Spektrum der letzten Hilfe beim freiverantwortlichen Suizid weitgehend so erhalten bleibt, wie es ist. Die Behauptung, Suizidbeihilfe werde zum medizinischen Regelangebot, ist hanebüchen. Suizidhilfe bleibt eine ärztliche Gewissensentscheidung. Die Initiative geht vom notleidenden Menschen aus. Kein Drängen, kein Profit – Punkt.
Letzte Hilfe dagegen auf Familienmitglieder zu begrenzen, ist unerträglich restriktiv. Menschen, die keine Angehörigen haben oder kein Vertrauensverhältnis zu ihren Verwandten, müssen mit einem Arzt über letzte Hilfe sprechen können und ihn gegebenenfalls um Suizidassistenz bitten können. Menschen den Sterbewunsch zu verwehren, ihnen auch das Gespräch zu verwehren und ihre möglichen Assistenten zu kriminalisieren, halte ich für unethisch.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Wer keine Angehörigen hat oder sie nicht um letzte Hilfe bitten kann, darf nicht alleingelassen werden.
Aus all diesen Gründen bitte ich Sie: Stimmen Sie für Gesetzentwürfe, die Straffreiheit und Selbstbestimmung sichern, und sagen Sie Nein zu Brand/ Griese. Hören Sie auf die überwältigende Mehrheit deutscher Strafrechtsprofessoren, auf die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, auf große Teile der Ärzteschaft und Palliativmediziner und vor allem auf unsere Bevölkerung. Die Menschen, ob Christ oder konfessionslos, wollen ihr Leben so gestalten, wie sie es für richtig halten. Stimmen Sie also für Gesetzentwürfe der Vernunft und für die gesellschaftliche Mehrheit.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bettina Hornhues ist die nächste Rednerin.
Bettina Hornhues (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In einer intensiven Debatte der vergangenen Monate fand eine umfangreiche Meinungsbildung und Meinungsschärfung statt, und dies nicht nur bei uns Parlamentariern. Selten wurde in der breiten Öffentlichkeit über ein Thema mit so viel Engagement diskutiert. Dies zeigt, dass es sich heute nicht nur um eine politische, sondern vor allem auch um eine ethische Diskussion handelt.
Ich persönlich habe mich nach intensiver Diskussion und gründlicher Abwägung entschlossen, dass ich den Gesetzentwurf der Kollegen Dr. Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger unterstütze; denn dies ist der einzige Gesetzentwurf, der sich gegen eine Legalisierung ausspricht. Die anderen Entwürfe, die heute zur Abstimmung stehen, legalisieren die Suizidbeihilfe von Angehörigen und Ärzten und unterscheiden sich nur in den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Es darf meiner persönlichen Meinung nach keine Freigabe der Sterbehilfe in irgendeiner Form geben, vor allem aber keine kommerzielle und keine geschäftsmäßige Sterbehilfe. Hilfe beim Sterben und nicht Hilfe zum Sterben, den Tod begleiten und nicht herbeiführen – dieser Leitsatz steht für mich an erster Stelle. Den Grund möchte ich Ihnen gerne erläutern.
Als Arzttochter bin ich ein Leben lang von den Themen „Krankheit“ und „Tod“ begleitet worden. Es gab viele Patientenfälle, die meine Eltern aufgrund ihrer Schwere weit über das normale Patientengespräch hinaus beschäftigten. Aber eines kam für meine Eltern nicht infrage: dem Tod nachzuhelfen, war das Leid des Patienten noch so groß. Stattdessen wurden die Patienten begleitet, ihnen das Leiden erleichtert, psychologisch und therapeutisch, immer auf dem modernsten Stand wie bei vielen ihrer Standeskollegen.
Ich spreche mich gegen die Straffreiheit aus. Denn nicht nur ich stelle mir die Frage, wo bei einer Legalisierung die Grenze ist. Wird die Hemmschwelle so weit gesenkt, dass Suizid dann plötzlich hoffähig wird? Ein Artikel in der FAZ hat jüngst genau diese These bestätigt. Seit der Legalisierung der Tötung auf Verlangen und des assistierten Suizids in den Niederlanden ist die Hemmschwelle zur Selbsttötung stetig gesunken. Die Zahlen in den Niederlanden sprechen eine deutliche Sprache. Waren es 2005 noch 1 800 Fälle, steigerte sich die Zahl im Jahr 2014 bereits auf 5 300 Fälle. Diese Zahlen spiegeln deutlich wider, dass Sterbehilfe bei unseren Nachbarn zur Normalität geworden ist.
Die Untersuchungen zeigen auch, dass sich der Kreis derer, die Sterbehilfe in Betracht ziehen, deutlich erweitert hat. Waren es anfangs hauptsächlich Krebskranke und Aidspatienten, finden sich heute Patienten mit vielen verschiedenen Krankheitsbildern wie Demenz, psychiatrische Erkrankungen oder auch altersbedingte Beschwerden darunter. Stattdessen sollten wir unsere medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte würdigen und die Forschung weiter unterstützen. Denn durch eine bestmögliche Palliativmedizin ist eine leidensarme Sterbebegleitung möglich. Hierbei stehen die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund. Das ist aus meiner Sicht auch der richtige Weg.
Viele schwerstkranke Patienten antworten auf die Frage, warum sie nicht mehr leben möchten, sehr häufig mit dem Wunsch, den Angehörigen nicht länger zur Last fallen zu wollen. Stellt man diese Patienten palliativmedizinisch ein und fragt nach ein paar Tagen nach, hat sich ihre Einstellung vollkommen geändert. Es ist ein Sinneswandel, der eintritt, wenn der Patient antwortet, dass er unter diesen Umständen – mit der richtigen therapeutischen Maßnahme – weiterleben möchte. Der Satz „Ich will nicht mehr leben“ müsste richtig heißen: Ich will so nicht mehr leben. – Diese Maxime sollten wir in unserer Gesellschaft verankern.
Deswegen war es auch so wichtig, dass wir gestern das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland verabschiedet haben. An dieser Stelle möchte ich deshalb einen Dank aussprechen: an die Hospize und die vielen ehrenamtlichen Helfer genauso wie an die vielen pflegenden Angehörigen, die sich aufopferungsvoll einsetzen und ein würdiges Sterben bzw. eine Begleitung bis zum Tod ermöglichen, sei es in der ambulanten oder in der stationären Versorgung. Diesen Menschen ist Hochachtung entgegenzubringen, ganz im Gegensatz zu denjenigen Menschen, die aus dem Tod ein Geschäft machen, kommerzielle Sterbehilfe betreiben und aus dem Leid anderer Kapital schlagen. Denn wer kann uns garantieren, dass diese Ärzte und Sterbehilfevereine den Schwerstkranken gegenüber die Abwägung ermöglichen? Ich sehe zudem die Gefahr, dass Mitleid die Bewertung zur Sterbehilfe beeinflusst. Das darf meiner Ansicht nach nicht passieren.
(Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU])
Die Gesetzentwürfe des Kollegen Hintze und der Kollegin Künast öffnen dagegen Tür und Tor für etwas, das nicht zu kontrollieren ist. Diese Lasten dürfen und sollten wir niemandem auferlegen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin.
Bettina Hornhues (CDU/CSU):
Schließen möchte ich mit einem Zitat unseres ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, der sagte:
Wo das Weiterleben nur eine von zwei legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens aufbürdet.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Zypries.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Brigitte Zypries (SPD):
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wenn man bei einem so komplexen und sensiblen Thema nur fünf Minuten Redezeit hat, muss man sich begrenzen. Ich will mich deshalb auf die juristische Bewertung beschränken. Für die juristische Bewertung gilt bei so sensiblen Themen wie dem, über das wir heute reden, ganz besonders, dass man sehr sorgfältig arbeiten muss.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das gilt eigentlich immer!)
Gerade dann, wenn es um Themen wie die Grenze von Leben und Tod geht, muss man sicherstellen, dass man nicht unnötig Prozesse produziert. Als ehemalige Bundesjustizministerin weiß ich, wie leicht einem so etwas „gelingt“, obwohl man es gar nicht will.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die geltende Rechtslage, meine Damen und Herren, ist so: Sterbewillige müssen bis zum Schluss die Tatherrschaft behalten. Dann ist auch die Beihilfe nicht strafbar. Der Vorschlag Sensburg ist zwar klar und eindeutig gefasst; er sieht in seiner Intention aber vor, dass die Beihilfe zur Selbsttötung künftig strafbar wird. Das ist eine Regelung, die es – das wurde schon genannt – seit 1871 so nicht gibt. Ich glaube, wir haben keinen Grund, davon abzuweichen. Deswegen werde ich diesem Vorschlag nicht zustimmen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Der Vorschlag Brand/Griese sieht vor, dass man im Strafgesetzbuch eine Änderung einfügt, und zwar lautet sie:
Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt ...
Die ganze Diskussion, die wir in den letzten Wochen und Monaten geführt haben, hat sich um die Fragen gerankt: Kann dieses „geschäftsmäßig“ belastbar, sicher, gerichtsfest ausgelegt werden? Wann handelt ein Arzt „geschäftsmäßig“? Das ist völlig unklar geblieben. Es gibt dazu ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das die Zweifel an dieser Regelung überzeugend darlegt. Die Sachverständigen haben das in der Anhörung bestätigt. Deswegen möchte ich gerne sagen: Es geht hier nicht um eine Kriminalisierung der Ärzte – solche Aussagen finde ich auch falsch, was diesen Gesetzentwurf anbelangt –,
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
sondern es geht darum, dass man aufgrund dieser Unsicherheit – was heißt „geschäftsmäßig“? – eine Vielzahl von Prozessen produziert. Das gilt es zu vermeiden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mit dem Vorschlag Hintze/Reimann wird vorgesehen, den Widerspruch in der gegenwärtigen schwierigen Rechtslage – einerseits ist die Sterbebeihilfe straffrei, andererseits ist die Sterbebeihilfe nach dem ärztlichen Standesrecht verboten – dadurch aufzulösen, dass man Ärzten diese Hilfestellung durch Einfügungen im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich erlaubt. Es ist von meinen Vorrednerinnen hier schon gesagt worden: Das ist verfassungsrechtlich einfach nicht zulässig, weil das ärztliche Standesrecht in der Kompetenz der Bundesländer bzw. in der Selbstverwaltung der Ärzteschaft liegt.
Vorhin hat jemand gesagt, der Vorschlag richte weiter keinen Schaden an. Er würde aber auf alle Fälle beklagt werden. So viel ist doch sicher.
Der Vorschlag Künast/Sitte sieht dagegen als einziger Vorschlag ein völlig neues, eigenständiges Gesetz vor, mit dem Verhaltensweisen unter Strafe gestellt werden, die nach geltendem Recht nicht strafbewehrt sind. Darüber hinaus – das ist mir auch sehr als schwierig aufgestoßen – muss derjenige, der in „organisierter oder geschäftsmäßiger Form“ Hilfe zur Selbsttötung leisten will, ein schriftlich dokumentiertes Beratungsgespräch führen.
Die erste Frage ist hier: Was heißt eigentlich „ in organisierter oder geschäftsmäßiger Form“? Auch das ist wieder eine Frage nach der Bestimmtheit des Begriffes. Dass sämtliche Beratungsprotokolle von den Protagonisten, die sich gegen dieses ärztliche Verhalten wehren wollen, auch noch vor Gericht angefochten werden, weil die Gespräche nicht ordentlich dokumentiert worden sind – wir kennen das ja aus dem Pflegebereich –, können wir, glaube ich, gerade in diesem sensiblen Bereich nicht brauchen.
Es ist also sicher, dass jeder dieser drei Gesetzentwürfe vor Gericht beklagt werden würde – von Organisationen sowieso, aber auch von Einzelpersonen, die sich entweder in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt fühlen oder als Angehörige ärztliches Verhalten kritisieren. Das heißt, wir würden mit jeder dieser Regelungen mehr Probleme schaffen, als wir lösen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Daneben würden wir gerade in diesem sensiblen Bereich für viele Jahre eine enorme Rechtsunsicherheit schaffen.
Herr Gröhe, Sie haben vorhin gesagt: Wir brauchen eine kluge Rechtsanwendung. Ich kann dazu nur sagen: Damit haben Sie völlig Recht. Das Problem ist nur: Darüber entscheidet der Gesetzgeber nicht mehr. Der Gesetzgeber macht ein Gesetz, und die Anwendung obliegt dann den Gerichten, die sich mit denen zu befassen haben, die dagegen klagen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was dann dabei herauskommt, können wir – zum Glück – nicht mehr beeinflussen. Das Problem ist einfach, dass wir das dann nicht mehr regeln können.
Deswegen glaube ich, dass wir mit der bestehenden Rechtslage die gewerbsmäßig assistierte Selbsttötung weiterhin als unzulässig beschreiben sollten. Die Staatsanwaltschaften – das wurde ja bereits gesagt – ermitteln. Die Menschen, die ihr Leiden beenden möchten, erhalten eine ergebnisoffene Beratung: eben nicht nur zum Sterben, sondern auch zum Weiterleben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Volker Kauder ist der nächste Redner.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Volker Kauder (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir es heute mit einem jeden persönlich besonders fordernden Thema zu tun haben, zeigt schon die ungewöhnliche Beratungskonstellation, beginnend mit einer Orientierungsdebatte, mit der wir uns erst einmal Klarheit über das Feld verschafft haben, das wir bearbeiten oder nicht bearbeiten wollen, über eine ein Jahr dauernde interne Diskussion mit Sachverständigen bis hin zu einem Meinungsbild, das wir uns verschafft haben. Jeder Einzelne muss diese Entscheidung für sich selbst treffen. Es gibt keine Führungsvorgabe durch Fraktionen. Jeder ist hier selber gefordert.
Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung jedes Einzelnen, und ich bitte darum, dass dies gegenseitig gilt. Bei der einen oder anderen Rede, die ich hier gehört habe, hatte ich den Eindruck, dass die eigene Überzeugung – es ist ja richtig, dass man eine solche hat – auch dazu verwendet wird, die Überzeugung anderer in einer Art und Weise zu kritisieren, die mit dem, was im Gesetzentwurf steht, nicht übereinstimmt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will gar nicht über andere sprechen; denn es ist schon fordernd genug, über das zu sprechen, was man selber will. Was wollen wir? Ich glaube, wir sind uns zu einem großen Teil darüber einig, dass wir keine Sterbehilfevereine haben wollen, bei denen Menschen einen Beitrag bezahlen müssen. Wenn sie eine schnellere Lösung haben wollen, ist der Beitrag höher. Dann wird ein Sterben ohne weitere Prüfung organisiert, allein nach dem Motto: Wer will, der kann. – Das wollen wir alle nicht.
Wenn man das hört, was heute über das Thema Selbstbestimmung gesagt wird, könnte man den Eindruck haben, dass die eine oder andere Gruppierung den Suizid verbieten will. Genau dies ist nicht der Fall. Der Suizid wird überhaupt nicht verboten, sondern jeder kann selbstbestimmt entscheiden. Aber ich glaube: Es gibt nicht den Anspruch eines Einzelnen darauf, dass ein anderer ihm bei der Umsetzung dieser Entscheidung hilft. Das ist der wichtige Punkt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das kann nicht nach dem Motto laufen: Ich habe ein Anrecht darauf, dass mir ein Arzt helfen muss. – Da kann ich gut verstehen, dass Ärzte sagen: Das wollen wir nicht.
Jetzt kann man doch nicht so tun – das haben einige getan –, als ob die deutsche Ärzteschaft eine andere Meinung vertreten würde. Die überwiegende Mehrheit der deutschen Ärzteschaft hat gesagt, dass sie dies nicht will. Natürlich wollen Ärzte Menschen begleiten, aber sie sind nicht dafür da, Menschen in den Tod zu befördern. Diese Entscheidung der deutschen Ärzteschaft sollten wir akzeptieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, worüber wir heute entscheiden, ist die Forderung, Sterbende zu begleiten und sie nicht alleine zu lassen. Wenn wir dem Antrag von Brand/Griese folgen, wird uns die Aufgabe, Sterbende zu begleiten, nicht mehr loslassen. Wir treffen nämlich damit keine endgültige Entscheidung. Vielmehr ist es eine ständige Mahnung, ein ständiger Stachel, das Begleiten Sterbender zu einem Anliegen von uns zu machen. Das geht nicht nach dem Motto: Wir können einen Schlussstrich ziehen, und dann ist die Aufgabe erledigt.
Deswegen ist der Antrag von Brand/Griese eine wesentlich größere gesellschaftliche Herausforderung als alles andere, nämlich sich täglich darüber bewusst zu werden, dass Sterben zwar etwas höchst Individuelles ist, dass wir aber Sterbende begleiten müssen und nicht allein lassen dürfen – als eine ständige Herausforderung in unserem täglichen Leben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Vielen Dank. – Dr. Karl Lauterbach von der SPD-Fraktion hat jetzt das Wort.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst will ich mit dem beginnen, was uns eint. Uns alle eint die Bemühung, die Palliativmedizin deutlich zu stärken. Dazu haben wir gestern etwas Wichtiges beschlossen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Aber die Palliativmedizin hilft nicht bei dem heutigen Problem; denn diejenigen, die den assistierten Suizid wünschen, wie er in Oregon oder in der Schweiz erlaubt ist, werden zu 90 Prozent palliativmedizinisch versorgt. Also kennen diese Menschen die Palliativmedizin, weil sie an ihnen praktiziert wird. Herr Gröhe, das Land mit der in Europa mit Abstand besten Palliativversorgung, die Niederlande, hat eine sehr hohe und aus meiner Sicht bedauernswert hohe Quote bei der aktiven Sterbehilfe, die wir natürlich nicht wollen.
(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])
Somit löst die Palliativmedizin nicht das Problem, über das wir heute reden.
Die zweite Sache, die uns eint, ist: Wir alle wollen keinen Dammbruch. Wir wollen keine aktive Sterbehilfe, und wir wollen auch keine Normalität in der Sterbehilfe. Aber auch das steht nicht zur Debatte.
Die Regelung von Hintze, Reimann und Lauterbach, über die wir heute diskutieren, gibt es in Oregon schon seit 17 Jahren. Nach wie vor 2 Promille der Todesfälle sind assistierter Suizid. Die Zahl ist nicht gestiegen. Auch in der Schweiz sind es 2 bis 3 Promille; das ist ebenfalls nicht gestiegen.
Was ist das beste Beispiel dafür, dass der erlaubte assistierte Suizid keinen Dammbruch bringt? Was ist das wichtigste Land? Deutschland. Wir haben diese Regelung seit 140 Jahren. Die aktive Beihilfe zum Suizid ist bei uns strafbar. Das soll nicht legalisiert werden,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
wie dies eben fälschlich dargestellt wurde, sondern das ist strafbar und soll es auch bleiben. Das hat keinen Dammbruch gebracht, und es ist kein Dammbruch zu erwarten. Niemand will einen Dammbruch; den wollen wir alle nicht.
Herr Gröhe, Sie haben vollkommen recht: Man darf nicht unterstellen, der Antrag Brand/Griese wolle, dass das Krankenbett kriminalisiert wird, dass die Arzt-Patient-Beziehung kriminalisiert wird. Wir unterstellen nicht, dass das die Absicht ist; das ist nicht der Fall. Uns ist nur wichtig, zu sagen, dass wir glauben, dass das folgen könnte, dass das die nicht beabsichtigte Folge sein könnte. Darum geht es doch.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das einzige Problem, das ich mit den Vorträgen habe, ist – ich selbst bin kein Jurist –: Ich bin nicht der Meinung, dass es so sicher wäre, dass die Folge des Antrags Brand/Griese nicht ist, dass es zu einer Kriminalisierung der Ärzte kommt, die die Sterbehilfe praktizieren wollen. Ich halte das für nicht so sicher, wie es dargestellt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
140 führende Strafrechtler sind der Meinung, dass es zu dieser Kriminalisierung kommen könnte. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags ist, wie es die ehemalige Justizministerin gesagt hat, der Meinung, dass es dazu kommen könnte.
In der Anhörung, die wir gehabt haben, war ein Teil der angehörten Rechtsprofessoren, zum Beispiel Professor Hillgruber und Professor Merkel, der Meinung, dass es zu dieser Kriminalisierung kommen könnte. Ja, sogar in der Stellungnahme des jetzigen Justizministers ist man der Meinung, dass es zu dieser Kriminalisierung kommen könnte.
Alles, was ich sagen will, ist: Die Lage ist nicht so sicher, wie Sie es darstellen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Peter Hintze [CDU/CSU])
Wir müssen dieses Risiko vermeiden. Wir wollen keine Unsicherheit. Dies sage ich als Arzt.
Der Arzt, der Sterbehilfe leistet, nimmt schon jetzt drei große Gefahren für das Wohl seines Patienten in Kauf – er macht das ja nicht für sich; er bekommt kein Geld dafür; es gibt keine Gebühr; er macht das nur für seinen Patienten –: Er ist schon jetzt in der Gefahr, dass er die Garantenpflicht verletzt, die wir bei der Patientenverfügung gut gelöst haben, beim assistierten Suizid nicht. Er müsste eigentlich sofort eingreifen, wenn es zu einem Problem kommt. – Das ist das erste Problem.
Das zweite Problem ist: In vielen Kammern, zum Beispiel in der Kammer Nordrhein, in der ich als Arzt gelistet bin, kann die Approbation – von der Kammer der Bezirksregierung empfohlen – entzogen werden. Die Tatsache, dass das noch nicht passiert ist, geht auch darauf zurück, dass wir diese Regeln in einigen Kammern erst seit einigen Monaten haben.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch ein Horrorszenario!)
Wir haben ja noch gar keinen Vorlauf. Wir können das doch nicht ausschließen. – Das ist das zweite Problem.
Das dritte Problem, das wir – rechtlich gesprochen – haben, ist, dass die Ärzte das Betäubungsmittelgesetz in gewisser Weise beugen müssen; denn Betäubungsmittel spielen bei der Palliativmedizin keine Rolle. Die Medikamente, die ich hier einsetze, sind keine Medikamente für die Palliativmedizin.
Somit bin ich bereits in dreierlei Hinsicht in einer rechtlichen Grauzone. Jetzt kommt das Strafrecht dazu. Machen wir uns doch nichts vor: Das macht kein Arzt mehr. Ich selbst würde es auch nicht machen. Das ist zu riskant.
Daher plädiere ich dafür: Lieber kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Wir haben eine gute Debatte gehabt. Wir alle haben aus dieser Debatte gelernt. Wir dürfen stolz sein: Wir haben aus dieser Debatte gelernt und sind weitergekommen. Wenn wir zum Schluss sagen: „Wir beschließen gar nichts“, dann haben wir das Thema enttabuisiert und sind gemeinsam auf einem Erkenntnisweg zu dem Ergebnis gekommen: Besser kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Susanna Karawanskij.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Susanna Karawanskij (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ein Leben in Menschenwürde zu führen, führen zu können und vor allem Dingen auch führen zu dürfen, ist ein alter Menschheitstraum. Daher wird der Begriff „Menschenwürde“ gerne zu großen Anlässen, feierlichen Gelegenheiten oder eben auch bei grundsätzlichen Fragen wie die, vor der wir heute stehen, herangezogen und zur Letztbegründung der eigenen Argumentation genutzt.
Dass wir am heutigen Tag die verschiedenen Vorschläge alle auch unter dem Aspekt des Lebens in Menschenwürde – und des Sterbens als dessen letzte Phase – besprechen, zeigt, dass es mit solchen großen Begriffen wie der Menschenwürde doch nicht ganz so einfach ist. Denn darüber, was der Mensch ist und was ihm zukommt, wird sehr unterschiedlich gedacht. Ob er beispielsweise Bestandteil einer, sagen wir, Schöpfungsgeschichte, einer Evolutionsgeschichte oder – auch das ist möglich – von beidem ist, lässt ganz verschiedene Perspektiven auf uns und damit auch darauf zu, was denn unsere Würde sei.
Für mich ist der Begriff der Menschenwürde aufs Engste mit der Frage der Selbstbestimmung und des selbstbestimmten Lebens verbunden. Auch dieser Punkt kann nicht sinnvoll ahistorisch oder überzeitlich betrachtet werden. Die grundsätzliche Möglichkeit von uns Frauen, selbst darüber zu bestimmen, ob und wann wir Kinder zur Welt bringen wollen, zum Beispiel ist ganz klar erst jüngeren Datums. Sie ist – wir wissen das – keinesfalls überall gegeben. Auch die Möglichkeit, vielen Krankheiten entgegenzutreten, die noch vor 200 Jahren zu furchtbaren Epidemien führten und ganze Landstriche entvölkerten, lässt uns einen kleinen Schritt aus den vermeintlichen Gegebenheiten einer doch so grausamen Natur heraustreten.
Dass wir mit einer ganzen Reihe sozialer und medizinischer Maßnahmen die Kindersterblichkeit auf ein in der Menschheitsgeschichte nie gekanntes niedriges Niveau senken konnten, lässt die Chance für jedes geborene Leben, zur Selbstbestimmung heranzureifen, enorm steigen. Auch auf diesem Gebiet wissen wir um die regionale Beschränktheit dieser Erfolge und darum, dass ganze Kontinente kaum an ihr teilhaben können.
Selbstbestimmt in Menschenwürde zu leben, heißt für mich, nicht zu kapitulieren vor vermeintlichen Unveränderlichkeiten oder vor einem „Das war schon immer so“. Wäre dies unser Grundsatz, würden wir heute noch unter furchtbarsten Bedingungen leben. Alle Freiheit, die wir haben, wurde erkämpft und im Widerstand gegen Verhältnisse errungen, die anders waren. Dies gilt meiner Auffassung nach auch für ein Sterben in Menschenwürde, nämlich selbstbestimmt und in Freiheit.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir schaffen es, unsere Lebenserwartung immer höher zu schrauben, aber nicht, Verfall und Sterben aufzuhalten. Zu spekulieren, was uns die Zukunft bringen mag, verbietet an dieser Stelle meines Erachtens der gesunde Menschenverstand.
Wir müssen heute entscheiden, inwieweit wir ein Ende des Lebens in Menschenwürde – einer Menschenwürde, die von Selbstbestimmung und Freiheit ausgeht – möglich machen wollen. Der Gesetzentwurf von Renate Künast und Petra Sitte hat diesen Zusammenhang als Grundannahme, die im Übrigen – das wurde auch schon mehrfach gesagt – von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung, nämlich von 80 Prozent der Menschen im Land, geteilt wird.
Und noch eines möchte ich ansprechen: Die Menschenwürde, die Selbstbestimmung und die Freiheit, die hinter diesem Gesetzentwurf stehen, kommen allen Menschen gleichermaßen zu, und deshalb wollen wir nicht, dass daraus ein Gewinnmodell wird. Ich spreche mich ganz klar gegen eine Kommerzialisierung, also ein gewerbsmäßiges Anbieten sterbebegleitender Hilfeleistungen, aus. Denn in unserer Gegenwart ist die gleiche Freiheit für alle vor allem dann nicht Wirklichkeit, wenn sie als Marktteilnehmer aufzutreten gezwungen sind. Der eine hat vielleicht nicht mehr als seine eigene Haut zum Markte zu tragen, während der andere das Erbe ganzer Generationen verprassen kann.
Da heute viele Philosophen und andere Denker zitiert worden sind, will ich in diesem Zusammenhang Hans Albers zitieren: „Das letzte Hemd hat leider keine Taschen“. Und zumindest darin sind wir alle gleich.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Vielen Dank. – Jetzt spricht Andrea Nahles.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Andrea Nahles (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten anderthalb Jahren ist uns in diesem Parlament etwas gelungen. Wir haben es geschafft, nicht nur hier im Parlament, sondern auch in der Gesellschaft eine Debatte über das zu führen, was bis dahin in der Tabuzone war, den Tod. Das „Bis zuletzt gut leben und am Ende gut sterben“ stand im Mittelpunkt dieser Debatte. Ich glaube, wir haben als Gesetzgeber einiges auf den Weg gebracht, was Menschen wirklich hilft, zum Beispiel erst gestern mit dem, was wir beschlossen haben zur Verbesserung der Hospizarbeit und der Palliativmedizin.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Das sollten wir heute nicht gefährden. Wir sollten hinter diese Debatte auch nicht zurückfallen.
Wenn hier immer wieder behauptet wird, dass es zu Haftstrafen oder Ermittlungsverfahren gegenüber Ärztinnen und Ärzten kommt, wenn man dem von mir unterstützten Gesetzentwurf von Brand, Griese, Vogler und Terpe folgt, dann ist das schlicht falsch.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich möchte an dieser Stelle dazu zwei Dinge sagen. Erstens. Die Straffreiheit der Suizidhilfe bleibt auch bei Brand/Griese unangetastet; das wurde schon erwähnt. Zweitens. Nun kommt die Verfeinerung der Argumentation. Man sei sich nicht so sicher, hat Karl Lauterbach gesagt. Ja, wer wäre das in dieser Frage? Er hat dafür 140 Strafrechtler angeführt, die eine initiative Stellungnahme vor einem Jahr abgegeben haben. Zu diesem Zeitpunkt lag noch keiner der Gesetzentwürfe vor, über die wir heute debattieren.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Wer Verunsicherung schüren will, der kann das ganz einfach tun, indem er eine allgemeine Stellungnahme des Justizministers Heiko Maas anführt, der, als ebenfalls noch kein Gesetzentwurf vorlag, gesagt hat, es könnte zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen. Ja! Und darum haben wir uns im letzten Jahr bemüht, diese Abgrenzungsschwierigkeiten zu beseitigen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich bitte an dieser Stelle, den Gesetzentwurf von Brand, Griese, Vogler und Terpe genau zu lesen. Hier geht es darum, geschäftsmäßigen Suizid zu verbieten. Bei „geschäftsmäßig“ kommt es auf die Intention an. Wer Leiden lindern will, im Grenzfall seinem Gewissen folgt und Sterbehilfe leistet, fällt nicht unter das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit; das hat Ruth Rissing-van Saan in der Anhörung deutlich gemacht.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Aber es ist ein Grenzfall. Ich möchte nicht, dass es zur gewöhnlichen Handlung wird. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen den Vorlagen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Hier ist sehr viel von Selbstbestimmung die Rede. Wer einen Menschen beim Sterben einmal begleitet hat, weiß, dass in dieser Phase keineswegs nur der Aspekt der Selbsttötung zur Selbstbestimmung gehört. Vielmehr geht es sehr wohl um Begleitung. Aber greifen wir einmal das Argument der Selbstbestimmung auf. Der Gesetzentwurf Brand/Griese nimmt der Selbstbestimmung nichts weg. Wenn sich ein Mensch dafür entscheidet, Suizidhilfe nicht organisierten Anbietern zu überlassen, sondern sie an dem Ort lässt, wo das einzig entschieden werden kann, nämlich in dem ganz persönlichen und individuellen Verhältnis von Patient zu Angehörigen sowie im Verhältnis von Patient zu Arzt, dann kann man nur sagen: Dahin gehört es, und da bleibt es auch. Es gehört aber nicht in die Hände Dritter, die damit Geschäfte machen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich möchte noch etwas zu dem Argument sagen, dass sich der Staat heraushalten soll. Der Gesetzgeber hat auch hier eine Schutzpflicht, die er meiner Meinung nach nicht ignorieren kann; denn es ist nachweislich so, dass die Sterbehilfevereine auch Menschen zu Sterbehilfe verhelfen, die schlichtweg einsam sind, die – das wurde in der Hart aber fair-Sendung noch einmal belegt – mit einem Trauerfall nicht zurechtkommen oder die schlicht und ergreifend am Ende nicht mehr wissen, wie es weitergeht, und Hilfe brauchen. Ja, sie brauchen Hilfe, aber keine Sterbehilfe. Dass dies missachtet wird, ist nachweislich der Fall.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Entschuldigung, aber vor dieser Entscheidung dürfen wir uns nicht drücken. Es ist deshalb keine Lösung, über keinen der Gesetzentwürfe abzustimmen. Es ist eine Illusion, zu glauben, wir könnten hinter diese anderthalb Jahre andauernde Debatte zurück.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Denn nach den intensiven Diskussionen, die wir geführt haben, bedeutete eine fehlende Mehrheit im Parlament auch eine Entscheidung und gäbe das Signal: Angebote zum assistierten Suizid, ob Gewinnabsicht oder nicht, sind gesellschaftlich akzeptiert, und der Suizid ist eine akzeptable Antwort auf Schwäche, Hilflosigkeit und Leid. Das kann man wollen – ich will es nicht.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Lisa Paus.