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Mit breiter Mehrheit hat der Bundestag am Mittwoch, 26. Oktober 2011, einen Entschließungsantrag von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen (17/7500) zum Europäischen Rat und zum Eurogipfel am 26. Oktober in Brüssel angenommen. Von 596 abgegebenen Stimmen waren 503 Ja-Stimmen und 89 Nein-Stimmen. Vier Abgeordnete enthielten sich. Damit wurde vorerst die kontroverse Debatte der vergangenen Tage beendet, in der es nicht nur um die Ausgestaltung des Euro-Rettungs- schirms EFSF ging, sondern auch um die Beteiligung des Deutschen Bundestages daran.
In dem Entschließungsantrag verlangen die Fraktionen, "einen möglichst effizienten Einsatz" der Mittel der EFSF sicherzustellen. Zwei Modelle werden in diesem Zusammenhang genannt. Zum einen die Teilabsicherung neuer Staatsanleihen eines unter Druck stehenden Euro-Landes, zum anderen, mit Hilfe von Zweckgesellschaften, die Risiken zwischen öffentlichen Mitteln der EFSF und privaten Investoren aufzuteilen.
Die Parlamentarier verlangen von der Bundesregierung auch, dass sich systemrelevante Banken bis zum Juni 2012 zunächst in eigener Verantwortung rekapitalisieren sollen. Ferner treten die Abgeordneten für eine zügige Einführung einer Finanztransaktionssteuer ein.
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) verteidigte in ihrer Regierungserklärung zum Eurogipfel den Kurs der Bundesregierung zur Krisenbewältigung und erinnerte an die historische Verpflichtung Deutschlands, die Einigung Europas mit allen Mitteln zu verteidigen. In der "Stunde der schwersten Krise Europas seit dem Zweiten Weltkrieg" müsse man an eines denken: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa."
Aus dieser Verantwortung heraus müsse man auch Risiken eingehen, selbst wenn derzeit niemand abschätzen könne, ob die im Entschließungsantrag formulierten Vorschläge zu einer stärkeren finanziellen Belastung Deutschlands führen können. "Aber das Risiko ist vertretbar, es wäre verantwortungslos, dieses Risiko nicht einzugehen", appellierte Merkel an die Abgeordneten.
Mit Blick auf Griechenland betonte Merkel: "Ein Schuldenerlass, egal, wie er aussieht, löst die Probleme nicht." Nötig seien schmerzhafte Reformen, die den Menschen in Griechenland "viel abverlangen", aber solidarische Hilfe müsse an strenge Bedingungen geknüpft sein.
Wichtig sei jetzt, dass Griechenland wieder wachsen und schnell auf die Beine kommen kann. Ziel müsse sein, dass Griechenland im Jahr 2020 seinen Schuldenstand auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung drückt. Dies gehe nicht, wenn sich die privaten Gläubiger nicht in erheblich größerem Umfang beteiligten, so die Kanzlerin.
Bezogen auf die Zukunft stellte sie klar, dass man Änderungen an den Europäischen Verträgen ins Auge fassen müsse, um Europa krisenfester zu machen. Natürlich würden Vertragsveränderungen auch Risiken bergen, sie seien aber nötig, um eine Spaltung der EU in Euro-Staaten und Nicht-Euro-Staaten zu verhindern. Merkel spielte dabei vor allem auf stärkere Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Ländern an, die wiederholt die Wachstums- und Stabilitätskriterien missachten.
SPD-Fraktionschef Dr. Frank-Walter Steinmeier betonte in seiner Rede ebenfalls die Dramatik der aktuellen Lage. Der EU-Gipfel sei kein normaler Gipfel, sondern eine "Operation am offenen Herzen, und jeder vernünftige Mensch muss hoffen, dass sie gelingt", sagte Steinmeier. Die SPD flüchte sich hier nicht aus der Verantwortung für Europa und habe sich deshalb an einem gemeinsamen Entschließungsantrag mit den Koalitionsfraktionen beteiligt.
Steinmeier sparte dennoch nicht mit Kritik an der Informationspolitik der Regierung. Er warf sowohl Merkel als auch Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble vor, nicht offen mit dem Parlament umzugehen. Noch Ende September habe man die Einführung eines Kredithebels für die EFSF abgestritten, obwohl es die Spatzen schon von den Dächern gepfiffen hätten, so Steinmeier. Angesichts dieser Verschleierungstaktik habe die Koalition die Unterstützung der SPD eigentlich nicht verdient, aber die Fraktion spekuliere nicht auf das Ende der Regierung, denn es gehe hier um die Zukunft Europas.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle appellierte an die Politik, dafür zu sorgen, dass aus der Finanzkrise keine Krise der parlamentarischen Demokratie wird. Der Bundestag habe dazu bereits wiederholt seinen Beitrag geleistet.
"Wir gehen verantwortungsvoll mit unserem Recht um. Wir stärken mit dem Entschließungsantrag der Position der Kanzlerin auf dem EU-Gipfel den Rücken", betonte der FDP-Politiker. Europa müsse sich nun neu aufstellen und dabei komme man auch um Vertragsänderungen nicht herum.
Dr. Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, kritisierte ebenfalls die Informationspolitik der Bundesregierung. "Es ist immer wieder Ausdruck der Arroganz der Macht, wenn man das Parlament vernachlässigt." Auch er warf der Regierung vor, das Parlament in Sachen Kredithebel lange bewusst getäuscht zu haben.
Auch einen Schuldenschnitt für Griechenland habe die Regierung lange als unnötig zurückgewiesen. Jetzt setze sie sich dafür ein, ohne allerdings den deutschen Steuerzahlern die Wahrheit über die möglichen Folgen zu erläutern. "Sie haben ein Chaos organisiert, das eine Wirrnis schafft, die alle überfordert", sagte Gysi.
Volker Kauder, Fraktionschef der CDU/CSU, zeigte sich erfreut darüber, dass eine so breite parlamentarische Mehrheit zustande gekommen sei, um der Kanzlerin auf dem EU-Gipfel in Brüssel den Rücken zu stärken. Es gehe darum, eine Perspektive für Europa und den Euro zu schaffen. Europa müsse wieder auf stabile Füße kommen, aber niemand könne solidarische Geldleistungen ohne eigene Anstrengungen erwarten, so Kauder.
Deswegen sei der Weg der Bundesregierung richtig gewesen, zuerst Reformanstrengungen von Griechenland zu fordern und dann erst über weitere Maßnahmen nachzudenken. Diesen Kurs habe die Regierung streng verfolgt.
Jürgen Trittin warf der Koalition vor, die Bevölkerung zu verunsichern. Ende September habe sie die Hebelung der Mittel der EFSF noch strikt abgelehnt und nun schon zum wiederholten Male in kurzer Zeit ihren Kurs geändert.
Dennoch sei die Hebelung richtig, um zu verhindern, dass auch andere Euro-Länder in den Sog Griechenlands geraten. "Wir kommen um diesen Schritt nicht herum, um wieder geordnete Verhältnisse herzustellen, so Trittin. (che)