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Die Koalitionsfraktionen haben schnell reagiert. Knapp eine Woche nach dem Parteitag der Linken hat sich der Bundestag am Donnerstag, 27. Oktober 2011, in einer Aktuellen Stunde auf Verlangen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP mit den wirtschaftspolitischen Positionen im Grundsatzprogramm der Partei Die Linke beschäftigt. "Unglaublich", "reaktionär", "abenteuerlich", urteilten die Koalitionsfraktionen. Der demokratische Sozialismus werde in Misskredit gebracht, fand die SPD-Fraktion. Die Linksfraktion dagegen verteidigte das Programm als Vorschlag für eine notwendige andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das Programm war am Sonntag, 23. Oktober auf dem Parteitag in Erfurt mit einer Zustimmung von 96,9 Prozent verabschiedet worden.
Die Linke wolle die soziale Marktwirtschaft durch einen demokratischen Sozialismus ersetzen, sagte Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. Dabei habe sich dieser in der Vergangenheit nicht nur als das schlechtere Gesellschaftsmodell erwiesen, in seinem Namen sei außerdem "Massenvernichtung von Menschen betrieben worden".
Die soziale Marktwirtschaft sei das "erfolgreichste System auf der Welt", betonte Pfeiffer. Und dort, wo es Probleme gebe – etwa bei der aktuellen Finanzkrise –, existiere zu wenig und nicht etwa zu viel Wettbewerb. Dagegen bedeute die von den Linken intendierte Planwirtschaft Enteignung und Unfreiheit. Das Programm sei Hohn für diejenigen, die arbeiten und Steuern zahlen, und für alle, "die am realen Sozialismus zugrunde gegangen sind".
Einen Rundumschlag erteilte die SPD-Fraktion. Zwar trage Die Linke massiv dazu bei, den „demokratischen Sozialismus in Misskredit zu bringen“, sagte der SPD-Abgeordnete Klaus Barthel. Eine sachliche Auseinandersetzung lassen seiner Meinung nach aber auch die Koalitionsfraktionen vermissen: Diese wollten einen "oberflächlichen Schlagabtausch", um von ihrem eigenen Scheitern abzulenken.
Union und FDP dürften die soziale Marktwirtschaft nicht für sich einnehmen, forderte Barthel. Ihre Politik habe weder mit "Markt", noch mit "Wirtschaft" noch mit "sozial" zu tun. Das zeige ihr aktuelles Vorgehen in der Finanzkrise.
Das Programm sei "geschichtsverklärend", "selektiv" und habe in etwa "den gleichen Fortschrittsgehalt wie die heilige Inquisition", urteilte Patrick Kurth, Sprecher für Aufbau Ost der FDP-Fraktion. Auch in aktuellen Krisenzeiten gehe Die Linke "unverdrossen ihren sozialistischen Gang" und habe die Revolution beschlossen, kritisierte er – nicht ohne spöttischen Unterton.
Anschließend zitierte Kurth aus dem Parteiprogramm der Linken: Wo Profit regiere, bleibe wenig Platz für Demokratie. "Im Umkehrschluss heißt das doch, wo am wenigsten Profit herrscht, gibt es den meisten Platz für Demokratie." Und wo gebe es am wenigsten Profit? "Ich denke dabei an Nordkorea und Kuba."
"Wir legen einen anderen Gesellschaftsentwurf vor und machen den Menschen Mut", verteidigte Stefan Liebich (Die Linke) das Parteiprogramm. "Freiheit, Würde, Solidarität ist unser Programm und darauf sind wir stolz", betonte er. Und schickte anschließend einen Dank in Richtung Koalitionsbänke, dass seine Fraktion durch die Aktuelle Stunde die Möglichkeit bekommen habe, dieses Programm auch vorzustellen.
Monatelang habe man über eine "lächerliche Hartz-IV-Erhöhung" diskutiert und nun würden innerhalb kurzer Zeit Milliarden durch das Parlament gepeitscht, kritisierte Liebich. "Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun." Zudem habe Rot-Grün selbst – Stichwort Agenda 2010 – den demokratischen Sozialismus diskreditiert. In Deutschland gebe es Dumpinglöhne, gesetzliche Mindestlöhne würden verweigert und große Konzerne genössen ungebändigte Freiheit. "Da weiß ich, warum unser Land Die Linke braucht", sagte Liebich.
Ob der Auftritt Liebichs Strategie sei, wollte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Andreae, wissen. Schließlich sei er "einer der wenigen gewesen, die sich gegen das Programm gewandt haben".
Die Linke führe eine "Retrodebatte", kritisierte Andreae. Ihre wirtschaftlichen Vorstellungen entsprächen dem 19. Jahrhundert, jedoch: "Wir sind keine Insel." Deutschland habe eine enorm exportabhängige Wirtschaft, an der viele Arbeitsplätze hingen. Das Parteiprogramm sei eher ein psychologisches Zeichen nach innen, nütze den Menschen draußen jedoch nichts. Wir brauchen keinen Systemwechsel, wir brauchen einen Politikwechsel, schloss sie. Die soziale Marktwirtschaft müsse wieder sozial werden – und grün. (tyh)